MUR-DE-BRETAGNE (dpa) — Fan-Massen am Straßen­rand, schwe­re Stürze im Feld und ein heißer Kampf um das Gelbe Trikot: Das Auftakt-Wochen­en­de der 108. Tour de France hat es in sich.

Erst verzück­te Julian Alaphil­ip­pe die Grande Nation, dann schlug der Enkel des legen­dä­ren Tour-Helden Raymond Pouli­dor an der berüch­tig­ten Mûr-de-Breta­gne zu.

Mathieu van der Poel stürm­te wie entfes­selt zum Sieg auf der zweiten Etappe der 108. Tour de France und holte sich auch das Gelbe Trikot von Auftakt­sie­ger Alaphil­ip­pe. Damit gelang dem Nieder­län­der bereits an seinem zweiten Tour-Tag das Kunst­stück, das seinem in Frank­reich verehr­ten Großva­ter Pouli­dor nie gelang. Es war der spekta­ku­lä­re Höhepunkt eines fulmi­nan­ten Auftakt-Wochen­en­des in der Breta­gne, das von vielen Zuschau­ern am Straßen­rand, aber auch von schwe­ren Massen­stür­zen beglei­tet worden war.

Van der Poel war auf dem gut zwei Kilome­ter langen Schluss­an­stieg mit durch­schnitt­lich 6,9 Prozent Steigung im Alpe d’Huez der Breta­gne nicht zu stoppen und verwies nach 183,5 Kilome­tern den slowe­ni­schen Tour-Champi­on Tadej Pogacar und den Vorjah­res­zwei­ten Primoz Roglic auf die Plätze. Am Vortag hatte er beim Finale furio­so noch gegen Alaphil­ip­pe das Nachse­hen. So erfreu­ten sich die Gastge­ber nur einen Tag am Gelben Trikot ihres Weltmeis­ters. Aller­dings dürfen sie auch ein Stück weit den ersten Sieg von van der Poel für sich rekla­mie­ren. Schließ­lich trägt der nieder­län­di­sche Cross-Weltmeis­ter die Gene seines 2019 verstor­be­nen Großvaters.

«Ich habe an meinen Großva­ter gedacht»

«Ich habe ein bisschen gepokert. Schon bei meinem ersten Antritt habe ich alles gegeben, denn ich brauch­te für das Gelbe Trikot die Bonus­se­kun­den. Ich wusste, das ist meine letzte Chance auf Gelb», sagte van der Poel, der nun acht Sekun­den vor Alaphil­ip­pe und 13 Sekun­den vor Pogacar liegt. «Ich habe an meinen Großva­ter gedacht», fügte der Cross-Weltmeis­ter hinzu. Acht Mal hatte es Pouli­dor in Paris auf das Trepp­chen geschafft, aber nie konnte er die Rundfahrt gewinnen.

Das erste Gelbe Trikot hatte sich Alaphil­ip­pe geholt, was fast schon Tradi­ti­on hat, nachdem er 2019 insge­samt 14 und im vergan­ge­nen Jahr drei Tage vorne gelegen hatte. Zur trauri­gen Tradi­ti­on gehören am Anfang der Frank­reich-Rundfahrt zudem die schwe­ren Stürze, was auch mit der Rückkehr der Zuschau­er­mas­sen zu tun hatte. Leidtra­gen­der war am Samstag Tony Martin, der durch eine Frau mit einem Pappschild zu Fall gebracht worden war und dadurch einen Massen­sturz ausge­löst hatte.

«Manche Zuschau­er haben einfach keinen Respekt und schal­ten auch nicht mehr den Kopf ein», schimpf­te Martin, der von «einem der schlimms­ten Stürze» in seinen 13 Jahren Tour-Jahren sprach. Die Tour-Organi­sa­ti­on ASO hat inzwi­schen die Justiz einge­schal­tet. Es gebe Ermitt­lun­gen gegen die Frau wegen vorsätz­li­cher Gefähr­dung der öffent­li­chen Sicher­heit, teilte die Polizei mit. Zunächst muss die Übeltä­te­rin aber ausfin­dig gemacht werden. Alaphil­ip­pe appel­lier­te an die «Wachsam­keit der Leute» und beton­te: «Alle freuen sich, dass die Menschen wieder am Straßen­rand stehen. Aber seid vorsich­tig, passt auf!»

Duell der Topstars an der Mûr-de-Bretagne

Wenigs­tens am Sonntag kam das Feld halbwegs sicher ins Ziel, was auch daran lag, dass die Mûr-de-Breta­gne bereits 15 Kilome­ter vor dem Ziel das erste Mal passiert werden musste und das Feld dabei ausein­an­der­riss. Bereits bei der ersten Überque­rung kam es zum Duell der Stars, schließ­lich ging es um Bonus­se­kun­den. Van der Poel holte sich acht Sekun­den vor Pogacar und Roglic.

Gleich zwei Massen­stür­ze am Samstag hatten gut die Hälfte des Feldes in Mitlei­den­schaft gezogen. Auch der vierma­li­ge Champi­on Chris Froome, der zwei Jahre nach seinem schlim­men Sturz bei der Dauphi­né-Rundfahrt sein Comeback gegeben hatte, verletz­te sich an Hüfte und Brust­korb, konnte seine Fahrt aber fortset­zen. Für den Deutschen Jasha Sütter­lin war dagegen die Rundfahrt schon am ersten Tag vorbei.

Andere kamen halbwegs heil ins Ziel, verlo­ren aber durch die Stürze viel Zeit. Deutsch­lands Rad-Hoffnung Emanu­el Buchmann, der jedoch sowie­so nicht für die Gesamt­wer­tung vorge­se­hen ist, büßte gut zwei Minuten ein. Bei der briti­schen Über-Mannschaft Ineos sind im Vorjah­res­drit­ten Richie Porte und Ex-Giro-Sieger Tao Geoghe­gan Hart schon zwei ihrer vier Top-Stars im Hinter­tref­fen. Die slowe­ni­schen Top-Favori­ten hielten sich dagegen schad­los und kämpf­ten eifrig um Bonussekunden.

Von Stefan Tabel­ing und Tom Bachmann, dpa