WASHINGTON (dpa) — Dass Donald Trump es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, ist kein Geheim­nis. Kein Wunder, dass der Ex-Präsi­dent für Anhän­ger von Verschwö­rungs­theo­rien als eine Art Heils­brin­ger gilt.

Schon seit Jahren hat Donald Trump sich bemüht, Anhän­ger der Verschwö­rungs­theo­rie QAnon zumin­dest nicht zu verär­gern. Doch wenige Wochen vor den wichti­gen Parla­ments­wah­len Anfang Novem­ber flirtet der Ex-Präsi­dent mit QAnon offen­si­ver als zuvor.

So teilte Trump jüngst mit den mehr als vier Millio­nen Follo­wern in seinem hausei­ge­nen Twitter-Ersatz Truth Social eine Zeich­nung, die ein anderer Nutzer gepos­tet hatte. Sie zeigt Trump mit einem Q‑Symbol am Jackett. Auf dem Bild steht außer­dem: «WWG1WGA» — die Abkür­zung des QAnon-Mottos «Wo einer von uns hingeht, werden wir gemein­sam hinge­hen». Ähnlich offen­sicht­lich war die Botschaft in einem auf Trumps Account geteil­ten Video mit einem riesi­ge «Q» über Trumps Gesicht. Der Text: «Infor­ma­ti­ons­kriegs­füh­rung. Es ist Zeit, aufzuwachen.»

Anhän­ger der rechts­extre­men QAnon-Theorie wittern hinter allem, was auf der Welt passiert, eine Clique, die die Fäden in der Hand hält. Dazu sollen etwa die Regie­rungs­be­am­ten im sogenann­ten «Deep State» gehören, die angeb­lich Trump in seiner Amtszeit entge­gen­wirk­ten. Auch sind QAnon-Anhän­ger der Auffas­sung, dass Trump syste­ma­ti­schen Kindes­miss­brauch durch satanis­ti­sche Politi­ke­rin­nen und Politi­ker der US-Demokra­ten sowie Holly­wood-Promis aufzu­de­cken versucht. Die Verschwö­rungs­theo­rie ist antise­mi­tisch und hat kultar­ti­ge Züge. Sie entstand vor rund fünf Jahren im Netz. Vorläu­fer war «Pizzaga­te», das einen Mann dazu veran­lass­te, bewaff­net in eine Pizze­ria in Washing­ton zu stürmen, um dort angeb­lich von Demokra­ten festge­hal­te­ne Kinder zu befrei­en. Auch in Deutsch­land fand die QAnon-Ideolo­gie vor allem im Zuge der Corona-Pande­mie Verbreitung.

Mit Verschwö­run­gen vertraut

Verschwö­rungs­theo­rien sind Trump nicht fremd. Die von ihm am häufigs­ten wieder­hol­te Lüge ist, dass er — und nicht sein demokra­ti­scher Heraus­for­de­rer Joe Biden — die Präsi­den­ten­wahl 2020 gewon­nen habe und der Sieg ihm durch Betrug genom­men worden sei. Viele seiner Anhän­ger glauben fest daran. Keine Scheu hat der 76-Jähri­ge auch vor der «ReAwa­ken Ameri­ca Tour» — einer Art Konfe­renz von Verschwö­rungs­theo­re­ti­kern, die durch die USA zieht. Trumps Sohn Eric spricht dort regelmäßig.

Früher habe das Team um Trump QAnon zumin­dest etwas auf Abstand gehal­ten, sagt die Wissen­schaft­le­rin und Autorin Mia Bloom im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Washing­ton. Sie ist Profes­so­rin an der Georgia State Univer­si­ty und forscht unter andere zu QAnon. Beson­ders einpräg­sam war eine Szene aus dem Wahlkampf im Herbst 2020. Damals fragte eine Journa­lis­tin Trump nach QAnon. Der antwor­te­te vor laufen­den Kameras: «Ich weiß nicht viel über die Bewegung, außer dass sie mich sehr mögen — was ich zu schät­zen weiß.» Davon, dass die QAnon-Anhän­ger glaub­ten, er würde die Welt vor einem satani­schen Kult von Pädophi­len retten, habe er nichts gehört. «Aber soll das was Schlech­tes sein?»

