MAINZ (dpa) — Wenn sich Frauen nach einer Mord-Drohung ihres Partners an den Staat wenden, reagiert dieser nach Einschät­zung des Weißen Rings oft hilflos. Wie Frauen geschützt werden können, zeigt ein Projekt.

Der Fall einer 39 Jahre alten Frau und ihres vierjäh­ri­gen Sohns erschüt­tert: Der Ex-Partner der Frau lauert ihr und dem gemein­sa­men Kind trotz eines Kontakt­ver­bots auf, stoppt ihr Auto mit seinem Wagen, schlägt die Schei­be ein und ersticht erst die Frau und anschlie­ßend den Sohn.

Kein Einzel­fall: «Alle drei Tage wird in Deutsch­land eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet», sagt der Präsi­dent des Weißen Rings und ehema­li­ge Chef des Bundes­kri­mi­nal­amts, Jörg Ziercke. Immer wieder sind auch Kinder betrof­fen. Die meisten Täter kündig­ten ihre Tat vorher an.

In einem Brand­brief an Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er, Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD), die Regie­rungs­chefs der Länder sowie zahlrei­che Bundes- und Landes­mi­nis­ter fordert Ziercke, dringend etwas gegen diese Partner­schafts­ge­walt an Frauen zu unter­neh­men. Unter den rund 70 Adres­sa­ten seines «Anlie­gens von höchs­ter Dring­lich­keit» ist auch die neue Bundes­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rin Anne Spiegel.

«Wir brauchen dringend eine bundes­wei­te Regelung»

Als Landes­mi­nis­te­rin hat die grüne Politi­ke­rin das schon 2000 ins Leben gerufe­ne rhein­land-pfälzi­sche Inter­ven­ti­ons­pro­jekt gegen Gewalt in engen sozia­len Bezie­hun­gen (RIGG) weiter­ent­wi­ckelt — nach Einschät­zung Zierckes ein «beispiel­haf­tes» Projekt. «Wir brauchen dringend eine bundes­wei­te Regelung, damit in Deutsch­land insge­samt auf diesem Niveau gearbei­tet wird», schreibt er.

Wenn die Polizei in Rhein­land-Pfalz wegen Gewalt in einer Bezie­hung gerufen wird, schrei­tet sie nicht nur ein, sondern gibt im Anschluss mit Hilfe eines Frage­bo­gens eine Gefähr­dungs­ein­schät­zung ab. «Dafür gibt es standar­di­sier­te Frage­bö­gen», berich­tet die Leite­rin des Frauen­hau­ses und der Inter­ven­ti­ons­stel­le Bad Kreuz­nach, Petra Wolf. Gefragt wird etwa, ob es früher schon Gewalt gab, ob der Täter Mord-Drohun­gen ausge­spro­chen hat, ob er Waffen einge­setzt hat, oder ob er die Frau perma­nent kontrol­liert. «Wenn eine bestimm­te Punkt­zahl erreicht ist, wird der Fall als Hochri­si­ko­fall eingestuft.»

Gewalt in Partner­schaf­ten während der Pande­mie gestiegen

Die Frau wird dann gefragt, ob die Daten mit anderen Behör­den geteilt werden dürfen — also etwa einer Inter­ven­ti­ons­stel­le zum Schutz vor Gewalt oder dem Jugend­amt. «Der Daten­schutz ist eine große Heraus­for­de­rung, wenn die Frau nicht zustimmt, geht es nicht.» Wenn doch, gibt es Fallkon­fe­ren­zen der Fachleu­te — organi­siert von der Polizei. «Es werden Einschät­zun­gen ausge­tauscht und nächs­te Aktio­nen überlegt», berich­tet Wolf. Das kann eine Täter­an­spra­che sein, oder die Auffor­de­rung an einem Anti-Gewalt-Training teilzu­neh­men. Auch Angebo­te des Jugend­amts für die Kinder gehören dazu. «Das Risiko von Kindern, die Gewalt erleben, später selbst Täter oder Opfer zu werden, ist sehr hoch.»

Die Gewalt in Partner­schaf­ten und Famili­en ist nach Zierckes Einschät­zung während der Pande­mie noch deutlich gestie­gen. «Wir merken bei der telefo­ni­schen Beratung eine Zunah­me von häusli­cher Gewalt», berich­tet auch Wolf. «Das wird sich in den nächs­ten drei bis vier Jahren in den Frauen­häu­sern bemerk­bar machen.» Denn im Durch­schnitt vergin­gen sieben Jahre bis eine Frau den Ausstieg aus einer Gewalt­be­zie­hung schafft. Corona sei für viele Frauen auch eine Entschul­di­gung für Gewalt des Partners, nach dem Motto: «Sonst ist er nicht so.»

«Es geht in erster Linie um Sicher­heit für die Betroffenen»

Das Hochri­si­ko­ma­nage­ment begann 2015 mit einem Pilot­pro­jekt, heißt es im Famili­en­mi­nis­te­ri­um in Mainz. Seit 2018 seien die Fälle ständig gestie­gen, auf 521 im Jahr 2020. Die Rückfall­wahr­schein­lich­keit nach einer fachüber­grei­fen­den Fallkon­fe­renz liege einer projekt­be­glei­ten­den Studie der Uni Koblenz-Landau von 2016 zufol­ge bei rund 20 Prozent, in den anderen Fällen bei 42 Prozent.

«Es geht in erster Linie um Sicher­heit für die Betrof­fe­nen», sagt Wolf. Dabei müsse auch einge­schätzt werden, welche Folgen eine mögli­che Inter­ven­ti­on von Polizei und Jugend­amt für die Frau und das Verhal­ten des Täters hat. Eine Geldstra­fe für den Täter etwa sei oft proble­ma­tisch, weil der Familie dann Geld fehle, oder die Frau gezwun­gen werde, das Geld aufzu­trei­ben. Bei den Konfe­ren­zen werde Proto­koll geführt und genau festge­legt, wer bis wann welche Schrit­te einlei­ten müsse, außer­dem müsse es Rückmel­dung geben. «Eine einzel­ne Tat kann für Außen­ste­hen­de harmlos erschei­nen», weiß Wolf. «Wenn man sie mit der Dynamik über die Jahre in Verbin­dung bringt, kann man sehen, wo es gefähr­lich wird.»

Durch die Hochri­si­ko-Konfe­ren­zen würden die Beratungs- und Hilfe­netz­wer­ke enger. «Das wirkt sich auch auf Nicht-Hochri­si­ko-Fälle aus», berich­tet Wolf. Die rhein­land-pfälzi­sche Famili­en- und Frauen­mi­nis­te­rin Katha­ri­na Binz (Grüne) sagt: «Das Erfolgs­ge­heim­nis von RIGG ist das Netzwerk, das über Jahre aufge­baut wurde.» Das Projekt werde ständig weiter­ent­wi­ckelt und etwa die Plätze und Angebo­te in den Frauen­häu­sern aufgestockt.

Von Ira Schai­b­le, dpa