Trotz des 8:2 gegen Barce­lo­na warnte Bayern-Trainer Hansi Flick kurz vor dem Anpfiff: «Wir fangen wieder bei Null an.» Nach einer Schreck­se­kun­de zu Beginn entschie­den die Münch­ner das Halbfi­nal-Duell mit Olympi­que Lyon diesmal dank indivi­du­el­ler Klasse.

Nach dem 3:0 (2:0) gegen Olympi­que Lyon kommt es nun am Sonntag (21.00 Uhr/ZDF/Sky und DAZN) beim Kräfte­mes­sen mit den PSG-Stars Neymar und Kylian Mbappé zum rauschen­den Turnier-Höhepunkt in Lissa­bon. Das Team von Thomas Tuchel hatte seine Klasse und Titel­rei­fe beim 3:0 im ersten deutsch-franzö­si­schen Halbfi­na­le gegen RB Leipzig demons­triert. «Wir sind alle happy, wir sind im Finale», sagte Bayern-Coach Hansi Flick. «Wir werden am Sonntag alles geben, um den Titel zu holen», sagte Gnabry beim Strea­ming­dienst DAZN.

Fünf Tage nach dem 8:2 im Viertel­fi­na­le gegen den FC Barce­lo­na war es gegen Favori­ten­schreck Lyon vor allem eine Gnabry-Gala und ansons­ten auch ein mühsa­mes Stück Arbeit. Der Natio­nal­spie­ler ebnete seiner Mannschaft den Weg ins sechs­te Champi­ons-League-Finale mit einem Traum­tor aus rund 18 Metern (18. Minute) und einem Abstau­ber-Treffer (33.). «Ich bin froh, dass der so reinging», sagte Flick über das erste Tor. «Das hat uns auch ein bisschen mehr Sicher­heit gegeben.»

Nach der Pause verhin­der­te Manuel Neuer mit einer großar­ti­gen Fußpa­ra­de gegen Toko Ekambi den Anschluss­tref­fer (58.) und dass es noch einmal eng wurde für den am Ende etwas nachläs­si­gen deutschen Rekord­meis­ter. Kurz vor Schluss machte Robert Lewan­dow­ski mit seinem 15. Königs­klas­sen-Saison­tor die Final-Vorfreu­de perfekt (88.).

Flick steht sieben Jahre nach dem letzten Triumph der Münch­ner in Europas Königs­klas­se vor der Blitz­krö­nung zum Triple-Coach. Zu Meister­ti­tel und Pokal­sieg hat der 55-Jähri­ge sein in diesem Jahr ungeschla­ge­nes Starensem­ble schon geführt. «Wir wussten, dass es ein schwe­res Spiel wird», sagte Flick bei Sky und räumte ein, dass sein Team die Anfangs­pha­se «mit Glück überstan­den» habe. «Ein 3:0 in einem Halbfi­na­le der Champi­ons League ist ein wunder­ba­res Ergeb­nis», sagte Neuer. Ein Jahr nach Jürgen Klopp mit dem FC Liver­pool wird auf jeden Fall wieder ein deutscher Trainer den Henkel­pott in Händen halten.

Flick vertrau­te den Barce­lo­na-Bezwin­gern — die nach weniger als fünf Minuten aber schon fast geschockt worden wären. Nach einem Ballver­lust von Thiago im Mittel­feld lief Olympi­que-Kapitän Memphis Depay allei­ne auf Bayern-Torwart Manuel Neuer zu, traf aber nur das Außen­netz (4.). Noch näher an der Führung war der stets gefähr­li­che Ekambi, der aus kurzer Distanz am Pfosten schei­ter­te (17.).

«Wir fangen wieder bei Null an», hatte Flick unmit­tel­bar vor dem Anpfiff im TV-Sender Sky gewarnt und verra­ten, dass er mit dem Training am Vortag «nicht ganz so zufrie­den» gewesen sei.

Dies konnte er mit der ersten Viertel­stun­de der Partie auch nicht sein. Zwar hatte Leon Goretz­ka nach feinem Zusam­men­spiel mit Robert Lewan­dow­ski in der elften Minute die erste Bayern-Chance, doch den Bayern war am Anfang die Fallhö­he deutlich anzumer­ken. Als turmho­her Favorit in das Spiel gegan­gen, fehlten zunächst Locker­heit, Leich­tig­keit und Präzi­si­on. Der frühe­re franzö­si­sche Serien­meis­ter dagegen agier­te coura­giert und aufsäs­sig und schien den Schwung aus dem Viertel­fi­nal-Sieg gegen Manches­ter City mitge­nom­men zu haben.

Doch dann zauber­te Gnabry zum ersten Mal — und der Rückstand demora­li­sier­te Lyon merklich. Von der rechten Seite zog der extrem dynami­sche und explo­si­ve Natio­nal­spie­ler nach innen, schüt­tel­te mehre­re Gegen­spie­ler ab und traf nach einem tollen Solo sehens­wer­te in die obere Torecke. Die genia­le Einzel­leis­tung Gnabrys, der beim 7:2 gegen Totten­ham Hotspur in der Gruppen­pha­se bereits viermal getrof­fen hatte, brach­te die Bayern auf den ersehn­ten Finalkurs.

Angetrie­ben vom heraus­ra­gen­den Gnabry erlang­ten die Münch­ner ihre Souve­rä­ni­tät vom Barce­lo­na-Spiel. Das 2:0 leite­te Gnabry selber ein. Der 25-Jähri­ge spiel­te Ivan Perisic frei, dessen Herein­ga­be schon Lewan­dow­ski hätte verwer­ten müssen. Der polni­sche Torjä­ger schei­ter­te aus kurzer Distanz an Olympi­que-Keeper Antho­ny Lopes, was Gnabry sein neuntes Champi­ons-League-Tor dieser Spiel­zeit ermöglichte.

Lyon war der Schwung nun etwas genom­men, der deutsche Double-Sieger kontrol­lier­te weitge­hend das Gesche­hen im quasi leeren Stadi­on — geriet jedoch hin und wieder durch das extrem hohe Vertei­di­gen in Gefahr. Nach der Pause ersetz­te Niklas Süle in der Abwehr Jérôme Boateng, was als Vorsichts­maß­nah­me für das Endspiel gedeu­tet werden könnte. Perisic hatte das 3:0 auf dem Fuß, sein Abschluss aber geriet zu schwach (51.). Ein wenig sorglos gingen die Bayern nun ihrer Tätig­keit nach und hatten Glück, dass Neuer nach einer knappen Stunde zur Stelle war. Flick versuch­te es mit neuen Offen­siv-Impul­sen und brach­te Kings­ley Coman (63.) und Philip­pe Coutin­ho (76.).

Beide bescher­ten tatsäch­lich frischen Schwung, doch in der Abwehr leiste­ten sich die Münch­ner nun noch die eine oder andere Nachläs­sig­keit — die aber nicht mehr bestraft wurden. Im Gegen­teil: Lewan­dow­ski besei­tig­te mit seinem späten Treffer alle Zweifel.