Olympia in Tokio — das werden Notspie­le unter stren­gen Aufla­gen. In rund 100 Tagen sollen die Sommer­spie­le eröff­net werden, doch die Corona-Lage ist weiter bedroh­lich. Noch sind viele Fragen offen.

TOKIO (dpa) — Für die Olympia-Macher von Tokio wird im Kampf um Vertrau­en und ein tragfä­hi­ges Rettungs­pa­ket für die Not-Sommer­spie­le in Japan die Zeit knapp.

100 Tage bleiben den Organi­sa­to­ren am Mittwoch noch, ehe im Olympia­sta­di­on die Flamme für die umstrit­te­nen Spiele im Zeichen der Pande­mie entzün­det werden soll. «Wir tun unser Äußers­tes für die Maßnah­men gegen das Corona­vi­rus», beteu­er­te Japans Minis­ter­prä­si­dent Yoshi­hi­de Suga gerade erst wieder. Alfons Hörmann, der Chef des Deutschen Olympi­schen Sport­bun­des, indes sagte der «Welt am Sonntag»: «Die Spiele unter­lie­gen dem größten Risiko in ihrer jünge­ren Geschich­te. Alles andere wäre schöngeredet.»

Wie ist die Corona-Lage in Tokio?

Erst Mitte März war ein zweimo­na­ti­ger Notstand für den Großraum Tokio aufge­ho­ben worden. Seither steigt die Zahl der Neuin­fek­tio­nen erneut spürbar an. Daher wurden die Maßnah­men für die Haupt­stadt wieder verschärft. In der Präfek­tur Osaka wurde zuletzt sogar der medizi­ni­sche Notstand erklärt, weil die Kranken­häu­ser wegen der Ausbrei­tung anste­cken­de­rer Virus­va­ri­an­ten überfor­dert waren. Die Impfkam­pa­gne verläuft schlep­pend, nur wenige der 126 Millio­nen Japaner sind bisher vollstän­dig geimpft.

Wie reagie­ren die Organi­sa­to­ren auf die Situation?

«Unsere erste und wichtigs­te Priori­tät ist es, eine siche­re Umgebung mit Blick auf Covid-19 zu schaf­fen», beteu­er­te Organi­sa­ti­ons­che­fin Seiko Hashi­mo­to jüngst in einem Gastbei­trag für den US-Sender NBC. Deshalb wird auslän­di­schen Olympia-Fans die Einrei­se verwehrt, mehr als 600.000 Tickets waren offizi­ell eigent­lich schon an Auslän­der verkauft. Auch die Zahl von Helfern, Funktio­nä­ren und Gästen von Sponso­ren und Verbän­den aus dem Ausland soll drastisch reduziert werden. Für alle zugelas­se­nen Betei­lig­ten werden bis Juni eine Reihe von Handbü­chern erstellt, die bis ins Detail die Verhal­tens­re­geln für Einrei­se und Aufent­halt festle­gen. Ziel ist es, eine Olympia-Blase zu schaf­fen und Kontak­te zu Tokios Bevöl­ke­rung zu minimieren.

Kann der olympi­sche Fackel­lauf wie geplant weitergehen?

Rund 10.000 Läufer sollen die Fackel wie in einer Staffel durch alle 47 Präfek­tu­ren tragen, ehe am 23. Juli im Olympia­sta­di­on das Feuer entzün­det wird. Wegen der Sorge um eine Ausbrei­tung des Corona­vi­rus sollen die Japaner das Gesche­hen möglichst nur im Inter­net verfol­gen. An der Strecke darf nur geklatscht, nicht gejubelt werden. Bei größe­ren Menschen­an­samm­lun­gen droht ein Abbruch der Etappe. Mehre­re Promi­nen­te sagten ihre Teilnah­me ab. Wegen der Notmaß­nah­men in Osaka wurde der Abschnitt durch die Region gestri­chen, statt durch Osakas Zentrum sollte der Lauf isoliert durch den Expo ’70 Comme­mo­ra­ti­ve Park in Suita führen. Ein solches Szena­rio könnte sich in den nächs­ten Wochen an weite­ren Statio­nen wiederholen.

