BERLIN (dpa) — Konti­nui­tät in einer aufge­wühl­ten Zeit: Der bishe­ri­ge Bundes­prä­si­dent ist auch der neue. Die Bundes­tags­prä­si­den­tin nutzt die Gelegen­heit für einen Appell für mehr Mut und Respekt in der Krise.

Frank-Walter Stein­mei­er bleibt deutscher Bundes­prä­si­dent. Die Bundes­ver­samm­lung bestä­tig­te den 66-Jähri­gen am Sonntag mit großer Mehrheit gleich im ersten Wahlgang im Amt.

Stein­mei­er, der von den Ampel-Partei­en SPD, Grüne und FDP sowie von der CDU/C­SU-Opposi­ti­on nominiert wurde, kam auf eine Zustim­mung von rund 73 Prozent. Er erhielt 1045 von 1425 gülti­gen Stimmen und nahm die Wahl direkt im Anschluss an die Verkün­dung des Ergeb­nis­ses an. Zwölf Stimmen waren ungül­tig. Stein­mei­er ist damit erst der fünfte Bundes­prä­si­dent mit einer zweiten Amtszeit.

1223 von 1472 Stimmen für Steinmeier

Die Kandi­da­ten der anderen Partei­en blieben wie erwar­tet chancen­los. Auf den von der Linken aufge­stell­ten Medizi­ner Gerhard Trabert (65) entfie­len 96 Stimmen, der von der AfD nominier­te CDU-Politi­ker und Ökonom Max Otte (57) erhielt 140 Stimmen. Für die von den Freien Wählern ins Rennen geschick­te Physi­ke­rin Stefa­nie Gebau­er (41) stimm­ten 58 Delegierte.

SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU stell­ten zusam­men 1223 der 1472 Mitglie­der der Bundes­ver­samm­lung — also weit mehr als die im ersten Wahlgang notwen­di­ge absolu­te Mehrheit. Im Vorfeld war mit Spannung erwar­tet worden, wie viele Delegier­te für Otte stimmen würden. Die AfD allein stell­te 151 Wahlleu­te. Die Kandi­da­tur des CDU-Politi­kers auf AfD-Ticket war im Vorfeld extrem umstrit­ten. Die CDU entzog ihm deswe­gen die Mitglie­der­rech­te und leite­te ein Partei­aus­schluss­ver­fah­ren ein.

Bas: «Mehrheit hat nicht automa­tisch Recht»

Bundes­tags­prä­si­den­tin Bärbel Bas (SPD) nutzte die Bundes­ver­samm­lung zu einem Appell für mehr Mut und Respekt angesichts der aktuel­len Krisen. Sie rief Bürger und Politi­ker in ihrer Eröff­nungs­re­de auf, auch unter den erschwer­ten Bedin­gun­gen von Corona-Pande­mie, Ukrai­ne-Konflikt, Klima­wan­del und Preis­stei­ge­run­gen nicht die Nerven zu verlie­ren. «Jede Zeit stellt neue Aufga­ben. Mit jedem Schritt vorwärts sind Risiken verbun­den», sagte sie und forder­te: «Trauen wir uns dennoch Verän­de­rung und Fortschritt zu!»

Bas beschrieb die polari­sier­te Stimmung im Land: «Schein­bar unver­söhn­lich stehen Menschen sich gegen­über, die unter­schied­li­che Einstel­lun­gen haben. Die Stimmung im Land, in Famili­en und Freun­des­krei­sen leidet darun­ter. Dagegen hilft kein Impfstoff.» Deshalb seien Mut, Zuver­sicht und ein respekt­vol­ler Ton im Umgang mit Anders­den­ken­den jetzt so wichtig. «Die Mehrheit hat nicht automa­tisch Recht — die Minder­heit aber auch nicht», beton­te sie. Alle müssten sich bewegen und aufein­an­der zugehen.

SPD-Chef Lars Kling­beil hatte vor der Wahl betont, in einer so polari­sier­ten Zeit brauche Deutsch­land einen Bundes­prä­si­den­ten, «der in der Lage ist, Brücken zu bauen, der in der Lage ist, Menschen zusam­men­zu­brin­gen, auch eine Sprache zu finden, die das Land zusam­men­hält und vereint». Das sei Stein­mei­er. Er gehe davon aus, dass sich Stein­mei­er in einer zweiten Amtszeit noch stärker in gesell­schaft­li­chen Kontro­ver­sen einmi­schen und dem Land stärker Orien­tie­rung geben werde. Auch CSU-Chef Markus Söder beschei­nig­te ihm Souve­rä­ni­tät in schwie­ri­gen Zeiten.

Stein­mei­er seit 2017 Bundespräsident

Der 66-Jähri­ge, der seine Partei­zu­ge­hö­rig­keit zur SPD als Staats­ober­haupt ruhen lässt, ist seit 2017 Bundes­prä­si­dent. Zuvor war er von 2005 bis 2009 und dann wieder von 2013 bis 2017 Außen­mi­nis­ter. Bei der Bundes­tags­wahl 2009 schei­ter­te er als SPD-Kanzlerkandidat.

Die Bundes­ver­samm­lung ist das größte parla­men­ta­ri­sche Gremi­um in Deutsch­land. Seine einzi­ge Aufga­be ist die Wahl des Staats­ober­haupts alle fünf Jahre. Die Versamm­lung setzt sich zusam­men aus den Abgeord­ne­ten des Deutschen Bundes­tags und einer gleich großen Zahl von Mitglie­dern, die die 16 Landta­ge entsenden.

Mit dabei war am Sonntag auch Ex-Kanzle­rin Angela Merkel, die vor der Wahl langen Applaus erhielt. Auf der Liste der Wahlleu­te standen außer­dem Promi­nen­te wie Bundes­trai­ner Hansi Flick, Fußbal­ler Leon Goretz­ka oder Musiker Roland Kaiser und Wissen­schaft­ler wie Astro­naut Alexan­der Gerst, Virolo­ge Chris­ti­an Drosten und die Biontech-Mitgrün­de­rin und Impfstoff-Entwick­le­rin Özlem Türeci.

Da der Bundes­tag derzeit 736 Abgeord­ne­te zählt, bestand die Bundes­ver­samm­lung aus 1472 Wahlfrau­en und ‑männern — so viele wie nie zuvor. Wegen der Corona-Pande­mie kamen sie diesmal nicht im Plenar­saal des Reichs­tags­ge­bäu­des zusam­men, sondern im benach­bar­ten Paul-Löbe-Haus, wo mehr Platz ist. Mehr als 70 Nachrü­cker kamen zum Zuge — unter anderem, weil Delegier­te mit positi­ven Corona­tests ausfielen.