BERLIN (dpa) — Bei der Debat­te über eine sozia­le «Pflicht­zeit» gehen die Meinun­gen ausein­an­der. Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er hält sie trotz Kritik für eine gute Sache.

Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er hält an seinem Vorstoß für eine sozia­le «Pflicht­zeit» trotz vielfa­cher Kritik fest und rechnet mit der Fortfüh­rung der Debat­te im Herbst.

«Es hat mich nicht verwun­dert, dass nicht alle sofort zugestimmt haben», sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Ich habe die Debat­te so wahrge­nom­men, dass nach einigen sponta­nen Reaktio­nen ein erfreu­lich diffe­ren­zier­tes Abwägen von Argumen­ten begon­nen hat.» Ein Versan­den der Debat­te befürch­te er nicht.

«Wir wissen nicht genau, was uns im Herbst erwar­tet, aber sicher ist doch, dass sich die Frage, wie wir wieder zu mehr Gemein­sinn kommen, im Herbst in aller Dring­lich­keit stellen wird», sagte Stein­mei­er. Deutsch­land stehe vor großen Heraus­for­de­run­gen wie dem Krieg in der Ukrai­ne, dem Klima­wan­del, der siche­ren und bezahl­ba­ren Versor­gung mit Energie und Lebens­mit­teln. «Wir werden daher alle gemein­sam überle­gen müssen, wie wir künftig als Gesell­schaft zusam­men leben wollen. Ich bin sicher, wir werden dabei auch über Möglich­kei­ten und Chancen der sozia­len Pflicht­zeit debattieren.»

Kritik an Steinmeier

Stein­mei­er hatte für die von ihm angereg­te Debat­te über eine Pflicht­zeit für alle mit einem Dienst an der Gesell­schaft starken Wider­spruch erhal­ten. Bundes­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rin Lisa Paus (Grüne) und Bildungs­mi­nis­te­rin Betti­na Stark-Watzin­ger (FDP) zum Beispiel lehnten den Vorstoß umgehend ab. Letzte­re blieb bei ihrer Positi­on: «Für mich hat sich nichts daran geändert, dass junge Menschen bisher die Haupt­leid­tra­gen­den der Pande­mie waren und deshalb nicht noch eine Pflicht­zeit oben drauf brauchen», schrieb Stark-Watzin­ger am Freitag im Kurzdienst Twitter.

Der Bundes­prä­si­dent berich­te­te, ihn hätten in den vergan­ge­nen Wochen viele Zuschrif­ten erreicht, manche skeptisch, manche zustim­mend. Beson­ders freue ihn, dass sich auch ganz junge Menschen zu Wort gemel­det hätten. «Sie sind nicht alle einver­stan­den, aber bereit zu disku­tie­ren. Viele von ihnen treten stark für eine Erwei­te­rung der Möglich­kei­ten einer freiwil­li­gen Dienst­zeit ein.»

Hier zeigte sich Stein­mei­er jedoch skeptisch. «Ich freue mich sehr, dass es so viele Freiwil­li­ge gibt, die sich engagie­ren. Eine Frage ist aber, wie wir die errei­chen, die sich aus den verschie­dens­ten Gründen nicht engagie­ren wollen oder können, die in ihren Milieus verblei­ben.» Unsere Gesell­schaft lebe doch davon, «dass sich die vielen Bubbles — sozia­le, politi­sche, kultu­rel­le — vermi­schen können», sagte der Bundes­prä­si­dent. «Die Erfah­run­gen der vergan­ge­nen Jahre zeigen, dass es dafür einen Anstoß braucht, und das könnte die sozia­le Pflicht­zeit sein, bei der alle mitmachen.»

Sozia­le Pflicht­zeit als Chance

Eine sozia­le Pflicht­zeit könnte aus Stein­mei­ers Sicht eine Chance bieten, um die wachsen­de sozia­le Distanz in der Gesell­schaft zu überbrü­cken. «Wir leben in einer Zeit, in der viele Menschen überwie­gend in ihrer sozia­len Bubble aufwach­sen und bleiben, erst in der Schule, dann bei der Ausbil­dung oder im Studi­um.» Das setze sich anschlie­ßend im Beruf und auch über die sozia­len Medien fort. Er wünsche sich, «dass wir Möglich­kei­ten finden, um uns wieder über die unter­schied­li­chen Grenzen hinweg begeg­nen zu können».

Stein­mei­er beton­te, seine Idee lasse viel Raum für Debat­ten um ihre Ausge­stal­tung. «Es muss eben kein Jahr sein, das Männer und Frauen leisten könnten für die Gesell­schaft, es können auch ein paar Monate sein. Vielleicht kann man sie auch flexi­bel auf bestimm­te Lebens­ab­schnit­te vertei­len.» Die Pflicht­zeit solle auch nicht auf bestimm­te Alters­grup­pen oder bestimm­te Einrich­tun­gen beschränkt sein.