Wie steht es um die vorge­se­he­nen Testwettkämpfe?

Zum Check der Abläu­fe und für die Überprü­fung der Corona-Maßnah­men haben die Organi­sa­to­ren für April und Mai noch 18 Testwett­be­wer­be für Olympia und Paralym­pics angesetzt. Irrita­tio­nen gab es aber um die in Tokio geplan­ten Olympia-Quali­fi­ka­tio­nen im Wasser­sprin­gen, Synchron­schwim­men und Freiwas­ser­schwim­men. Nach kurzfris­ti­ger Absage sollen die Wettbe­wer­be nun später statt­fin­den. Gestri­chen wurde auch der geplan­te Lehrgang der deutschen Slalom­ka­nu­ten auf dem Olympia-Kanal in Tokio. Die ohnehin kniff­li­ge Vorbe­rei­tung vieler Athle­ten wird durch solche Unwäg­bar­kei­ten zusätz­lich erschwert.

Wie gehen die Sport­le­rin­nen und Sport­ler mit der Lage um?

Die Mehrzahl der Athle­ten hofft weiter, dass die Spiele statt­fin­den können. Schließ­lich haben sie seit Jahren auf Olympia hintrai­niert, teils ihre Lebens- und Karrie­re­pla­nung auf Tokio abgestimmt. Doch viele haben auch Angst um ihre Gesund­heit und kriti­sie­ren die anhal­ten­de Unsicher­heit. «Auf ihnen lastet enormer Druck», stell­te der Verein Athle­ten Deutsch­land unlängst in einem Positi­ons­pa­pier fest. Die Natio­na­len Olympi­schen Komitees haben fast ausnahms­los ihre Teilnah­me für Tokio zugesagt, nur Nordko­rea hat bisher verzichtet.

Welche Rolle spielt das Impfen?

Das weltweit sehr unter­schied­li­che Impftem­po gibt Anlass für viele Debat­ten. So wollen Länder wie Russland, Ungarn, Israel oder Mexiko Sport­ler bevor­zugt impfen, andere Staaten haben das ausge­schlos­sen. Eine späte Impfung könnte den Formauf­bau von Athle­ten stören. Ohne Impfung reist das Corona-Risiko mit nach Japan — auch bei Betreu­ern, Helfern und Journa­lis­ten. Die vom Inter­na­tio­na­len Olympi­schen Komitee mithil­fe von China angebo­te­ne Impfung mit einem chine­si­schen Vakzin ist umstrit­ten und ohnehin in vielen Ländern wegen der fehlen­den Zulas­sung nicht möglich. Weite Teile der japani­schen Bevöl­ke­rung werden im Juli und August noch ungeschützt sein. Medizi­ner warnen davor, dass die Spiele im schlimms­ten Fall zum Super­sprea­der-Ereig­nis werden und neue Virus­va­ri­an­ten hervor­brin­gen könnten.

Könnte Olympia noch einmal verscho­ben werden?

Das ist sehr unwahr­schein­lich. Allein die Verle­gung um ein Jahr kostet die Organi­sa­to­ren wegen zusätz­li­cher Ausga­ben für Mieten, Perso­nal, Ausrüs­tung und Lager­flä­chen rund 1,6 Milli­ar­den Euro. Diese Mehrkos­ten wird Japan kaum noch ein weite­res Mal aufbrin­gen wollen. Auch für die Corona-Maßnah­men sind bereits viele Millio­nen in die Vorbe­rei­tung der Sommer­spie­le geflos­sen, die dann wohl verlo­ren wären. Zudem haben Japans Olympia-Macher immer wieder beteu­ert, mit den Spielen ein Zeichen für den Sieg gegen Corona setzen zu wollen. Dieses Symbol nun ausge­rech­net dem politi­schen Erzri­va­len China bei den Winter­spie­len in Peking im Febru­ar 2022 zu überlas­sen, wäre für die Japaner ein zusätz­li­cher Extremschmerz.

Von Chris­ti­an Hollmann, dpa