Es habe immer eine Art «glaub­haf­te Abstreit­bar­keit» gegeben — also Trump habe irgend­wie behaup­ten können, nichts mit QAnon am Hut zu haben — ob überzeu­gend oder nicht, sagt Bloom. Das habe sich mittler­wei­le geändert.

Glauben an gehei­me Botschaft

Und seine QAnon-Fans treten aus dem Schat­ten. So sorgte ein Vorfall bei einer Trump-Rede im US-Bundes­staat Ohio für Schlag­zei­len. Die Veran­stal­ter spiel­ten ein Lied, das einige Menschen in der Menge dazu inspi­rier­te, mit erhobe­nen Zeige­fin­gern zu reagie­ren — mögli­cher­wei­se als Symbol für die «1» im QAnon-Motto. Wieso das Lied überhaupt mit der Bewegung in Zusam­men­hang gebracht wurde, ist etwas verwor­ren. Anhän­ge­rin­nen und Anhän­ger von QAnon inter­pre­tier­ten die Verwen­dung des instru­men­ta­len Songs aber als eine an sie gerich­te­te Botschaft, wie die «Washing­ton Post» schrieb.

Berich­ten zufol­ge soll Trumps Team von dem seltsa­men Zeige­fin­ger-Gruß überrascht gewesen sein. Das hielt es aber nicht davon ab, das Lied weiter­hin zu nutzen. Bei der jüngs­ten Trump-Rede in der Nacht zum Sonntag waren zumin­dest in der TV-Übertra­gung aber keine QAnon-Symbo­le in der Menge erkennbar.

Wie eine Sekte

Doch warum flirtet Trump gerade jetzt so offen mit QAnon? «Ich glaube, dass er sich im Moment ein bisschen isoliert fühlt», sagt Bloom mit Blick auf die FBI-Durch­su­chung seines Anwesens Mar-a-Lago im US-Bundes­staat Flori­da und die diver­sen juris­ti­schen Proble­me, mit denen er aktuell zu kämpfen habe. QAnon-Verfech­ter seien «die treues­ten Anhän­ger, fanatisch, fast wie eine Sekte». Von ihnen bekom­me er Liebe und Unter­stüt­zung — und Spendengelder.

Wie gefähr­lich ist das alles? Die Bundes­po­li­zei FBI hat QAnon bereits seit Jahren auf dem Schirm. Anhän­ger könnten in der realen Welt gewalt­tä­tig werden, warnte das FBI vergan­ge­nes Jahr in einem Bericht, der mehre­ren US-Medien vorlag. Auch unter dem Mob, der am 6. Januar 2021 das US-Kapitol während der formel­len Bestä­ti­gung von Bidens Wahlsieg stürm­te, waren QAnon-Anhänger.

Forsche­rin Bloom glaubt zwar nicht, dass alle Anhän­ge­rin­nen und Anhän­ger der Bewegung gewalt­be­reit sind. Beson­ders gefähr­lich sei es aber, wenn gewalt­be­rei­te QAnon-Anhän­ger etwa eine militä­ri­sche Ausbil­dung hätten oder die Anhän­ger­schaft Militär und Behör­den unter­wan­de­re. «Ich denke, Trump glaubt, dass QAnon wie eine Geheim­ar­mee ist», sagt sie. Diese könne sicher nicht gegen das US-Militär gewin­nen, aber dennoch eine Menge Schaden anrich­ten. Für den 76-Jähri­gen sei QAnon eine Karte, die er in der Hinter­hand habe. «Es ist wie ein Kult», sagt sie. «Sie glauben alles, was er sagt.»

Von Julia Naue und Andrej Sokolow, dpa