KARLSRUHE (dpa) — Das Bundes-Klima­schutz­ge­setz geht den Karls­ru­her Richtern nicht weit genug. Das obers­te Verfas­sungs­ge­richt stärkt mit seiner Entschei­dung den Rücken der Klimaaktivisten.

Die Politik muss beim Klima­schutz nachbes­sern, um die Freiheits­rech­te künfti­ger Genera­tio­nen zu schüt­zen. Das Bundes-Klima­schutz­ge­setz greife zu kurz, urteil­te das Bundesverfassungsgericht.

Die Karls­ru­her Richter verpflich­te­ten den Gesetz­ge­ber, bis Ende kommen­den Jahres die Reduk­ti­ons­zie­le für Treib­haus­gas­emis­sio­nen für die Zeit nach 2030 näher zu regeln. Verfas­sungs­be­schwer­den mehre­rer Klima­schüt­zer waren damit zum Teil erfolg­reich (Az.: u.a. 1 BvR 2656/18).

Die teils noch sehr jungen Beschwer­de­füh­ren­den seien durch Regelun­gen in dem Gesetz in ihren Freiheits­rech­ten verletzt, erklär­ten die Richter. «Die Vorschrif­ten verschie­ben hohe Emissi­ons­min­de­rungs­las­ten unumkehr­bar auf Zeiträu­me nach 2030.» Wenn das CO2-Budget schon bis zum Jahr 2030 umfang­reich verbraucht werde, verschär­fe dies das Risiko «schwer­wie­gen­der Freiheits­ein­bu­ßen», weil die Zeitspan­ne für techni­sche und sozia­le Entwick­lun­gen knapper werde.

Einen Anstieg der globa­len Durch­schnitts­tem­pe­ra­tur wie geplant auf deutlich unter 2 Grad und möglichst auf 1,5 Grad zu begren­zen, sei dann nur mit immer dringen­de­ren und kurzfris­ti­ge­ren Maßnah­men machbar. «Von diesen künfti­gen Emissi­ons­min­de­rungs­pflich­ten ist praktisch jegli­che Freiheit poten­zi­ell betrof­fen, weil noch nahezu alle Berei­che mensch­li­chen Lebens mit der Emissi­on von Treib­haus­ga­sen verbun­den und damit nach 2030 von drasti­schen Einschrän­kun­gen bedroht sind», heißt es in der Erklä­rung des obers­ten deutschen Gerichts.

Zur Wahrung grund­recht­lich gesicher­ter Freiheit hätte der Gesetz­ge­ber Vorkeh­run­gen treffen müssen, «um diese hohen Lasten abzumil­dern». Von «Vorkeh­run­gen zur Gewähr­leis­tung eines freiheits­scho­nen­den Übergangs in die Klima­neu­tra­li­tät» ist die Rede. Daran fehle es bislang.

In Artikel 20a des Grund­ge­set­zes heißt es: «Der Staat schützt auch in Verant­wor­tung für die künfti­gen Genera­tio­nen die natür­li­chen Lebens­grund­la­gen und die Tiere im Rahmen der verfas­sungs­mä­ßi­gen Ordnung durch die Gesetz­ge­bung und nach Maßga­be von Gesetz und Recht durch die vollzie­hen­de Gewalt und die Rechtsprechung.»

Hierauf bezieht sich das Gericht. Es dürfe nicht einer Genera­ti­on zugestan­den werden, «unter vergleichs­wei­se milder Reduk­ti­ons­last große Teile des CO2-Budgets zu verbrau­chen, wenn damit zugleich den nachfol­gen­den Genera­tio­nen eine radika­le Reduk­ti­ons­last überlas­sen und deren Leben umfas­sen­den Freiheits­ein­bu­ßen ausge­setzt würde».

Künftig könnten selbst gravie­ren­de Freiheits­ein­bu­ßen zum Schutz des Klimas verhält­nis­mä­ßig und verfas­sungs­recht­lich gerecht­fer­tigt sein, erläu­ter­ten die Richter. Zwar müssten die Grund­rech­te abgewo­gen werden. Aber: «Dabei nimmt das relati­ve Gewicht des Klima­schutz­ge­bots in der Abwägung bei fortschrei­ten­dem Klima­wan­del weiter zu.»

Mit den natür­li­chen Lebens­grund­la­gen müsse sorgsam umgegan­gen werden, mahnten die Richter. Und sie müssten der Nachwelt in einem Zustand hinter­las­sen werden, «dass nachfol­gen­de Genera­tio­nen diese nicht nur um den Preis radika­ler eigener Enthalt­sam­keit weiter bewah­ren könnten». Knapp ein Dutzend Klima­ak­ti­vis­ten von Fridays for Future demons­trier­ten am Donners­tag­mor­gen vor dem Gericht. Sie hatten Plaka­te dabei, auf denen unter anderem zu lesen war: «Hört auf die Wissen­schaft! Klima­schutz jetzt!» Mehre­re an den Klagen betei­lig­te Verbän­de hatten für den Vormit­tag eine Presse­kon­fe­renz angekündigt.

Das Verfas­sungs­ge­richt fordert nun, frühzei­tig trans­pa­ren­te Maßga­ben für die weite­re Ausge­stal­tung der Treib­haus­gas­re­duk­ti­on. Damit verbin­den die Richter Entwick­lungs­druck und Planungs­si­cher­heit. Verfas­sungs­recht­lich unerläss­lich sei dafür zum einen, dass weite­re Reduk­ti­ons­maß­ga­ben recht­zei­tig über das Jahr 2030 hinaus und zugleich hinrei­chend weit in die Zukunft hinein festge­legt werden. Zum anderen müssten zwecks konkre­ter Orien­tie­rung weite­re Jahres­e­mis­si­ons­men­gen und Reduk­ti­ons­maß­ga­ben diffe­ren­ziert festge­legt werden.