GAZA/TEL AVIV (dpa) — Der Konflikt zwischen Israe­lis und Paläs­ti­nen­sern spitzt sich weiter zu. Militan­te Paläs­ti­nen­ser greifen Tel Aviv mit Hunder­ten Raketen an, aus dem Gazastrei­fen werden wieder­um Dutzen­de Tote gemeldet.

Bei den bisher schwers­ten Raketen­an­grif­fen auf Israels Küsten­me­tro­po­le Tel Aviv seit Beginn des Nahost­kon­flikts sind mindes­tens drei Menschen getötet worden.

Nach Angaben der Rettungs­or­ga­ni­sa­ti­on Zaka starb am Diens­tag­abend eine Frau in der Stadt Risch­on Lezion bei einem direk­ten Einschlag. Wie die Polizei am Mittwoch­mor­gen mitteil­te, wurden dann in Lod bei Tel Aviv ein Mann und eine Teenage­rin getötet. Zaka hatte zunächst von einer Frau und einem Kind gespro­chen. In Jehud, ebenfalls im Großraum Tel Aviv, wurde nach Angaben des Rettungs­diens­tes ein Haus direkt getroffen.

Israels Luftwaf­fe reagier­te nach eigenen Angaben mit dem umfang­reichs­ten Bombar­de­ment des Gazastrei­fens seit dem Gaza-Krieg von 2014. Paläs­ti­nen­si­sche Quellen sprachen von Dutzen­den Toten in dem abgeschot­te­ten Küsten­ge­biet. Ein Sprecher des von der islamis­ti­schen Hamas geführ­ten Innen­mi­nis­te­ri­ums teilte mit, alle Polizei­ge­bäu­de im Gazastrei­fen seien bei israe­li­schen Luftan­grif­fen zerstört worden. Im Westen von Gaza-Stadt waren Dutzen­de laute Explo­sio­nen zu hören.

Auf israe­li­scher Seite wurden infol­ge der massi­ven Raketen­an­grif­fe von militan­ten Paläs­ti­nen­sern aus dem Gazastrei­fen nach Angaben von Sanitä­tern mehre­re Menschen verletzt. Die Nachrich­ten­sei­te «Ynet» berich­te­te, ein 84-Jähri­ger in Tel Aviv sei auf dem Weg zu einem Schutz­raum zusam­men­ge­bro­chen. In der bereits tagsüber beson­ders schwer beschos­se­nen Küsten­stadt Aschkel­on waren nach Angaben der israe­li­schen Polizei bereits Stunden zuvor zwei Frauen bei Raketen­an­grif­fen getötet worden.

Die islamis­ti­sche Hamas erklär­te am Diens­tag­abend, 130 Raketen aus dem Gazastrei­fen auf Tel Aviv und Zentra­lis­ra­el abgefeu­ert zu haben. Letzt­lich dürften es weit mehr gewor­den sein, denn der gegen­sei­ti­ge Beschuss hielt auch in der Nacht zum Mittwoch an. Die Hamas werde keinen Rückzie­her machen, sagte ein Sprecher der militan­ten Islamis­ten im Gazastrei­fen. «Wenn Israel zuschlägt, schlägt der bewaff­ne­te Wider­stand zurück.» Die israe­li­sche Armee teilte in der Nacht mit, sie habe in den vergan­ge­nen Stunden «eine Reihe wichti­ger Terror­zie­le und Terror­ak­ti­vis­ten im Gazastrei­fen getroffen».

Nach Angaben des Gesund­heits­mi­nis­te­ri­ums in Gaza stieg die Zahl der seit Montag getöte­ten Paläs­ti­nen­ser auf 35, darun­ter zwölf Kinder und drei Frauen. 233 Menschen seien verletzt worden. Nach Berich­ten von örtli­chen Medien und Augen­zeu­gen wurden einige Kinder durch israe­li­sche Luftan­grif­fe getötet, andere durch fehlge­lei­te­te Raketen der Extre­mis­ten. Nach Angaben der israe­li­schen Armee wurden mindes­tens 20 Mitglie­der der islamis­ti­schen Hamas und des militan­ten Islami­schen Dschi­hads getötet, darun­ter hochran­gi­ge Vertreter.

