BERLIN (dpa) — Die umwor­be­nen kleine­ren Partner haben schon einen Gesprächs­fa­den gefun­den — nun schal­ten sich die größe­ren Partei­en ein. Wer bekommt eine Koali­ti­on zusam­men? In der Union toben hefti­ge Debatten.

Eine Woche nach der Bundes­tags­wahl kommt das Ringen um ein neues Regie­rungs­bünd­nis voll in Gang. Am Sonntag traf die SPD von Kanzler­kan­di­dat Olaf Scholz mit der FDP-Spitze zusam­men, um Chancen einer Ampel-Koali­ti­on auszuloten.

SPD und FDP bezeich­ne­ten diese ersten Sondie­run­gen als konstruk­tiv. Man sei sich bewusst, dass es nach 16 Jahren der Kanzler­schaft von Angela Merkel (CDU) großen Verän­de­rungs­be­darf gebe, sagte SPD-General­se­kre­tär Lars Kling­beil nach gut zweistün­di­gen Beratun­gen. Es sei global etwa über Klima­schutz, Digita­les, Staats­mo­der­ni­sie­rung und außen­po­li­ti­sche Fragen geredet worden. «Es war konstruk­tiv und sehr sachlich.»

FDP-General­se­kre­tär Volker Wissing sagte, in einem konstruk­ti­ven Mitein­an­der seien ernste Themen bespro­chen worden. Klar sei, dass inhalt­li­che Positio­nen «in wesent­li­chen Punkten» ausein­an­der lägen. Er bekräf­tig­te den Anspruch seiner Partei, eine «Reform­re­gie­rung» zu bilden. Eine abschlie­ßen­de Bewer­tung zum weite­ren Vorge­hen wolle die FDP vorneh­men, wenn alle bilate­ra­len Gesprä­che geführt seien.

Direkt im Anschluss began­nen auch SPD und Grüne ihre erste Sondie­rung. In Konkur­renz dazu sollte am Abend eine erste Runde von CDU und CSU mit der FDP folgen. Nach dem Wahlde­ba­kel der Union gerät Kanzler­kan­di­dat Armin Laschet (CDU) paral­lel zu den Sondie­run­gen in eigenen Reihen immer weiter unter Druck. Die FDP rief die Union zu inter­nen Klärun­gen auf. Die Grünen zeigten sich zuver­sicht­lich, eine Regie­rungs­be­tei­li­gung zu erreichen.

Vor den Sondie­run­gen trafen die Spitzen von CDU und CSU am Sonntag­nach­mit­tag mit den Sondie­rern ihrer Partei­en zu Vorbe­spre­chun­gen zusam­men. Stellung­nah­men gab es keine — es war vor dem Gespräch mit FDP-Chef Chris­ti­an Lindner und anderen Politi­kern der Libera­len Vertrau­lich­keit verein­bart worden.

SPD: «Wir wollen eine Ampel»

Die SPD setzt auf zügige Fortschrit­te in den Gesprä­chen mit FDP und Grünen. «Ich glaube, es kann gelin­gen, schnell zu guten Ergeb­nis­sen zu kommen», sagte der Frakti­ons­vor­sit­zen­de Rolf Mützenich der Deutschen Presse-Agentur. «Wir werden uns alle auf Augen­hö­he begeg­nen». SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sagte der «Welt am Sonntag»: «Wir müssen diesmal nicht bis zum Umfal­len sondie­ren, denn wir wollen eine Ampel, in die alle drei Partner ihre Stärken einbrin­gen. So gesehen könnten wir im Oktober mit den formel­len Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen begin­nen und sie bis Dezem­ber abschließen.»

FDP-General­se­kre­tär Volker Wissing sagte den Zeitun­gen der Funke Medien­grup­pe (Sonntag): «Wir gehen offen in die beiden Gesprä­che mit Union und SPD.» Die künfti­ge Regie­rung müsse zu Refor­men bereit sein. «Darauf kommt es uns an. Die Union muss zudem klären, ob sie an einem Strang zieht.» Partei­chef Chris­ti­an Lindner sagte der «Bild am Sonntag»: «Manche Wortmel­dung der CDU speku­liert ja, dass erst Verhand­lun­gen mit der SPD schei­tern sollen, bevor die Union wieder ins Spiel kommt. Das kann man unserem Land nicht zumuten.» Die FDP sei zu ernst­haf­ten Gesprä­chen bereit und erhof­fe umgekehrt dasselbe.

