BERLIN (dpa) — Die Abitur­fei­er ist der Tag, an dem sich junge Erwach­se­ne festlich von einem Lebens­ab­schnitt verab­schie­den. Wie stehen die Chancen auf einen krönen­den Abschluss in Zeiten der Corona-Pandemie?

Sicher ist nur, dass auch 2021 alles anders sein wird. Dario Schramm blickt eher freud­los auf die Aussicht einer gestaf­fel­ten Zeugnis­über­ga­be. Schon im vergan­ge­nen Jahr sei es traurig gewesen zu sehen, was trotz aller Bemühun­gen von der Festlich­keit übrig blieb.

Die Sehnsucht ist zu hören, doch noch viel klarer wird: Für den General­se­kre­tär der Bundes­schü­ler­kon­fe­renz ist der Infek­ti­ons­schutz nicht verhandelbar.

Ähnlich wie Schramm äußern sich auch andere Abitu­ri­en­tin­nen und Abitu­ri­en­ten in den Landes­ver­bän­den. «Wir schüt­zen unsere Famili­en», bei aller Sehnsucht nach einer gemein­sa­men Abschluss­fei­er, nach dem sozia­len Aspekt, den die Schule ausmacht, wie Joanna Kesicka aus Sachsen betont. Eine Verschie­bung der diesjäh­ri­gen Abitur­fei­ern auf das kommen­de Jahr sieht Schramm als keine Lösung: Nach mehr als einem Jahrzehnt Schule, nach dem Stress der Abitur­prü­fun­gen, soll der Schluss­ak­kord nicht warten müssen.

Im Gespräch mit den Schüle­rin­nen und Schülern wird klar: Das Abitur ist für sie nicht nur ein Schul­ab­schluss, sondern das Ende eines Lebens­ab­schnitts und der Beginn des Erwach­se­nen­le­bens. Eine ausge­fal­le­ne Motto­wo­che, der fehlen­de Abistreich und eine abgesteck­te Abschluss­fei­er wiegen schwe­rer als kurzwei­li­ge Disco- oder Festi­val­be­su­che, die seit einem Jahr wegbrechen.

Dabei warten auf die Festko­mi­tees auch prakti­sche Hürden. Die Kassen der Abitur­jahr­gän­ge seien leer, so Schramm. Aktio­nen und Veran­stal­tun­gen, um Geld zu sammeln, seien im letzten Jahr kaum möglich gewesen. Doch es gibt kreati­ve Ansät­ze — etwa gespen­de­te Antei­le an Online­käu­fen und die Unter­stüt­zung von Sparkas­sen. Bei aller gebote­nen Vorsicht ist sich Schramm sicher: Sollte neben einer Zeugnis­über­ga­be auch ein Abiball möglich sein, dann würde alles in Bewegung gesetzt, um das zu finan­zie­ren und zu organisieren.

Auch Schul­lei­te­rin Birgit Rosner will alles tun, um auch in diesem Jahr einen krönen­den Abschluss der Schul­zeit möglich zu machen: «Ich will sie nicht einfach wegschi­cken.» Im vergan­ge­nen Jahr hatten laut Rosner Schule und Abitur­jahr­gang der Bergschu­le Apolda in Thürin­gen mit einer Zeugnis­über­ga­be im Autoki­no und einem Abiball im Freien das maximal Mögli­che erreicht: «Das war eine richtig tolle Lösung.» Obwohl das Kino inzwi­schen schlie­ßen musste und die Regeln stren­ger sind als im Vorjahr, gibt sich die Rekto­rin optimistisch.

Dabei schwingt bei ihr eine Menge Stolz mit, wenn sie erzählt, wie die Abitu­ri­en­tin­nen und Abitu­ri­en­ten mit der Situa­ti­on umgehen. Vor allem erstaunt sie die Motiva­ti­on, der Wille sich auch nach über einem Jahr Ausnah­me­zu­stand nicht unter­krie­gen zu lassen. Die Schüle­rin­nen und Schüler wirken erwach­se­ner und eigen­stän­di­ger als sonst, so Rosner. Sie sieht die aktuel­le Situa­ti­on als Krise — aus der die jungen Erwach­se­nen gestärkt hervor­ge­hen werden.

Hierbei bekommt Rosner von Psycho­lo­gen Rücken­de­ckung: Es könnte bei dieser Genera­ti­on zwar beim Start «etwas ruckeln», aber die jungen Menschen werden das emotio­nal ausglei­chen, wie Hans-Joachim Röthlein, Vorsit­zen­der des Landes­ver­bands bayeri­scher Schul­psy­cho­lo­gin­nen und Schul­psy­cho­lo­gen in Bayern, betont. Er und seine Kolle­gin­nen und Kolle­gen beobach­ten eine sehr große Vernunftorientierung.

Wie Jugend­li­che insge­samt mit der Pande­mie umgehen, das hatte bereits eine gemein­sa­me Forschungs­grup­pe der Goethe-Univer­si­tät Frank­furt und der Univer­si­tät Hildes­heim inter­es­siert. Die Forsche­rin­nen und Forscher befrag­ten daher Schüle­rin­nen und Schüler während des ersten und zweiten Lockdowns zu ihren Erfah­run­gen und Sorgen: «Es geht um Homeof­fice, Wirtschaft, einkau­fen und Noten. Aber unsere Gefüh­le und was das für uns bedeu­tet? Pfff.», heißt es an einer Stelle überaus deutlich. Doch laut Angaben der Forschungs­grup­pe ist dies kein Ausdruck von Wider­spruch gegen die Maßnah­men, ganz im Gegen­teil: Die Jugend­li­chen haben bereit­wil­lig Opfer gebracht, sie wollen nur, dass das auch anerkannt und gesehen wird. Es sind demnach nicht nur die Abitu­ri­en­tin­nen und Abitu­ri­en­ten, sondern die große Mehrzahl der Jugend­li­chen, die zu ihrer Verant­wor­tung stehen.

Ob die Abschluss­jahr­gän­ge schluss­end­lich belohnt werden, bleibt abzuwar­ten: Fragt man in den Kultus­mi­nis­te­ri­en der Länder nach der Planung für die Abitur­fei­ern in diesem Jahr, so schaut man dort noch nicht so weit in die Zukunft. Bereits im vergan­gen Jahr hätte man das Thema erst sehr kurzfris­tig geregelt, heißt es beispiels­wei­se aus Baden-Württem­berg. Erst im Juni — also einen Monat vor der Zeugnis­über­ga­be — sei eine Entschei­dung getrof­fen worden.

Die Schüle­rin­nen und Schüler wollen auf jeden Fall das Beste aus ihren Möglich­kei­ten machen. Leon Schwal­be, der seinen Abschluss selbst erst im nächs­ten Jahr macht, fasst es als Sprecher der Landes­schü­ler­ver­tre­tung Thürin­gen stell­ver­tre­tend zusam­men: Ja, Erleb­nis­se wie ein ausge­fal­le­ner Abistreich könnten nicht ersetzt werden, aber man hätte ja auch eine Verant­wor­tung. Es sei eine «Mischung aus Traurig­keit und Bekennt­nis zur Vernunft.»

Von Sebas­ti­an Schug (dpa)