MEDYKA (dpa) — Wenn die Menschen aus der Ukrai­ne vor dem Krieg fliehen, müssen sie ihre Haustie­re oft zurück­las­sen. Tierschüt­zer riskie­ren ihr Leben, um die plötz­lich unbehü­tet gewor­de­nen Tiere in Sicher­heit zu bringen.

Es ist schon dunkel, als Sascha Winkler seinen weißen Klein­bus auf den Hof eines verlas­se­nen Landwirt­schafts­be­triebs im ostpol­ni­schen Medyka lenkt. Aus dem Laderaum dringt lautes Gebell, ängst­li­ches Kläffen und flehen­des Winseln.

«Ich habe 23 Hunde, ganz viele Welpen», ruft Winkler. Noch vor dem Morgen­grau­en ist der Tierschüt­zer losge­fah­ren, um zurück­ge­las­se­ne Hunde aus der vom Krieg erschüt­ter­ten Ukrai­ne zu retten. Jetzt ist er endlich zurück in Polen — und die Hunde sind in Sicher­heit. Sie können vorerst in einem impro­vi­sier­ten Tierheim bleiben, das die polni­sche Stiftung Centau­rus auf dem still­ge­leg­ten Bauern­hof in Medyka einge­rich­tet hat.

Knapp zwei Kilome­ter von den Stallun­gen des verlas­se­nen Bauern­hofs entfernt spielen sich mensch­li­che Tragö­di­en ab. Am Übergang Medyka-Schehy­ni an der polnisch-ukrai­ni­schen Grenze kommen täglich Zehntau­sen­de Ukrai­ne-Flücht­lin­ge an. Sie fliehen vor den russi­schen Raketen und Bomben, die ihre Heimat zerstö­ren. 1,7 Millio­nen Geflüch­te­te hat der polni­sche Grenz­schutz seit Kriegs­be­ginn gezählt.

Häufig kein Platz für Hunde und Katzen

«Wenn die Menschen fliehen müssen, lassen viele ihre Haustie­re zurück», sagt Sascha Winkler. Für den 35-jähri­gen Geschäfts­mann aus Chemnitz ist es schon die zwölf­te Tierret­tungs­fahrt in die Ukrai­ne. In den überfüll­ten Zügen, die die Flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne bringen, sei häufig kein Platz für Hunde und Katzen. «Vor allem die Mitnah­me von Hündin­nen mit Welpen ist praktisch unmög­lich.» Es gebe in der Ukrai­ne örtli­che Tierhei­me und Tierschüt­zer, die die herren­lo­sen Vierbei­ner aufneh­men, sagt Winkler. Doch deren Möglich­kei­ten sind ausgeschöpft.

Deshalb ist er gemein­sam mit zwei anderen Fahrern am Morgen aufge­bro­chen, um gespen­de­tes Tierfut­ter in die Ukrai­ne zu bringen und Hunde aus den Orten Brody und Radechiw in der Nähe von Lwiw abzuho­len. Angst vor dem Krieg hat Winkler nicht, wie er sagt. «Ich war mit der Bundes­wehr in Afgha­ni­stan, ich habe Schlim­me­res gesehen.»

Dominik Nawa hat in seinem blauen Trans­por­ter fünf Hunde aus der westukrai­ni­schen Stadt Stryj mitge­bracht. «Vier Welpen und ihre Mutter. Eine Frau hat sie angebun­den vor der Kirche in Stryj gefun­den», sagt der 46-Jähri­ge, der in Schle­si­en einen Gnaden­hof für Pferde, Esel und Ziegen führt.

Viele Hunde­ba­bys mit ihren Müttern

Ein Dutzend Freiwil­li­ge aus Polen, der Ukrai­ne, Deutsch­land und den USA helfen, die mit Wollde­cken verhüll­ten Gitter­kä­fi­ge aus den Liefer­wa­gen auszu­la­den. Es sind viele Hunde­ba­bys mit ihren Müttern dabei. Die Tierschüt­zer strei­cheln die verängs­tig­ten Welpen, tragen sie behut­sam in beheiz­te Contai­ner. «Meine Oma musste als Kind auch fliehen und konnte ihren schwar­zen Spitz nicht mitneh­men. Das hat sie nie losge­las­sen — immer wieder sprach sie von ihrem “Mohrchen”», erzählt die Münch­ne­rin Stefa­nie Seelmann. Und leise fügt sie hinzu: «Was können die Hunde dafür?»

Das impro­vi­sier­te Tierasyl in Medyka ist für die Hunde und die Katzen, die hier auch aufge­nom­men werden, nur eine Übergangs­sta­ti­on. Paul ist aus Dresden gekom­men, um Tiere nach Deutsch­land mitzu­neh­men. «So viele, wie in mein Auto passen.» Zu Hause hat er ein priva­tes Tierheim gefun­den, das sie aufneh­men wird. Und ein paar Herrchen und Frauchen, die sich schon auf ihren neuen Liebling freuen.

Von Doris Heimann, dpa