Sieben Fälle einer selte­nen Erkran­kung — und die Impfma­schi­ne­rie gerät mitten im Infek­ti­ons­ge­sche­hen ins Stocken. Ist der Astra­ze­ne­ca-Stopp wirklich angebracht? Noch lässt sich das kaum beurteilen.

Für eine Bewer­tung der spezi­el­len Throm­bo­se-Fälle, die zum vorläu­fi­gen Stopp der Astra­ze­ne­ca-Impfun­gen führten, fehlt es Exper­ten zufol­ge noch an vielen Informationen.

«Handelt es sich um Frauen oder Männer? Sind die Betrof­fe­nen alt oder jung? Haben Sie Vorer­kran­kun­gen?» — all das sei bisher noch nicht bekannt, sagte Peter Berlit, General­se­kre­tär der Deutschen Gesell­schaft für Neuro­lo­gie (DGN). «Ohne genaue­re Infor­ma­tio­nen ist das nicht zu interpretieren.»

Sieben Fälle einer spezi­el­len Form von Throm­bo­se in zeitli­chem Zusam­men­hang mit einer Astra­ze­ne­ca-Impfung waren der Anlass für das zustän­di­ge Paul-Ehrlich-Insti­tut (PEI), das Ausset­zen der Impfun­gen zu empfeh­len. Drei der Fälle verlie­fen tödlich, wie Insti­tuts­prä­si­dent Klaus Cichutek am Montag in den ARD-«Tagesthemen» sagte. Ein ursäch­li­cher Zusam­men­hang zwischen Impfung und Throm­bo­se wurde bisher in keinem Fall festge­stellt. «Die kausa­le Verknüp­fung ist hier völlig offen», so Berlit. «Deswe­gen wird ja in England und Kanada auch weiter­hin geimpft.»

Der Virolo­ge Stephan Becker äußer­te Verständ­nis für den Impfstopp: «Das ist eine sehr unglück­li­che Situa­ti­on, aber wenn so ein Verdacht im Raum steht, dann muss dem nachge­gan­gen werden, und so lange muss die Impfung angehal­ten werden», sagte der Leiter des Insti­tuts für Virolo­gie der Univer­si­tät Marburg.

Nach PEI-Angaben geht es um eine auffäl­li­ge Häufung sogenann­ter Sinus­ve­nen­throm­bo­sen in Verbin­dung mit einem Mangel an Blutplätt­chen (Throm­bo­zy­to­pe­nie) und Blutun­gen in zeitli­cher Nähe zu Impfun­gen mit dem Astra­ze­ne­ca-Präpa­rat. In welchem Ausmaß es spezi­ell solche Fälle auch in anderen Ländern gab, ist bisher unklar. Die Daten werden nun von der Europäi­schen Arznei­mit­tel­agen­tur (EMA) analy­siert und bewertet.

Bei 1,6 Millio­nen Astra­ze­ne­ca-Geimpf­ten in Deutsch­land entsprä­chen sieben Fälle etwa vier Fällen pro einer Milli­on Geimpf­ter seit Start der Impfun­gen Anfang Febru­ar. Dabei gilt es zu beden­ken, dass diese Form der Throm­bo­se in der Bevöl­ke­rung zwar selten, aber regel­mä­ßig diagnos­ti­ziert wird. «Sinus­ve­nen­throm­bo­sen treten etwa einmal pro 100 000 Einwoh­ner und Jahr auf, das heißt die jährli­che Inzidenz liegt bei rund 1 auf 100 000», erklär­te Berlit. Neben wohl vor allem hormo­nell beding­ten Fällen — etwa bei Einnah­me der Antiba­by­pil­le — gebe es auch septi­sche Sinus­ve­nen­throm­bo­sen im Zusam­men­hang mit bakte­ri­el­len oder viralen Infektionen.

Zum Zusam­men­hang mit der ebenfalls genann­ten Throm­bo­zy­to­pe­nie erklär­te Berlit: «Wenn ein Blutplätt­chen­man­gel auftritt, führt das eher zu Blutun­gen. Aller­dings kann eine deutlich erhöh­te Throm­bo­se­nei­gung zu einem erhöh­ten Blutplätt­chen­ver­brauch führen.»

Inwie­fern die Proble­me tatsäch­lich auf die Impfung zurück­ge­hen könnten und warum sie nur das Astra­ze­ne­ca-Präpa­rat und nicht die anderen Impfstof­fe betref­fen sollten, ist bisher unklar. «Neben­wir­kun­gen von Impfun­gen können dadurch auftre­ten, dass das Immun­sys­tem zu viel oder an nicht gewünsch­ter Stelle reagiert», erklär­te Berlit. «Einen ursäch­li­chen Zusam­men­hang zwischen einem Symptom und einer Impfung herzu­stel­len oder zu belegen, ist immer ganz, ganz schwierig.»

Wie Medizi­ner und andere Corona-Exper­ten sieht auch die Weltge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (WHO) derzeit kein Alarm­zei­chen. Die Vorfäl­le seien nicht notwen­di­ger­wei­se aufs Impfen zurück­zu­füh­ren, beton­te WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebrey­e­sus in Genf. «Es ist eine Routi­ne-Praxis, das zu unter­su­chen.» Die Arznei­mit­tel­agen­tur EMA hält so auch daran fest, die Impfun­gen fortzusetzen.

Was sollten Menschen beach­ten, die kürzlich mit dem Astra­ze­ne­ca-Präpa­rat geimpft wurden? Geimpf­te haben PEI-Präsi­dent Cichutek zufol­ge nichts mehr zu befürch­ten, wenn ihre Impfung 16 Tage zurück­liegt. Davor sollte man einen Arzt aufsu­chen, wenn man sich noch mehr als vier Tage nach der Impfung unwohl fühlen sollte, etwa mit starken oder anhal­ten­den Kopfschmer­zen oder punkt­för­mi­gen Hautblutungen.

Für Throm­bo­sen generell hatten Analy­sen der EMA ergeben, dass es keine auffäl­li­ge Häufung im zeitli­chen Zusam­men­hang mit der Impfung gibt. Der Anteil der Throm­bo­se-Kranken nach einer Astra­ze­ne­ca-Impfung entspricht demnach dem sponta­nen Auftre­ten dieser Erkran­kung in der Normalbevölkerung.

Beim Spezi­al­fall der Sinus­ve­nen­throm­bo­sen kommt es zu einem Verschluss bestimm­ter Venen im Gehirn durch Blutge­rinn­sel. Zentra­les Symptom sind Kopfschmer­zen. Daneben können Erkrank­te etwa epilep­ti­sche Anfäl­le, Lähmun­gen oder Sprach­stö­run­gen bekom­men. Ein Mangel an Blutplätt­chen wieder­um führt zu einer erhöh­ten Blutungs­nei­gung. Als Sympto­me treten punkt­för­mi­ge Einblu­tun­gen in die Haut oder Schleim­häu­te auf, gelegent­lich auch starkes Nasenbluten.