BERLIN (dpa) — Die hohe Infla­ti­on, aber auch der Krieg in der Ukrai­ne sorgen dafür, dass die Zahl der Bedürf­ti­gen bei den Tafeln immer größer wird. Vieler­orts gibt es schon einen Aufnahmestopp.

Mehr als eine Milli­on Menschen in Deutsch­land versor­gen sich nach einer Umfra­ge auch an Tafeln mit Lebens­mit­teln. Das Deutsche Insti­tut für Wirtschafts­for­schung (DIW) bezif­fer­te die Zahl am Mittwoch auf knapp 1,1 Millio­nen und bezog sich auf eine Umfra­ge aus dem Jahr 2020. Derzeit gehen die Tafeln selbst aber von deutlich höheren Zahlen aus. «Die Lage ist bei allen Tafeln extrem angespannt», sagte eine Spreche­rin des Dachver­bands Tafel Deutsch­land. Hinter­grund sind der Krieg in der Ukrai­ne und steigen­de Preise. «Es kommen auch mehr Menschen, die einen Job haben.»

Die bundes­weit rund 960 Tafeln vertei­len an Bedürf­ti­ge Lebens­mit­tel, die nicht mehr verkauft werden können. Der Dachver­band spricht inzwi­schen von deutlich mehr als zwei Millio­nen Kundin­nen und Kunden, mehr als je zuvor. Das DIW hat die Teilneh­mer seiner Umfra­ge-Serie Sozio-oekono­mi­sches Panel 2020 gefragt, ob aus ihrem Haushalt im Vorjahr jemand bei einer Tafel war. Es kommt so auf knapp 1,1 Millio­nen Menschen, die von den Angebo­ten profitierten.

«Natür­lich wirkt sich auch die derzeit hohe Infla­ti­on auf die Tafel­be­su­che­rIn­nen aus», erklär­te DIW-Forscher Markus Grabka zur aktuel­len Lage. Hohe Energie-Voraus­zah­lun­gen führten auch Menschen mit nicht ganz gerin­gem Einkom­men in die Einrich­tun­gen. Hinzu kämen viele Flücht­lin­ge aus der Ukraine.

Geschäf­te haben weniger Lebens­mit­tel für die Tafeln

Gleich­zei­tig werde die Versor­gung schwie­rig, weil die Lebens­mit­tel­ge­schäf­te weniger Lebens­mit­tel verschwen­den, die sonst an die Tafeln gegan­gen wären. Beispie­le sind Angebo­te mit «geret­te­ten Lebens­mit­teln» im Ladenregal.

Nach Angaben der Tafeln sind die Besucher­zah­len seit Jahres­be­ginn bundes­weit etwa um die Hälfte gestie­gen. In Berlin, wo auch viele ukrai­ni­sche Flücht­lin­ge zuerst eintref­fen, ist es noch mehr. Anfang des Jahres kamen pro Monat noch etwa 40.000 Menschen zu den 47 Berli­ner Tafeln, nun sind es deutlich über 70.000, wie Leite­rin Antje Trölsch sagte. Viele davon seien vor dem Krieg aus der Ukrai­ne geflüch­tet. Hinzu kämen Deutsche, die die starken Preis­stei­ge­run­gen nicht mehr verkraf­ten. «Leute, die es vorher irgend­wie geschafft haben, kommen jetzt auch zu uns.»

«Wir schicken jede Woche Leute nach Hause»

Drei Viertel der Menschen, die Tafeln 2019 nutzten, lebten von Grund­si­che­rung, wie das DIW heraus­fand. Viele seien von Armut bedroht und gesund­heit­lich beein­träch­tigt. Beson­ders häufig nutzen Allein­er­zie­hen­de und Paare mit Kindern die Tafeln. Ein Viertel der Menschen, die von den Tafeln profi­tier­ten, seien Kinder.

Pro Monat und Kopf gaben Tafel­nut­zer laut DIW etwa 210 Euro für Lebens­mit­tel aus — 30 Euro weniger als Nicht-Tafel­be­su­cher. Gemes­sen am Netto­ein­kom­men war es jedoch nahezu doppelt so viel. Tafeln würden also vor allem genutzt, um unzurei­chen­des Einkom­men zu kompen­sie­ren, folgern die Forscher.

Und das Einkom­men reiche wegen der steigen­den Preise bei immer weniger Menschen, heißt es bei den Tafeln. «Wir schicken jede Woche Leute nach Hause», berich­te­te kürzlich die Potsda­mer Einrich­tung angesichts des gestie­ge­nen Andrangs. Bundes­weit hat laut Dachver­band bis zum Sommer jede dritte Tafel einen Aufnah­me­stopp einge­führt, weil Lebens­mit­tel oder Helfer fehlten.

Berlin konnte eine Aufnah­me­stopp bislang verhin­dern. Dort sind zusätz­li­che Ausga­be­stel­len eröff­net worden, wo Menschen sich Lebens­mit­tel­tü­ten abholen können. Ehren­amt­li­che Helfer würden aber gebraucht. «Wir suchen immer Menschen, die uns unter­stüt­zen — beim Fahren der Touren, beim Tüten­pa­cken und beim Vertei­len», sagte Trölsch.

Tafeln könnten staat­li­che Armuts­be­kämp­fung nicht erset­zen, meint DIW-Forscher Jürgen Schupp. «Dass vor allem Famili­en Tafeln nutzen müssen, wirft kein gutes Licht auf die sozia­le Absiche­rung von Kindern», so Schupp. «Die Ampel­ko­ali­ti­on muss jetzt zügig die Kinder­grund­si­che­rung auf den Weg bringen.»