Was vorher nur schlep­pend voran­ging, funktio­niert durch Corona plötz­lich: Immer mehr Ärzte halten mit ihren Patien­ten Video­sprech­stun­den ab. Wie gut geht das — und wo sind die Limits?

Statt­des­sen verschickt die Wiesba­de­ner Praxis einen Link per Mail, über den sich der Patient oder die Patien­tin einlog­gen kann. Kurz darauf klingelt es auf dem Rechner oder am Smart­phone — und die 51 Jahre alte Hausärz­tin erscheint auf dem Bildschirm.

Enormer Vorschub durch Corona

«Die Teleme­di­zin hat durch Corona einen enormen Schub bekom­men», sagt Spring­born, die mit weißem Arztkit­tel in ihrer Praxis sitzt. Sie führt aller­dings schon seit mehr als zwei Jahren Video­sprech­stun­den durch, mit steigen­der Nachfra­ge: Waren es anfangs fünf Termi­ne im Monat, sind es inzwi­schen zehn pro Woche.

«Die Zahlen sind steil nach oben gegan­gen. Klar ist, ohne Corona hätten wir diesen Anstieg nicht gehabt», sagte Alexan­der Kowal­ski von der Kassen­ärzt­li­chen Verei­ni­gung Hessen.

Direk­te Begeg­nung nicht immer notwendig

Natür­lich habe auch die Video­sprech­stun­de ihre Grenzen. Manche Erkran­kun­gen wie ein grippa­ler Infekt oder ein Hautaus­schlag könnten gut über den Bildschirm diagnos­ti­ziert werden. Wenn es aber darum gehe, den Patien­ten abzutas­ten, sei die direk­te Begeg­nung nicht zu erset­zen. Idealer­wei­se sollten sich Arzt oder Ärztin und Patient oder Patien­tin vor einer Video­sprech­stun­de schon persön­lich kennen, meint der Exper­te. Dank der Technik brauche man dann nicht mehr wegen jeder Kleinig­keit in die Praxis kommen.

Wie eine bundes­wei­te Umfra­ge der Techni­ker Kranken­ver­si­che­rung ergab, kann sich heute jeder Zweite eine Behand­lung per Video­chat vorstel­len, im vergan­ge­nen Jahr war es noch jeder Vierte. Und von den älteren Menschen über 70 Jahren sagte fast jeder Dritte, dass er seinen Arzt auch per Video konsul­tie­ren würde (2019: 13 Prozent). Für 78 Prozent aller Befrag­ten ist die Zeiter­spar­nis ein wichti­ger Grund, die Technik zu nutzen, da Anfahrts­we­ge und Warte­zei­ten entfal­len. Für 71 Prozent ist es die Angst vor einer mögli­chen Ansteckung.

Alter­na­ti­ve wird gut angenommen

«Video­sprech­stun­den werden heute von den Patien­ten per Compu­ter, Smart­phone oder Tablet ganz selbst­ver­ständ­lich als Alter­na­ti­ve zum physi­schen Arztbe­such in Anspruch genom­men. Sie sind aber auch in den Praxen zu einer wertvol­len Unter­stüt­zung des Alltags gewor­den», sagt die Leite­rin der hessi­schen TK-Landes­ver­tre­tung, Barba­ra Voß.

Seit 2017 dürfen Ärzte Video­sprech­stun­den abrech­nen. Für Psycho­the­ra­peu­ten gilt das seit 2019. Neben einer Gesprächs­pau­scha­le bekom­men sie weite­re Zuschlä­ge. Seit März können die digita­len Sprech­stun­den unbegrenzt abgerech­net werden. Die Locke­rung gilt laut der Kassen­ärzt­li­chen Bundes­ver­ei­ni­gung (KVB) vorerst noch bis Ende des Jahres. Um Video­sprech­stun­den anzubie­ten, müssen Praxen unter anderem nachwei­sen, dass sie einen zerti­fi­zier­ten Video­di­enst­an­bie­ter nutzen. Wichtig ist laut KVB vor allem ein siche­rer Datenschutz.

Digita­le Sprech­stun­de bleibt eine Ergänzung

Nachteil der Technik ist, dass manche Patien­ten Vorbe­hal­te haben oder ihnen schlicht die techni­schen Voraus­set­zun­gen fehlen. Somit kann es sich immer nur um ein ergän­zen­des Angebot handeln, das nicht das Recht auf eine analo­ge Behand­lung ersetzt, wie Kowal­ski von der KV Hessen erklärt.

In der Praxis von Susan­ne Spring­born dürfen sich Patien­ten sogar Tablets auslei­hen, um die digita­len Sprech­stun­den auszu­pro­bie­ren. «Wir haben den Anspruch, auch technik­fer­ne Menschen einzu­brin­gen», sagt die Ärztin.