BERLIN (dpa) — Die meisten Corona-Regeln sind ab Sonntag in weiten Teilen Deutsch­lands passé. Doch das Corona­vi­rus ist noch da. Einige Maßnah­men zum Infek­ti­ons­schutz bleiben auf der Tagesordnung.

Trotz hoher Anste­ckungs­ra­ten entfal­len am Sonntag in Deutsch­land die meisten Corona-Beschrän­kun­gen. Der stell­ver­tre­ten­de FDP-Chef Wolfgang Kubicki sieht darin einen «wichti­gen und erfreu­li­chen Schritt in Richtung Normalität».

«Wir vollzie­hen das nach, was auch in den europäi­schen Nachbar­län­dern zum Teil schon seit länge­rem umsetzt wird», sagte der Bundes­tags­vi­ze­prä­si­dent der Deutschen Presse-Agentur. Debat­tiert wird aber weiter über eine allge­mei­ne Impfpflicht, das Tragen von Schutz­mas­ken und gelocker­te Quarantäneregeln.

Busch­mann: Kein «schlam­pi­ges Gesetz»

Bundes­jus­tiz­mi­nis­ter Marco Busch­mann vertei­dig­te das geänder­te Infek­ti­ons­schutz­ge­setz mit dem Verweis auf die Vertei­di­gung der Grund­rech­te. Das Gesetz sei streng, räumte er auf einem Landes­par­tei­tag der NRW-FDP am Samstag in Duisburg ein. «Wenn es um den Schutz der Freiheit der Bürge­rin­nen und Bürger geht, ist ein stren­ges Gesetz ein gutes Gesetz und das Gegen­teil von einem schlam­pi­gen Gesetz», unter­strich der FDP-Politiker.

Nach dem geänder­ten Infek­ti­ons­schutz­ge­setz fallen am Sonntag in weiten Teilen Deutsch­lands die meisten staat­li­chen Aufla­gen weg. Angeord­net werden können in fast allen Bundes­län­dern nur noch wenige allge­mei­ne Vorga­ben zu Masken etwa in Praxen, Pflege­hei­men, Klini­ken, Bussen und Bahnen sowie zu Tests etwa in Schulen. Weiter­ge­hen­de Aufla­gen gelten nur noch in Mecklen­burg-Vorpom­mern und Hamburg. Beide Länder nutzen als vorerst einzi­ge die sogenann­te Hotspot-Regel. Sie erlaubt zusätz­li­che Vorga­ben, wenn das Landes­par­la­ment eine regio­nal drohen­de kriti­sche Lage für die Klini­ken feststellt. Unabhän­gig von staat­li­chen Regeln können Firmen, Geschäf­te und andere Einrich­tun­gen nach Hausrecht weiter­hin Vorga­ben wie Masken­pflich­ten beibehalten.

Bundes­weit bleiben die Infek­ti­ons­zah­len hoch, auch wenn sie seit einigen Tagen sinken. Das Robert Koch-Insti­tut (RKI) gab den Wert der Corona-Neuin­fek­tio­nen pro 100.000 Einwoh­ner und Woche am Samstag mit 1531,5 an. Am Vortag hatte der Wert bei 1586,4 und eine Woche zuvor bei 1758,4 gelegen.

Schutz­mas­ken gehören noch nicht auf den Müll

Kubicki beton­te, die Masken­pflicht werde auch in Bussen und Bahnen irgend­wann fallen müssen, das stehe aber noch nicht zur Debat­te. Die Chefin der Ärzte­ge­werk­schaft Marbur­ger Bund, Susan­ne Johna rief dazu auf, in Innen­räu­men weiter Maske zu tragen. «Gerade in Super­märk­ten und Restau­rants sind Masken weiter­hin von großer Bedeu­tung, um Infek­tio­nen einzu­däm­men», sagte Johna dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutschland.

Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach (SPD) riet dies ebenfalls. «Das Risiko, sich zu infizie­ren, ist selten höher gewesen als jetzt», machte der Minis­ter im Deutsch­land­funk. Lauter­bach verwies zudem auf die weiter­hin 200 bis 300 Menschen, die täglich im Zusam­men­hang mit Corona sterben. «Das ist nicht akzep­ta­bel. Das ist ein Flugzeug­ab­sturz jeden Tag», sagte der Minister.

