STUTTGART (dpa/lsw) — Anfein­dun­gen gegen Juden gehören in Baden-Württem­berg weiter zum Alltag. Mehr als eine antise­mi­ti­sche Straf­tat pro Tag listet das Innen­mi­nis­te­ri­um für einen Großteil des vergan­ge­nen Jahres auf. Und das sind nur die bekannt gewor­de­nen Fälle.

Nach wie vor wird in Baden-Württem­berg im Schnitt fast jeden Tag eine antise­mi­ti­sche Straf­tat began­gen. Volks­ver­het­zung gehört dazu, Belei­di­gung und Sachbe­schä­di­gung ebenso wie das sogenann­te Verwen­den von Kennzei­chen verfas­sungs­wid­ri­ger Organi­sa­tio­nen, also zumeist das Tragen eines Haken­kreu­zes. Die Zahlen seien bis in den Herbst hinein auf dem hohen Niveau des Vorjah­res verharrt, sagte der baden-württem­ber­gi­sche Innen­mi­nis­ter Thomas Strobl der Deutschen Presse-Agentur. 2021 waren nach einem sprung­haf­ten Anstieg 337 antise­mi­tisch motivier­te Vorfäl­le regis­triert worden — und die Dunkel­zif­fer bleibt groß.

In den vergan­ge­nen Jahren hat sich die Zahl der Straf­ta­ten nach Angaben des Innen­mi­nis­te­ri­ums mehr als verdrei­facht — von 99 Fällen im Jahr 2017 auf 136 ein Jahr später, 182 im Jahr 2019 und 228 im Jahr 2020, bevor sich die Zahl der Fälle im Jahr 2021 schlag­ar­tig auf 337 erhöh­te. Im ersten Dreivier­tel­jahr 2022 wurden laut Innen­mi­nis­te­ri­um 175 Taten regis­triert (Vergleichs­zeit­raum 2021: 165). Nicht immer sieht die Polizei ein politi­sches Motiv, nicht immer wird klar, was überhaupt dahin­ter steckt.

Aber es wird angegrif­fen und belei­digt, gedroht und beschä­digt, nicht nur im Inter­net. «Es gibt Antise­mi­tis­mus vor allem in den sogenann­ten Sozia­len Medien, wir haben ihn freilich auch wieder auf den Straßen», sagte Strobl. Bei Demons­tra­tio­nen etwa von Extre­mis­ten und Verschwö­rungs­ideo­lo­gen gebe es antise­mi­ti­sche Narra­ti­ve. «Und ich muss zugeben: Ich habe mich getäuscht. Der Antise­mi­tis­mus war nie weg, er ist da, im Netz und auch auf deutschen Straßen und Plätzen.»

Angetrie­ben wird die Stimmung aus Sicht Strobls durch die gesell­schaft­li­chen Heraus­for­de­run­gen: «Diese gesell­schaft­li­chen Heraus­for­de­run­gen, diese Krisen sind leider ein Nährbo­den für Verschwö­rungs­theo­rien und leider auch für Antise­mi­tis­mus», sagte der Innen­mi­nis­ter. «Es wird ein Schul­di­ger gesucht für das Elend in der Welt.» Es gehe um die alten, klassi­schen Narra­ti­ve. «Das begüns­tigt Hass und Hetze. Und es begüns­tigt leider auch Hass und Hetze gegen Jüdin­nen und Juden.»

In den vergan­ge­nen vier Jahren inves­tier­te Baden-Württem­berg nach Angaben des Innen­mi­nis­te­ri­ums rund sieben Millio­nen Euro in den Schutz von Synago­gen, in die Unter­stüt­zung von Sicher­heits­per­so­nal und in entspre­chen­den Vorkeh­run­gen an Synago­gen in Stutt­gart und an anderen Orten. «Es ist eine Schan­de, dass wir unsere jüdischen Einrich­tun­gen, die israe­li­schen Einrich­tun­gen schüt­zen müssen», sagte Strobl.

Für die jüdischen Gemein­den gebe es inzwi­schen auch flächen­de­ckend feste Ansprech­part­ner in allen Polizei­prä­si­di­en. «Und wir haben das bundes­weit einma­li­ge Projekt der beiden Polizei­rab­bi­ner, die mit großer Leiden­schaft, Enthu­si­as­mus und viel Herz in Baden-Württem­berg unter­wegs sind», sagte der CDU-Politiker.

Nach Angaben des Innen­mi­nis­te­ri­ums sind antise­mi­ti­sche Straf­ta­ten nach wie vor größten­teils rechts­mo­ti­viert. «In diesem Phäno­men­be­reich zählt Antise­mi­tis­mus zu den ideolo­gi­schen Kernele­men­ten und stellt einen verbin­den­den Faktor dar», hieß es dazu. Von den 337 Gewalt­de­lik­ten im Jahr 2021 werden 242 diesem sogenann­ten Phäno­men­be­reich zugerech­net, in den ersten drei Quarta­len waren es weite­re 109 (119) Fälle, meistens Volks­ver­het­zung und Gewalt­dar­stel­lung. Gegen Synago­gen richten sich vergleichs­wei­se wenige antise­mi­ti­sche Straftaten.