STUTTGART (dpa/lsw) — Der Rückgang der Rebhühner ist so dramatisch wie bei kaum einer anderen Vogelart. Früher scheuchten Spaziergänger aus Versehen schon mal eine Gruppe im Feld auf, heute gibt es kaum noch Exemplare. Eine ungewöhnliche Allianz schlägt jetzt Alarm.
«Bestandssituation: ungünstig» heißt es beim Wildtierportal Baden-Württemberg über das Rebhuhn. Aus Sicht von Jägern und Naturschützern ist das mächtig untertrieben. Denn einst ein «Allerweltsvogel» und «Arme-Leute-Essen», finden Rebhühner, aber auch Braunkehlchen und Kiebitze auf Feldern und Wiesen in Baden-Württemberg kaum noch Lebensraum. Das hat Folgen: Nach Angaben der Deutschen Wildtier Stiftung sind die Bestände des Rebhuhns seit 1980 europaweit um 94 Prozent eingebrochen. «Die Lücken sind riesig, in vielen Gebieten sind die Hühnervögel längst verschwunden, auch dort, wo sie einst sehr häufig waren», sagt der Landesvorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) im Südwesten, Johannes Enssle.
In einer breiten Allianz für die Bodenbrüter fordern Nabu, Landesjagdverband (LJV) und der baden-württembergische Landkreistag daher ein Umdenken und ein Eingreifen der Politik. Unter anderem müsse das im Koalitionsvertrag angekündigte Programm für Bodenbrüter dringend starten. Rechtlich gebe es ebenfalls Handlungsbedarf, weil der dramatische Rückgang auch die EU-Vogelschutzgebiete betreffe. Ein Eckpunktepapier mit Vorschlägen für die nächsten Schritte und die Kosten für den Schutz der vom Aussterben bedrohten Rebhühner und anderer Vögel wollen die Verbände am Donnerstag (10.00 Uhr) in Stuttgart vorstellen.
Rebhühner, aber auch andere Kleinsäuger wie Feldhamster oder Feldhase gelten als Verlierer einer immer stärker genutzten Landwirtschaft. Sie brauchen ein Mosaik aus offenen, grasreichen Flächen, um ausreichend Futter zu finden und sich vor ihren Feinden verstecken zu können. Doch ihr Lebensraum wird immer knapper. Strukturen wie Hecken oder Grabenrändern gehen verloren und Rebhühner finden kaum noch Schutz. Sie werden an Randstreifen neben den Feldern gedrängt und sind dort anfälliger zum Beispiel für den Fuchs, der sie an den wenigen für sie geeigneten Orten leicht aufspüren kann. Wegen eingesetzter Schädlingsbekämpfungsmittel gibt es zudem immer weniger Insekten. Sie dienen den Küken der Rebhühner in den ersten Wochen aber als überlebenswichtige Nahrung.
Einen Hoffnungsschimmer für das Rebhuhn könnte es dennoch geben: Das Vogelschutzzentrum des Naturschutzbundes Mössingen (Kreis Tübingen) versucht in einem Projekt, Rebhühnern wieder mehr geeigneten Lebensraum zu bieten — durch mehrjährige Blühbrachen zum Beispiel. Bislang werden im Land überwiegend einjährige Brachen gefördert. Für Rebhühner und viele andere Arten sind diese allerdings keine große Hilfe.
Der Kreis Tübingen gilt als einer der letzten Verbreitungsschwerpunkte im Land. Das Projekt unter Trägerschaft des Nabu-Vogelschutzzentrums Mössingen habe sich sehr gut entwickelt, sagte Kolja Schümann, Geschäftsführer des verantwortlichen Vereins Vielfalt (Verein für Inklusion, Erhaltung der Landschaft und Förderung des Artenreichtums im Landkreis Tübingen). Es zeige, dass es möglich sei, den weiteren Rückgang der Art zu stoppen und eine Trendumkehr zu erreichen.
Wurden Mitte der 1980er Jahre noch rund 250 Reviere in der Region gezählt und im Jahr 2005 noch 70, so lag der Rebhuhnbestand 2015 bei nur noch 30 Revieren. Er hat sich seitdem vor allem durch das Projekt auf 51 Reviere (2021) erholt. «Auch wenn dies noch lange keine allein überlebensfähige Population ist, war das ein erster wichtiger Schritt dorthin», sagte Schümann.
Nach seinen Angaben müssen die Landwirte aber mitspielen. Es sei entscheidend gewesen, dass sie auf insgesamt etwa 60 Hektar mehrjährige Blühflächen angelegt hätten, viele beteiligten sich auch an der Heckenpflege. Allerdings läuft das auf fünf Jahre angelegte Projekt Ende des Jahres aus. Schümann zeigte sich zuversichtlich, dass ab dem kommenden Jahr Bundesmittel zur Verfügung stehen werden.