PORTO (dpa) — Der FC Chelsea krönt sich zum Champi­ons-League-Sieger. Im Duell der Taktik-Tüftler erweist sich Tuchel erneut als Spiel­ver­der­ber für Guardio­la. Auch auf dem Platz ist ein Deutscher die entschei­den­de Figur.

Mit der geöff­ne­ten Champa­gner­fla­sche in der Hand stürm­te Thomas Tuchel die Kabinen­par­ty, die ihm buchstäb­lich die Schuhe auszog.

Auf seinem vorläu­fi­gen Karrie­re-Gipfel tanzte der deutsche Trainer des FC Chelsea ausge­las­sen im Kreis, verpass­te allen Anwesen­den eine Alkohol­du­sche und ließ seinen Profis zum Feiern die grauen Sneak­er da. Wie «in einem Film» fühle sich der große Abend des Triumphs in der Champi­ons League an, sagte Tuchel, der sicht­lich bewegt jeden Moment genoss und sein ganzes Glück mit seiner Familie teilen wollte.

«Wenn ich darüber nachden­ke, fange ich an zu weinen. Ich weiß, wie sehr die sich freuen, für die ist es jetzt», sagte der 47-Jähri­ge nach dem 1:0 durch den Siegtref­fer von Kai Havertz im Finale von Porto gegen Manches­ter City. Seine Eltern, Frau Sissi und die beiden Töchter erleb­ten im Estádio do Dragão mit, wie Tuchel seinen ersten inter­na­tio­na­len Titel als Trainer erober­te. «Das ist das Schöns­te, ehrlich gesagt», schwärm­te der Chelsea-Coach, der mit seinen Töchtern an der Hand die ersten Momen­te nach der Sieger­eh­rung erlebt hatte.

Wieder gewinnt ein deutscher Trainer

Es war ein Meister­stück, nicht weniger. Im Vorjahr war Tuchel noch mit Paris Saint-Germain bitter am FC Bayern geschei­tert. Den Job in Paris hatte er kurz vor Heilig­abend verlo­ren, ein halbes Jahr später führte er Chelsea auf Europas Fußball-Thron. Nach Jürgen Klopp mit dem FC Liver­pool 2019 und Münchens Hansi Flick 2020 ist er der dritte deutsche Sieger­trai­ner in der Champi­ons League nachein­an­der. «Einen sehr großen Anteil» habe Tuchel am Aufschwung der «Blues», versi­cher­te Abwehr­spie­ler Antonio Rüdiger heiser vom Jubel.

Als Tabel­len­neun­ter der Premier League hatte Tuchel Chelsea Ende Januar übernom­men und bis zum Saison­ende noch auf Platz vier gehievt. Das FA-Cup-Finale gegen Leices­ter City verlo­ren die Londo­ner zwar, doch im größten Spiel der Saison waren sie die Gewin­ner. «Für mich geht ein Kindheits­traum in Erfül­lung», sagte Siegtor­schüt­ze Havertz am Sky-Mikro­fon. Schließ­lich habe er schon als Mini-Kicker mit seinen Freun­den die Tore frühe­rer Champi­ons-League-Finals nachgespielt.

Mit heraus­ge­streck­ter Zunge hatte der 21-Jähri­ge seinen entschei­den­den Treffer in der 42. Minute gefei­ert, es war sein erstes Tor in Europas wichtigs­tem Club-Wettbe­werb. «Es ist ein unfass­ba­res Gefühl», bekann­te Havertz später, nachdem er den Henkel­pott gestrei­chelt hatte. Für mehr als 130 Millio­nen Euro hatte Chelsea ihn und Natio­nal­mann­schafts­kol­le­ge Timo Werner vor dieser Saison verpflich­tet. «Deswe­gen sind wir herge­kom­men, deswe­gen wurden wir gekauft», sagte Werner nach dem Finalsieg.

Gute Bilanz gegen Man City

Für Tuchels Chelsea war es im dritten Pflicht­spiel gegen den Meister aus Manches­ter der dritte Erfolg. «Wir haben es gestern gefühlt, wir haben es vorges­tern gefühlt. Wir sind der Stein im Schuh von Man City», sagte Tuchel. Sein erster Weg nach dem Titel­ge­winn führte ihn zu City-Coach Pep Guardio­la, den er verehrt und mit dem er einst in einem Münch­ner Restau­rant mit Salz- und Pfeffer­streu­ern stunden­lang über Taktik debat­tiert hatte.

Auch mit dem mächti­gen Club-Boss Roman Abramo­witsch unter­hielt sich der 47-Jähri­ge noch auf dem Rasen. Weite­re Gesprä­che sollen folgen, auch über einen länger­fris­ti­gen Vertrag. Der noch aktuel­le läuft zunächst bis 2022. «Ich bin nicht zu 100 Prozent sicher, vielleicht habe ich bereits einen neuen Vertrag, mein Manager hat da was gesagt», sagte Tuchel bestens aufge­legt während der Presse­kon­fe­renz. «Ich denke, das war der besten Moment für ein erstes Treffen. Von jetzt kann es ja nur schlech­ter werden.» Er könne versi­chern, dass «ich hungrig bleibe und den nächs­ten Titel will.»

Und Guardio­la? Der Spani­er wartet weiter auf seinen dritten Titel in der Königs­klas­se, der bislang letzte mit dem FC Barce­lo­na liegt zehn Jahre zurück. In Porto schien der Ausnah­me­trai­ner zu verkopft. Wieder einmal. Vielleicht wegen seines Respekts vor Tüftler Tuchel hatte er im ersten Champi­ons-League-Endspiel für Man City eine Forma­ti­on gewählt, die sich als falsch erwei­sen sollte. «Ich weiß nicht, wem er wieder was bewei­sen wollte. Auch so ein Trainer sollte mal lernen: Schus­ter, bleib bei deinen Leisten», monier­te Sky-Exper­te Lothar Matthäus.

Team von Guardio­las Ideen überfordert

Statt die zuletzt in der Liga so erfolg­rei­che Taktik einzu­set­zen, mit der die Defen­si­ve gestärkt und Ilkay Gündo­gan zur zentra­len Figur wurde, verun­si­cher­te Guardio­la sein Team mit neuen Stilele­men­ten. «Ich wollte mit dieser Aufstel­lung auf jeden Fall das Spiel gewin­nen, die Spieler wussten genau, was sie zu tun hatten», beteu­er­te der Spani­er. Doch sein Team wirkte von Guardio­las Ideen überfor­dert, hatte kaum eine echte Torchan­ce. «Uns hat die Inspi­ra­ti­on gefehlt», räumte Guardio­la ein.

Während Chelsea-Mäzen Abramo­witsch nach dem Triumph von München 2012 zum zweiten Mal die Champi­ons League auf der Haben­sei­te verbu­chen kann, bleibt dem aus Abu Dhabi alimen­tier­ten Milli­ar­den-Projekt Manches­ter City weiter die Krönung versagt. «Wir werden zurück­kom­men», versi­cher­te Guardio­la trotzig. In Großbri­tan­ni­en urteil­te der Sender Sky Sports: «Der vermeint­li­che Überden­ker hat jetzt einen Sommer, um darauf herumzukauen.»

Von Chris­ti­an Hollmann und Jan Mies, dpa