WEINGARTEN — Nach Aufhe­bung der Coronabe­schrän­kun­gen ziehen die Reiter und erstmals Reite­rin­nen durch die von Menschen gesäum­ten Straßen Weingartens.

Heraus­ge­putz­te Pferde, Reiter, die mit der Sonne um die Wette strah­len, und am Straßen­rand Tausen­de Pilger und Schau­lus­ti­ge. Nach zwei Jahren coronabe­ding­ter Miniver­si­on ohne Menschen­mas­sen wieder ein Blutritt wie früher. Und doch hat sich die über 500-jähri­ge Tradi­ti­on der Weingar­te­ner Reiter­pro­zes­si­on weiter­ent­wi­ckelt. Nach einem Beschluss des Kirchen­ge­mein­de­rats von St. Martin im Novem­ber 2020 konnten dieses Jahr erstmals Frauen offizi­ell mitrei­ten. Die meisten der 98 Gruppen ermög­lich­ten Reite­rin­nen die Teilnah­me, die sich mit Gehrock, Zylin­der und Schär­pe in der entspre­chen­den Farbe harmo­nisch und gleich­be­rech­tigt in das Bild des Zuges einfügten.

Selbst im Weingar­te­ner Verein der Blutfrei­tags­ge­mein­schaft, bei dem noch eine Satzungs­än­de­rung aussteht, sprang Meret Heiß kurzfris­tig für ihren verhin­der­ten Vater ein und trug eine Standar­te. Antonia, Tochter des Escha­cher Gruppen­füh­rers Martin Schüt­ter­le, kennt den Blutritt bereits im Minis­tran­ten­ge­wand. In ihrer Familie war der Blutfrei­tag immer ein beson­de­rer Tag. Noch etwas aufge­regt vor ihrer ersten Teilnah­me als Blutrei­te­rin zeigte sie sich nach dem etwa dreistün­di­gen Ritt durch Stadt und Fluren „happy“ und zufrie­den. „Es war eine Ehre und ein tolles Gefühl“, sagte die 18-jähri­ge Chris­tin im Pferde­quar­tier der Eschacher.

Während die knapp 100 Musik­ka­pel­len wieder in Vor-Corona-Stärke den Rossbol­len-Marsch „Wir präsen­tie­ren“ und andere Prozes­si­ons­stü­cke erklin­gen ließen, gab es bei der Zahl der Reite­rin­nen und Reiter mit 1.803 gegen­über 2.127 im Jahr 2019 einen leich­ten Rückgang. Als Gründe sind die abneh­men­de Anzahl geeig­ne­ter Pferde insge­samt, aber auch ein durch die Zäsur beschleu­nig­tes alters­be­ding­tes Ausschei­den langjäh­ri­ger Reiter zu hören.

Der baden-württem­ber­gi­sche Minis­ter für Sozia­les, Gesund­heit und Integra­ti­on, Manne Lucha, überbrach­te die besten Grüße der Landes­re­gie­rung und lobte die zweitä­gi­gen Feier­lich­kei­ten. „Wir haben hier in Weingar­ten nach zweijäh­ri­ger Pause wieder ein barockes Hochfest des gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halts erlebt, einen wasch­ech­ten Blutritt im besten Sinne, der tausen­de Menschen und Pilger be- und gerührt hat“, freute sich Lucha. 

Festgast Abt German Erd vom Stift Stams in Tirol zeigte sich beein­druckt von der Einheit von Glauben und Tradi­ti­on in Weingar­ten. „Da ist die ganze Farbig­keit und die viele Musik — und doch spürt man das Religiö­se durch“, beton­te er. Bereits am Abend von Chris­ti Himmel­fahrt eröff­ne­te der Zister­zi­en­ser­mönch, dessen Kloster ebenfalls eine Blutre­li­quie beher­bergt, mit seiner Festpre­digt die Feier­lich­kei­ten. Er skizzier­te darin die Erlösung des Menschen durch das Blut Jesu Chris­ti als befrei­en­de Botschaft — gerade in Zeiten des Kriegs in der Ukrai­ne und der noch nicht überwun­de­nen Pande­mie. Erd rief dazu auf, „auch mit unserem Herzen auf den Pulsschlag Jesu zu hören und eine Herzlich­keit zu entwi­ckeln, die die Funken der Liebe Gottes sicht­bar werden lässt.“

Nach der Predigt zogen die Gläubi­gen mit brennen­den Kerzen und farbi­gem Windschutz während der Dämerung betend und singend hinüber zum Kreuz­berg. Die größte Reiter­pro­zes­si­on Europas begann am Freitag­mor­gen um 7 Uhr mit der Überga­be der Reliquie an Heilig-Blut-Reiter Dekan Ekkehard Schmid. Das Reliqui­ar, mit dem er Menschen und Felder segne­te, enthält der Überlie­fe­rung nach einen Bluts­trop­fen Jesu Chris­ti und gelang­te über die Welfen­ge­mah­lin Judith von Flandern 1094 ans Benedik­ti­ner­klos­ter Weingar­ten. Auch Reiter aus Mantua, wo die Zwillings­re­li­quie verehrt wird, betei­lig­ten sich wieder an der Weingar­te­ner Prozes­si­on. Nach der Rückkehr des Heilig-Blut-Reiters zelebrier­te Abt German Erd das Pontifikalamt.

Die katho­li­sche Kirchen­ge­mein­de St. Martin als Veran­stal­ter, die Stadt Weingar­ten als Betrei­ber, sowie Polizei, Feuer­wehr, THW, Deutsches Rotes Kreuz, Festord­ner, Tierarzt sowie ein priva­ter Sicher­heits­dienst sorgten erfolg­reich für die Sicher­heit während der Feier­lich­kei­ten. Erfreu­li­cher­wei­se kam es zu keinen nennens­wer­ten Zwischen­fäl­len. Auch Tierarzt Dr. Chris­toph Ganal bestä­tig­te einen ruhigen Blutfrei­tag ohne größe­re Vorkommnisse.