Dichte Taktung

Am Sonntag standen für die Sondie­rungs­teams insge­samt drei Termi­ne in dichter Folge an: Am Nachmit­tag kamen zunächst SPD und FDP in einem Büro- und Konfe­renz­ge­bäu­de in Berlin zusam­men. Um 18.00 Uhr wollte die SPD dort dann separat mit den Grünen beraten. Die SPD hat eine Sechser-Delega­ti­on für die Sondie­run­gen aufge­stellt, Grüne und FDP jeweils Zehner-Abord­nun­gen. Die FDP hatte um 18.30 Uhr einen Termin mit der Union. Grüne und FDP waren in den vergan­ge­nen Tagen schon zwei Mal unter sich zu vertrau­li­chen Runden zusam­men­ge­kom­men. Für diesen Diens­tag ist ein erstes Treffen von Union und Grünen geplant.

CDU-General­se­kre­tär Paul Ziemi­ak sagte der «Bild am Sonntag»: «Wir gehen mit großem Verant­wor­tungs­be­wusst­sein in die Gesprä­che mit FDP und Grünen.» Er fügte hinzu: «Wir wollen unseren Beitrag in einem neuen Zukunfts­bünd­nis dazu leisten, dass etwas Neues für unser Land entsteht.» Die SPD war bei der Wahl mit 25,7 Prozent stärks­te Kraft gewor­den. Die Union stürz­te auf 24,1 Prozent. Die Grünen legten auf 14,8 Prozent zu, auch die FDP verbes­ser­te sich auf 11,5 Prozent.

Die Grünen zeigten sich zuver­sicht­lich, einer künfti­gen Koali­ti­on anzuge­hö­ren. «Wenn wir uns nicht komplett dämlich anstel­len, werden wir in den nächs­ten vier Jahren diese Regie­rung nicht nur mittra­gen, sondern maßgeb­lich mitbe­stim­men», sagte Partei­chef Robert Habeck am Samstag bei einem Kleinen Partei­tag. Kanzler­kan­di­da­tin Annale­na Baerbock sagte, ihre Partei sei von sieben Millio­nen Menschen gewählt worden, darun­ter viele junge Leute. Dies gebe einen Auftrag, als Teil der Regie­rung für eine wirkli­che Erneue­rung des Landes zu sorgen. Über einen Koali­ti­ons­ver­trag und die perso­nel­le Aufstel­lung einer mögli­chen Regie­rung sollen die 120 000 Grünen-Mitglie­der abstimmen.

Altkanz­ler Gerhard Schrö­der (SPD) unter­stütz­te eine Ampel-Koali­ti­on und beton­te, seine Partei müsse den Regie­rungs­auf­trag für sich in Anspruch nehmen. «Aber natür­lich nicht mehr mit Koch und Kellner», sagte Schrö­der in seinem Podcast «Die Agenda» (Samstag) mit Blick auf frühe­re eigene Äußerun­gen zum Kräfte­ver­hält­nis zwischen der größe­ren SPD und den kleine­ren Grünen. Dieses Wort habe er damals in einer anderen Situa­ti­on gebraucht, um Ängste vor seiner rot-grünen Regie­rung von 1998 zu reduzie­ren. «Inzwi­schen ist doch klar, dass sowohl die Grünen wie auch die FDP regie­rungs­fä­hig sind.»

Kritik an Laschet

Laschet traf sich am Samstag mit Mitglie­dern des CDU-Sondie­rungs­teams in der Partei­zen­tra­le, um die Gesprä­che mit der FDP und den Grünen in der neuen Woche vorzu­be­rei­ten. In der CDU wird zugleich immer offener über eine inhalt­li­che und perso­nel­le Neuauf­stel­lung disku­tiert. «Dafür muss es einen Bundes­par­tei­tag geben, spätes­tens im Januar», sagte Partei­vi­ze Jens Spahn der «Welt am Sonntag». «Dass im Wahlkampf Fehler passiert sind und unser Spitzen­kan­di­dat nicht richtig gezogen hat, kann niemand leugnen.» Unabhän­gig vom Ausgang der Sondie­run­gen müsse klar sein: «Einfach so weiter­ma­chen ist keine Option.»

Mehre­re CDU-Politi­ker forder­ten ein Mitglie­der­vo­tum über eine perso­nel­le Neuauf­stel­lung, wenn Sondie­run­gen mit FDP und Grünen schei­tern sollten. Der Wirtschafts­po­li­ti­ker Carsten Linne­mann sagte der «Bild»: «Um die Einbin­dung der Mitglie­der werden wir bei der nächs­ten Entschei­dung über den Vorsitz nicht herum­kom­men.» Der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, sagte der «Welt am Sonntag: «In der CDU darf jetzt kein Stein mehr auf dem anderen bleiben.» Er forder­te eine inhalt­li­che und perso­nel­le Neuaus­rich­tung. Es sei «Zeit für junge Köpfe».