WIEN (dpa) — Im Wahlkampf insze­nier­te sich Amtsin­ha­ber Van der Bellen als Ruhepol in unruhi­gen Zeiten. Nicht nur angesichts der Krisen fand die Präsi­den­ten­wahl in Öster­reich in einem schwie­ri­gen Umfeld statt.

Alexan­der Van der Bellen hat die Bundes­prä­si­den­ten­wahl in Öster­reich gewon­nen. Der 78-Jähri­ge kam laut vorläu­fi­gem Endergeb­nis am Sonntag auf 54,6 Prozent der Stimmen. Zwar sind in der Zählung noch nicht die voraus­sicht­lich mehr als 800.000 Brief­wahl­stim­men berück­sich­tigt, aber Hochrech­nun­gen des ORF gehen davon aus, dass der Amtsin­ha­ber am Ende rund 56 Prozent Zustim­mung erhält.

Der Kandi­dat der rechten FPÖ, der 60-jähri­ge Walter Rosen­kranz, erreicht laut Hochrech­nun­gen rund 18 Prozent der Stimmen. Die anderen fünf Kandi­da­ten liegen jeweils im einstel­li­gen Prozent­be­reich. Zu ihnen gehör­ten ein Blogger, ein Kolum­nist und ein Schuh-Fabri­kant. An der Wahl betei­lig­ten sich rund 66 Prozent der Wahlberechtigten.

Der öster­rei­chi­sche Bundes­prä­si­dent hat mehr Befug­nis­se als der deutsche. Das direkt vom Volk gewähl­te Staats­ober­haupt hat sogar die Befug­nis, die Bundes­re­gie­rung zu entlas­sen. Er kann Kanzler ernen­nen und Minis­ter ableh­nen. Er ist außer­dem Oberbe­fehls­ha­ber des Heeres.

Der 78-jähri­ge Van der Bellen ist der bisher ältes­te Bundes­prä­si­dent, der sich um eine zweite Amtszeit bewor­ben hat. Er sieht in seinem hohen Alter kein Problem. Das Amt gebe ihm durch­aus Kraft, sagte er bei der Stimm­ab­ga­be am Sonntag. Van der Bellen war direkt und indirekt von allen Parla­ments­par­tei­en außer der rechten FPÖ unter­stützt worden. Mit einem Wahlkampf, in denen er die direk­te Konfron­ta­ti­on mit seinen Heraus­for­de­rern vermied, habe er sich «noch über die Zielli­nie geret­tet», sagte der Politik-Berater Thomas Hofer. Bisher hatte jeder amtie­ren­de Bundes­prä­si­dent die 50-Prozent-Hürde ohne weite­res geschafft, die ihm eine Stich­wahl erspart.

Sechs Gegen­kan­di­da­ten

Noch nie hatten sich so viele Kandi­da­ten um das Amt bewor­ben. Die meisten Heraus­for­de­rer von Van der Bellen waren aller­dings bisher eher wenig im politi­schen Betrieb aufge­fal­len. Sie galten von vorne­her­ein als Außenseiter.

Damit unter­schied sich die Ausgangs­la­ge zur Wahl 2016. Damals hatte der FPÖ-Kandi­dat Norbert Hofer im ersten Wahlgang Van der Bellen deutlich geschla­gen und war erst bei der Stich­wahl unter­le­gen. Die Wahl machte auch deshalb Schlag­zei­len, weil der zweite Wahlgang wegen Unregel­mä­ßig­kei­ten bei der Auszäh­lung auf Weisung des Verfas­sungs­ge­richts wieder­holt werden musste.

Erleich­te­rung in Wien

Spitzen­po­li­ti­ker und ‑funktio­nä­re der konser­va­ti­ven ÖVP, der sozial­de­mo­kra­ti­schen SPÖ und Grünen zeigten sich erfreut und erleich­tert über das Wahler­geb­nis. Die Öster­rei­cher hätten für stabi­le Verhält­nis­se gesorgt, so ÖVP-General­se­kre­tär Chris­ti­an Stocker. EU-Kommis­si­ons­prä­si­den­tin Ursula von der Leyen gratu­lier­te Van der Bellen per Twitter zum Wahlsieg. «Wir stehen in schwie­ri­gen Zeiten für ein einiges Europa», schrieb die deutsche Politikerin.

Die ÖVP und die SPÖ hatten keinen eigenen Kandi­da­ten ins Rennen geschickt. Ein Wahlkampf gegen einen Amtsin­ha­ber gilt als aussichts­los — die Partei­en sparten sich das Geld dafür lieber. Von Medien wurde kriti­siert, dass zum Bewer­ber­feld keine Frau zählte.

Van der Bellen, Sohn einer estni­schen Mutter und eines russi­schen Vaters, wirkt bedäch­tig und beson­nen oder auch mal etwas zerstreut. Einer Univer­si­täts­kar­rie­re als Profes­sor für Volks­wirt­schaft folgte der Einstieg in die Politik. Ab 1997 stand er rund zehn Jahre lang an der Spitze der Grünen in Öster­reich. Der Raucher und Hunde­freund wandert nach eigenen Angaben gerne. Er hat zwei erwach­se­ne Söhne aus erster Ehe.

Der 78-Jähri­ge hatte unter anderem mit dem Slogan «Vernunft und Stabi­li­tät in stürmi­schen Zeiten» für sich gewor­ben. Das Verspre­chen von Konti­nui­tät hob sich im Wahlkampf deutlich von einem der Haupt­the­men einiger seiner Bewer­ber ab: Die hatten nicht zuletzt die Frage disku­tiert, ob sie die Regie­rung entlas­sen würden. Der Rechts­po­pu­list Rosen­kranz stand für einen radika­len Kurswech­sel und lehnt wie seine Partei die EU-Sanktio­nen gegen Russland ab.

Schlech­te Stimmung im Land

Zwar konnte Van der Bellen mit breiter Unter­stüt­zung des politi­schen und gesell­schaft­li­chen Estab­lish­ments rechnen, dennoch gehört er zu den weniger populä­ren Bundes­prä­si­den­ten. Vielen Bürgern, die inzwi­schen ihre Haltung zur Rolle eines Staats­ober­haupts geändert hätten, sei er in tages­po­li­ti­schen Fragen zu zurück­hal­tend gewesen, sagte der Meinungs­for­scher Chris­toph Hasel­may­er. Der 78-Jähri­ge deute­te bei seiner Stimm­ab­ga­be am Sonntag gegen­über Repor­tern an, dass er sich eine Verän­de­rung seines Stils in einer zweiten Amtszeit durch­aus vorstel­len könnte.

Generell ist die Stimmung in der Bevöl­ke­rung gegen­über der Politik aktuell sehr negativ. In einer im ORF am Sonntag vorge­stell­ten Umfra­ge äußer­ten sich nur 16 Prozent der Bürger zufrie­den mit der Politik, 81 Prozent sind demnach «enttäuscht» oder gar «verär­gert». Die Entwick­lung in Öster­reich beurtei­len laut Umfra­ge inzwi­schen 64 Prozent als negativ — 2016 waren es 52 Prozent. «Das ist nochmal eine deutli­che Verschär­fung», sagte der Politik­wis­sen­schaft­ler Peter Filzmai­er im ORF.