Ein Sprecher der Deutschen Bahn machte deutlich, dass die Masken­pflicht in Bussen und Bahnen auch weiter­hin kontrol­liert wird. Ob im Nahver­kehr neben FFP2- auch medizi­ni­sche Masken erlaubt sind und wie Masken­pflicht auf Bahnstei­gen geregelt wird, ist in Länder­ver­ord­nun­gen festge­legt. Die 3G-Regel (geimpft, genesen, getes­tet) war schon zum 20. März aufge­ho­ben worden. Ab Sonntag entfällt sie dem Bahnspre­cher zufol­ge auch für die Nutzung der Bordgas­tro­no­mie in den Fernzügen.

Ringen um allge­mei­ne Impfpflicht

Gestrit­ten wird noch über eine allge­mei­ne Impfpflicht. Der Bundes­tag stimmt am Donners­tag darüber ab. Auf dem Tisch liegen mehre­re Anträ­ge, unter anderem über eine Impfpflicht ab 18 und ab 50 Jahren. Lauter­bach bezeich­ne­te beide Anträ­ge als gut und verwies auf weiter laufen­de Verhand­lun­gen. Sollte es einen Antrag geben, der das Beste aus beiden vereint, wäre das ein Erfolg. «Ich glaube, wir werden am Donners­tag einen Antrag zur allge­mei­nen Impfpflicht durch­brin­gen», sagte der Minis­ter im Deutsch­land­funk. Er werde «bis zur letzten Stunde darum gerungen».

Die Union lehnt beide Anträ­ge ab und schlägt statt­des­sen ein Impfvor­sor­ge­ge­setz vor. Demnach soll ein Impfre­gis­ter aufge­baut und ein «gestuf­ter Impfme­cha­nis­mus» einge­führt werden, der von Bundes­tag und Bundes­rat je nach Pande­mie­la­ge aktiviert werden kann. CDU-Chef Fried­rich Merz schrieb auf Twitter: «Falls vorläu­fig keine Impfpflicht in Deutsch­land kommt, befän­den wir uns in guter Gesell­schaft auf der Welt.»

Der Vorstands­vor­sit­zen­de der Deutschen Kranken­haus­ge­sell­schaft (DKG), Gerald Gaß, warnte dagegen vor einer nächs­ten Welle, sollte es keine allge­mei­ne Impfpflicht geben. Nur eine möglichst hohe Impfquo­te werde die Gefahr einer Klinik­über­las­tung bannen, sagte Gaß den Zeitun­gen der Funke Medien­grup­pe. In der «Welt am Sonntag» beton­te Gaß, ein Schei­tern einer allge­mei­nen Impfpflicht würde auch die schon gelten­de einrich­tungs­be­zo­ge­ne Impfpflicht infra­ge stellen. «Diese ist dann den betrof­fe­nen Kranken­haus-Beschäf­tig­ten nicht mehr erklär­bar», sagte Gaß.

Gewerk­schaf­ten warnen vor gelocker­ten Quarantäne-Regeln

Auf der Tages­ord­nung bleiben auch Regeln zur Abson­de­rung von Corona-Infizier­ten und Kontakt­per­so­nen. Gesund­heits­mi­nis­te­ri­um und RKI wollen die Frist auf fünf Tage verkür­zen und weniger streng handha­ben. Die Länder können bis Montag dazu Stellung nehmen.

Der Deutsche Gewerk­schafts­bund (DGB) kriti­sier­te, mit diesem Vorschlag gäbe der Bund die Bekämp­fung des Infek­ti­ons­ge­sche­hens faktisch aus der Hand. «Zusam­men mit dem Ende der Masken­pflicht wäre das Ergeb­nis verhee­rend: Perso­nen mit beson­de­rem Risiko einer schwe­ren Erkran­kung könnten sich beim Einkauf im Super­markt dann nicht einmal darauf verlas­sen, dass sich keine nachweis­lich Corona-Infizier­ten im Laden befin­den», sagte DGB-Vorstands­mit­glied Anja Piel der dpa. Piel warnte auch, dass Betrie­be dann selbst zu «Infek­ti­ons­be­schleu­ni­gern» werden.