BERLIN (dpa) — Immer wieder warnen Länder und Kommu­nen vor einer Überlas­tung bei der Unter­brin­gung von Flücht­lin­gen. Die Unions­frak­ti­on sieht nun Kanzler Scholz in der Pflicht.

Wegen zuneh­men­der Schwie­rig­kei­ten bei der Unter­brin­gung von Flücht­lin­gen in Deutsch­land hat die Spitze der Unions­frak­ti­on einen Gipfel von Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Bundes­län­dern gefordert.

Der parla­men­ta­ri­sche Geschäfts­füh­rer der Union im Bundes­tag, Thors­ten Frei (CDU), sagte dem «Tages­spie­gel am Sonntag», dort müsse über eine «Begren­zung der Asylmi­gra­ti­on und eine Lösung für Vertei­lung, Versor­gung und Unter­brin­gung» gespro­chen werden. «Es kann bei einem solchen Gipfel aber nicht allein um eine Vertei­lung der Kosten für Aufnah­me und Unter­brin­gung gehen. Wir müssen endlich über effek­ti­ve Maßnah­men zur Begren­zung der Asylmi­gra­ti­on sprechen», sagte er.

Zuvor hatte Nordrhein-Westfa­lens Minis­ter­prä­si­dent Hendrik Wüst (CDU) wie bereits andere Vertre­ter von Ländern und Kommu­nen vor einer Überlas­tung durch steigen­de Flücht­lings­zah­len gewarnt. Zugesag­te Mittel des Bundes müssten endlich fließen, weite­re Hilfe sei nötig, forder­te Wüst laut «Welt am Sonntag» in einem Brief an Bundes­in­nen­mi­nis­te­rin Nancy Faeser (SPD). Zudem bemän­gel­te er, vom Bund bereit­ge­stell­te Immobi­li­en zur Flücht­lings­un­ter­brin­gung seien häufig in unbrauch­ba­rem Zustand.

So viele Asylan­trä­ge wie seit 2016 nicht mehr

In Deutsch­land hatten im vergan­ge­nen Jahr so viele Menschen Asyl beantragt wie seit 2016 nicht mehr. Knapp 218 000 Menschen stell­ten laut Jahres­sta­tis­tik des Bundes­am­tes für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge erstma­lig in Deutsch­land ein solches Schutz­er­su­chen. Das waren knapp 47 Prozent mehr als 2021. Die rund eine Milli­on Kriegs­flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne, die im vergan­ge­nen Jahr in Deutsch­land Aufnah­me fanden, mussten keinen Asylan­trag stellen. Sie erhal­ten auf Basis einer EU-Richt­li­nie unmit­tel­bar vorüber­ge­hen­den Schutz.

Die Unter­künf­te für Asylsu­chen­de in Deutsch­land sind nach Recher­chen und Berech­nun­gen der «Bild» (Samstag) derzeit insge­samt zu 64 Prozent (43.672 von 67.877 Plätzen) ausge­las­tet. Das berich­tet die Zeitung unter Berufung auf eine Statis­tik aus dem Bundes­in­nen­mi­nis­te­ri­um vom Januar 2023. In den Bundes­län­dern sei die Quote unter­schied­lich hoch, am niedrigs­ten liege sie demnach in Sachsen mit 18 Prozent und am höchs­ten in Thürin­gen mit 96 Prozent. In NRW lag sie laut «Bild» bei 58 Prozent, aus Sachsen-Anhalt gab es keine Angaben.

Umfra­ge: 51 Prozent meinen, Deutsch­land hat eher zu viele aufgenommen

In der Bevöl­ke­rung ist die Aufnah­me von Flücht­lin­gen einer Umfra­ge zufol­ge derzeit umstrit­ten. Die reprä­sen­ta­ti­ve Befra­gung des Meinungs­for­schungs­in­sti­tuts Insa im Auftrag der «Bild am Sonntag» ergab, dass 51 Prozent der Bundes­bür­ger der Meinung sind, Deutsch­land habe eher zu viele Geflüch­te­te aufge­nom­men. 33 Prozent halten die Anzahl demnach für angemes­sen, und 11 Prozent glauben, dass Deutsch­land mehr Menschen aufneh­men sollte.

Bundes­kanz­ler Scholz beton­te im Inter­view der «Bild am Sonntag», Deutsch­land brauche Fachkräf­te aus dem nicht europäi­schen Ausland. Gleich­zei­tig sprach er sich für konse­quen­te­res Abschie­ben aus. «Wenn Deutsch­land Menschen Schutz garan­tiert, die verfolgt werden, müssen dieje­ni­gen, die diesen Schutz nicht beanspru­chen können, wieder zurück in ihre Heimat gehen», sagte der SPD-Politi­ker der Zeitung. Voraus­set­zung dafür sei, dass die Heimat­län­der ihre Lands­leu­te auch wieder zurück­neh­men, «daran hapert es noch oft». Im Gegen­zug eröff­ne man legale Wege, damit Fachkräf­te aus diesen Ländern nach Deutsch­land kommen könnten.

Ampel setzt auf Migrationsabkommen

Dafür plant die Ampel-Koali­ti­on neue migra­ti­ons­po­li­ti­sche Maßnah­men. Der neue Sonder­be­voll­mäch­tig­te der Bundes­re­gie­rung für Migra­ti­ons­ab­kom­men, Joachim Stamp, warb für Migra­ti­ons­ab­kom­men mit Partner­län­dern, die ein Kontin­gent von regulä­ren deutschen Visa für ihre Bürger angebo­ten bekom­men sollen — unter der Voraus­set­zung, dass sie Straf­tä­ter, Gefähr­der und illegal nach Deutsch­land einge­reis­te Staats­bür­ger zurück­neh­men, also Abschie­bun­gen ermög­li­chen. «Wir wollen Chancen schaf­fen, dass sich eine begrenz­te und kontin­gen­tier­te Anzahl regulär für den deutschen Arbeits­markt bewer­ben kann, sofern jene, die es auf eigene Faust versu­chen und die hier kein Asylrecht haben, von ihren Herkunfts­län­dern umstands­los wieder aufge­nom­men werden», sagte der FDP-Politi­ker der «Frank­fur­ter Allge­mei­nen Sonntagszeitung».

Zudem kündig­te er an, eine Verla­ge­rung von Asylver­fah­ren ins Ausland prüfen zu wollen. Das solle unter Beach­tung der Genfer Flücht­lings­kon­ven­ti­on und der Europäi­schen Menschen­rechts­kon­ven­ti­on gesche­hen. «Dann würden auf dem Mittel­meer geret­te­te Menschen für ihre Verfah­ren nach Nordafri­ka gebracht werden», sagte Stamp. Das erfor­de­re aber sehr viel Diplo­ma­tie und einen langen Vorlauf. Es sei klar, dass etwa ein Land wie Libyen in seinem derzei­ti­gen Zustand dafür kein Partner sein könne, beton­te er.

Die Ampel-Partei­en SPD, Grüne und FDP hatten bereits in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag verein­bart, sich «für rechts­staat­li­che Migra­ti­ons­ab­kom­men mit Dritt­staa­ten im Rahmen des Europa- und Völker­rechts» einzu­set­zen. Hierfür werde man prüfen, ob die Feststel­lung des Schutz­sta­tus «in Ausnah­me­fäl­len» unter Achtung der Genfer Flücht­lings­kon­ven­ti­on und der Europäi­schen Menschen­rechts­kon­ven­ti­on in Dritt­staa­ten möglich ist, heißt es dort.