BERLIN (dpa) — Der große Neujahrs­emp­fang im Schloss Belle­vue musste coronabe­dingt erneut ausfal­len. In einer kleine­ren Diskus­si­ons­run­de wendet sich der Bundes­prä­si­dent an die stille Mehrheit im Land.

In der sich verschär­fen­den Ausein­an­der­set­zung über den richti­gen Corona-Kurs hat Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er dazu aufge­ru­fen, radika­len Kräften nicht das Feld zu überlassen.

Die große, oft stille Mehrheit in unserem Land hande­le seit Monaten solida­risch und verant­wor­tungs­voll, sagte Stein­mei­er am Mittwoch in Berlin. «Nur fürch­te ich, diese Mehrheit darf nicht still bleiben, wenn Extre­mis­ten die Axt ans demokra­ti­sche Urver­trau­en legen.»

Jeder in Deutsch­land habe das Recht, gegen Corona-Maßnah­men fried­lich zu protes­tie­ren, beton­te Stein­mei­er bei einer Diskus­si­ons­run­de mit ehren­amt­lich engagier­ten Bürge­rin­nen und Bürgern. «Ich sehe aber mit Sorge, dass radika­le, vor allem rechts­extre­me Kräfte, denen es nicht um Corona geht, sondern die unseren demokra­ti­schen Rechts­staat angrei­fen, dass die die Protes­te für ihre Zwecke instru­men­ta­li­sie­ren und zuneh­mend andere vor ihren demokra­tie­feind­li­chen Karren spannen.»

Angrif­fe «mit aller Härte ahnden»

Die Gewalt bei diesen Protes­ten nehme zu. Immer öfter würden Polizis­ten, Journa­lis­ten und auch demokra­tisch gewähl­te Politi­ker und Politi­ke­rin­nen angegrif­fen. «Unser Rechts­staat muss solche Angrif­fe mit aller Härte ahnden.» Das sei aber nur der eine Teil. «Der andere Teil, denke ich, geht uns alle an. Wenn sogenann­te Spazier­gän­ger von einer “Corona-Dikta­tur” schwur­beln, dann steckt darin nicht nur Verach­tung für staat­li­che Insti­tu­tio­nen. Sondern das belei­digt uns alle! Denn wir alle sind diese Demokra­tie! Wir alle ringen darum, das Richti­ge zu tun in dieser zermür­ben­den Pandemie.»

Schon jetzt gebe es Regio­nen, in denen Menschen, die sich offen für die Demokra­tie engagie­ren, manch­mal fragten, ob die Mehrheit hinter ihnen stehe. «Wir dürfen sie nicht allein­las­sen. Wir dürfen uns an eine solche Erosi­on nicht gewöh­nen. Auch wenn es anstren­gend ist: Wo immer Menschen sich abwen­den – Kolle­gen, Nachbarn, Verwand­te –, da müssen wir versu­chen, sie zurückzuholen.»

Impfpflicht nicht die letzte Debatte

Stein­mei­er ging davon aus, dass die Demokra­tie auch nach einem Ende der Corona-Pande­mie solchen Angrif­fe ausge­setzt sein wird. «Ich bin sicher, die Impfpflicht-Debat­te wird nicht das letzte Thema sein, mit dem extre­me Kräfte versu­chen werden, den vergif­te­ten Stachel in unsere Demokra­tie zu treiben.» Nach der Pande­mie stehe Deutsch­land vor enormen Aufga­ben und einem enormen Wandel. Der Bundes­prä­si­dent nannte den Kampf gegen den Klima­wan­del, die Gestal­tung von Zuwan­de­rung und Migra­ti­on, die Digita­li­sie­rung und Globa­li­sie­rung sowie die Moder­ni­sie­rung von Staat und Bildungswesen.

Alle diese Aufga­ben seien nicht zu bewäl­ti­gen, «wenn uns unter­wegs immer mehr Menschen verlo­ren gehen, wenn sie sich abwen­den und schlimms­ten­falls den antide­mo­kra­ti­schen Lockru­fen auf den Leim gehen und ihnen folgen». Auch bei diesen Zukunfts­auf­ga­ben gehe es am Ende um die Demokra­tie. «Auch dort werden wir demokra­tisch ringen müssen um Lösun­gen und Kompro­mis­se, die – immer wieder neu – von Mehrhei­ten unter­stützt und getra­gen werden.»