LONDON (dpa) — Vom designier­ten Premier wird eine «ruhige Hand» erwar­tet. Vor allem die Wirtschaft setzt darauf, dass Rishi Sunak keine finanz­po­li­ti­schen Experi­men­te wagt. Dennoch warten viele Baustel­len auf ihn.

Das Verei­nig­te König­reich bekommt heute seinen dritten Premier­mi­nis­ter in wenigen Monaten. Ex-Finanz­mi­nis­ter Rishi Sunak soll am späten Vormit­tag von König Charles III. formell mit der Regie­rungs­bil­dung betraut werden, wie Downing Street mitteilte.

Die Konser­va­ti­ve Partei hofft nun, dass Sunak nach der skandal­um­wit­ter­ten Zeit von Boris Johnson und der kurzen chaoti­schen Amtszeit von Liz Truss die Kurve kriegt und wieder in ruhiges Fahrwas­ser führt. Doch auf den jüngs­ten Premier­mi­nis­ter seit mehr als 200 Jahren warten gewal­ti­ge Aufgaben.

«Sunak erbt eine alptraum­haf­te Suppe politi­scher und wirtschaft­li­cher Düster­nis: eine gespal­te­ne Partei, seit zwölf Jahren an der Regie­rung, offen­bar süchtig nach inter­nen Strei­te­rei­en, düste­re öffent­li­che Finan­zen, steigen­de Preise und einen Krieg in Europa», kommen­tier­te die BBC.

Zuvor wird die amtie­ren­de Premier­mi­nis­te­rin Truss auf den Tag genau sieben Wochen nach ihrem Amtsan­tritt von Charles offizi­ell entlas­sen. Truss hatte mit radika­len Steuer­re­for­men die Finanz­märk­te in hefti­ge Turbu­len­zen gestürzt — sie musste darauf­hin auch auf partei­in­ter­nen Druck hin zurückrudern.

Erster Hindu in der Downing Street

Der 42-jähri­ge Sunak war am Montag von seiner Partei zum Vorsit­zen­den und damit künfti­gen Premier gekürt worden. Er war der einzi­ge Abgeord­ne­te, der auf die erfor­der­li­che Zahl von mindes­tens 100 Unter­stüt­zern in der Tory-Frakti­on kam. Seine einzi­ge Konkur­ren­tin Penny Morda­unt, Minis­te­rin für Parla­ments­fra­gen, zog ihre Bewer­bung zurück. Damit war klar, dass mit Sunak erstmals ein indisch­stäm­mi­ger Politi­ker und gläubi­ger Hindu in die Downing Street einzieht.

Vor der berühm­ten Tür mit der Nummer 10 will er sich gegen 12.35 Uhr (MESZ) an die Nation wenden. Sunaks Erfolg sei das bemer­kens­wer­tes­te politi­sche Comeback der moder­nen Geschich­te, kommen­tier­te der Sender Sky News. Der verhei­ra­te­te Vater zweier Töchter hatte noch im Sommer die partei­in­ter­ne Wahl gegen Truss verloren.

Seine größte Heraus­for­de­rung dürfte nun darin bestehen, die Reihen in seiner zuletzt tief gespal­te­nen Partei wieder zu schlie­ßen. Bei seinem ersten kurzen öffent­li­chen Auftritt kündig­te Sunak an, er wolle Land und Partei einen. Doch das könnte schwie­rig werden, wie der Polito­lo­ge Mark Garnett der Deutschen Presse-Agentur sagte. Kurzfris­tig dürften zwar die meisten Tory-Abgeord­ne­ten froh sein, dass es nun mit Sunak einen Partei­chef gebe, «der nicht tempe­ra­ment­voll spalte­risch wirkt». Aller­dings gebe es Parla­men­ta­ri­er, die Sunak nie verge­ben, weil sie ihm vorwer­fen, mit seinem Rücktritt Anfang Juli für das Aus des bei der Partei­ba­sis belieb­ten Boris Johnson verant­wort­lich zu sein.

«Sunaks Schwie­rig­kei­ten werden begin­nen, wenn er versucht, ein Kabinett zu nominie­ren, das die verschie­de­nen Strömun­gen inner­halb der Partei wider­spie­gelt», sagte Garnett. Denn in diesem Falle müsse Sunak einige promi­nen­te Minis­ter feuern, die noch von Johnson oder Truss einge­setzt worden waren. «Das wird die Zahl seiner Feinde in der Frakti­on nur noch erhöhen.» Gewöhn­li­che Partei­mit­glie­der seien zudem sauer, weil sie sich im Sommer für Truss und gegen Sunak entschie­den hatten und nun nicht zur Abstim­mung gebeten wurden.

Briten wollen Neuwahlen

Die Opposi­ti­on fordert vorge­zo­ge­ne Parla­ments­wah­len und scheint damit einen Nerv zu treffen. Das Meinungs­for­schungs­in­sti­tut Ipsos ermit­tel­te, dass knapp zwei Drittel der Britin­nen und Briten noch in diesem Jahr eine Neuwahl wollen. Die nächs­te regulä­re Abstim­mung muss spätes­tens im Januar 2025 statt­fin­den. Sunak schloss eine vorge­zo­ge­ne Wahl aus. Umfra­gen sehen die Tories weit abgeschla­gen hinter der stärks­ten Opposi­ti­ons­par­tei Labour.

Die Wirtschaft reagier­te positiv auf die Kür des frühe­ren Schatz­kanz­lers, der als «ruhige Hand» gilt und für seine Maßnah­men in der Corona-Pande­mie sehr gelobt wurde. Damals hatte er unter anderem ein «Furlough» genann­tes Programm aufge­legt, das der deutschen Kurzar­beit ähnelt und zahlrei­che Jobs rettete.

Der Präsi­dent der Briti­schen Handels­kam­mer in Deutsch­land (BCCG), Micha­el Schmidt, forder­te, Sunak müsse nun Lösun­gen für die drängen­den Heraus­for­de­run­gen präsen­tie­ren, um das Vertrau­en bei der Bevöl­ke­rung, der Wirtschaft und den inter­na­tio­na­len Partnern zurück­zu­ge­win­nen. «Ganz schnell braucht es jetzt drei Dinge: Verläss­lich­keit, Verläss­lich­keit und Verläss­lich­keit», sagte Schmidt.

Spannend wird zudem sein, ob Sunak im Streit mit der EU um Brexit-Sonder­re­geln für Nordir­land weiter auf Eskala­ti­on setzen wird. EU-Ratschef Charles Michel erinner­te Sunak an den Wert von Koope­ra­ti­on und Stabi­li­tät. «Nur gemein­sam können wir uns den gemein­sa­men Heraus­for­de­run­gen stellen… und Stabi­li­tät ist der Schlüs­sel, sie zu bewäl­ti­gen», twitter­te Michel.

Von Benedikt von Imhoff, dpa