Die Armee zerstör­te in der Nacht zum Mittwoch zwei mehrstö­cki­ge Gebäu­de im Gazastrei­fen. Den Angaben zufol­ge befan­den sich darin Büros rangho­her Hamas-Mitglie­der. Die Anwoh­ner der Gebäu­de waren vor dem Angriff von Israels Streit­kräf­ten gewarnt worden. Die Hamas hatte vor der Zerstö­rung des ersten Gebäu­des mit einem «harten» Raketen­an­griff auf Tel Aviv gedroht.

Der inter­na­tio­na­le Flugha­fen Ben Gurion bei Tel Aviv wurde wegen der Angrif­fe zeitwei­se für Landun­gen und Abflü­ge geschlos­sen. Die Flüge wurden nach Zypern umgelei­tet. In zahlrei­chen Ortschaf­ten im Großraum Tel Aviv sowie im Umkreis des Gazastrei­fens sollten am Mittwoch die Schulen geschlos­sen bleiben.

Regie­rungs­chef Benja­min Netan­ja­hu sagte, die militan­ten Paläs­ti­nen­ser­or­ga­ni­sa­tio­nen Hamas und Islami­scher Dschi­had würden einen hohen Preis für die jüngs­ten Angrif­fe auf Israel bezah­len. «Diese Opera­ti­on wird Zeit brauchen, aber wir werden den Bürgern Israels die Sicher­heit zurück­brin­gen.» General­stabs­chef Aviv Kocha­vi sagte, man sei fest entschlos­sen, den militan­ten Gruppie­run­gen einen harten Schlag zu versetzen.

Bundes­au­ßen­mi­nis­ter Heiko Maas verur­teil­te die Raketen­an­grif­fe aus dem Gazastrei­fen auf Israel scharf. «Dass es jetzt noch eine derar­ti­ge Eskala­ti­on der Gewalt gibt, ist weder zu tolerie­ren noch zu akzep­tie­ren», sagte Maas bei einem Besuch in Rom. «Israel hat in dieser Situa­ti­on das Recht auf Selbstverteidigung.»

Russland und die USA riefen alle Seiten zur Zurück­hal­tung auf. In New York zeigte sich UN-General­se­kre­tär António Guter­res einem Sprecher zufol­ge sehr besorgt und «zutiefst traurig über die zuneh­men­de Zahl von Opfern». Angesichts der zuneh­mend entfes­sel­ten Gewalt in Nahost soll der UN-Sicher­heits­rat am Mittwoch zum zweiten Mal binnen weniger Tage zu einer Dring­lich­keits­sit­zung zusammenkommen.

Der Konflikt zwischen Israe­lis und Paläs­ti­nen­sern hat sich seit Beginn des musli­mi­schen Fasten­mo­nats Ramadan Mitte April zugespitzt. In den vergan­ge­nen Tagen hatte es zunächst vor allem in Jerusa­lem hefti­ge Zusam­men­stö­ße zwischen Paläs­ti­nen­sern und israe­li­schen Sicher­heits­kräf­ten gegeben. Auslö­ser waren unter anderem Polizei-Absper­run­gen in der Altstadt sowie drohen­de Zwangs­räu­mun­gen von paläs­ti­nen­si­schen Famili­en im Viertel Scheich Dscharrah.

In der Stadt Lod bei Tel Aviv, in der Juden und Araber gemein­sam leben, kam es dann am Diens­tag­abend zu schwe­ren Ausschrei­tun­gen. Nach Medien­be­rich­ten schän­de­ten arabi­sche Einwoh­ner eine Synago­ge und setzten sie in Brand. Außer­dem seien Dutzen­de Autos in Brand gesetzt und Fenster von Geschäf­ten einge­wor­fen worden. Der Bürger­meis­ter von Lod sprach im Fernse­hen von einem «Bürger­krieg» in der Stadt und forder­te eine sofor­ti­ge Ausgangs­sper­re. Um für Ruhe zu sorgen, wurden zahlrei­che weite­re Polizei­trup­pen in die Stadt geschickt. Auch in den arabisch gepräg­ten Orten Akko im Norden des Landes und in Jaffa bei Tel Aviv kam es zu schwe­ren Zusammenstößen.