BRÜSSEL/ATHEN (dpa) ‑Wegen Korruptionsverdachts hat die Polizei in Brüssel fünf Menschen festgenommen, darunter die Vize-Präsidentin des EU-Parlaments. Ein Golfstaat soll versucht haben, Einfluss auf das Parlament zu nehmen.
In Zusammenhang mit Korruptionsermittlungen in Belgien ist nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur die Vize-Präsidentin des Europaparlaments, Eva Kaili, festgenommen worden.
Die Griechin war gestern bereits aus ihrer Partei, der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok), ausgeschlossen worden. Die sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament setzte Kailis Mitgliedschaft mit sofortiger Wirkung aus. Nach Angaben der belgischen Staatsanwaltschaft gab es in dem Fall am Freitag 16 Durchsuchungen. Fünf Personen wurden festgenommen. Kaili ist eine von 14 Vize-Präsidentinnen und ‑Präsidenten des Parlaments.
Bei den Ermittlungen gehe es um eine mutmaßliche kriminelle Organisation, versuchte Einflussnahme durch einen Golfstaat sowie Vorwürfe von Korruption und Geldwäsche, teilte die Behörde mit. Man habe seit mehreren Monaten den Verdacht, dass ein Golfstaat versuche, die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen des EU-Parlaments zu beeinflussen. Medienberichten zufolge handelt es sich um Katar. Beträchtliche Geldsummen oder Sachgeschenke seien vermutlich an Personen im Parlament verteilt worden, die eine politische oder strategische Position innehätten.
EU-Parlamentsvize Beer schockiert
Die deutsche Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Nicola Beer, zeigte sich schockiert über die aktuellen Korruptionsvorwürfe. «Das macht mich fassungslos», sagte die FDP-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. «Es ist völlig klar, dass das insgesamt negative Auswirkungen auf das Parlament hat.»
Beer sagte der dpa, Kaili habe das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger ins Europaparlament erschüttert. «Ich hoffe, dass sie von sich aus Konsequenzen zieht.» Zunächst solle sie ihren Posten als stellvertretende Präsidentin des Europaparlaments abgeben. Falls die Ermittlungen den Verdacht bestätigen, solle die frühere Journalistin auch als Abgeordnete zurücktreten.
Ermittlungen und Reaktionen
Die nun festgenommene Kaili hatte noch am 21. November eine Rede im Europaparlament zur derzeit laufenden Fußball-Weltmeisterschaft in Katar gehalten. Darin bezeichnete die 44-jährige Politikerin das Sport-Ereignis als Beweis dafür, «dass Sportdiplomatie einen historischen Wandel in einem Land bewirken kann, dessen Reformen die arabische Welt inspiriert haben». Katar sei etwa bei Arbeitsrechten ein Vorreiter. Zuvor hatte Kaili den katarischen Arbeitsminister Samikh Al Marri getroffen, wie der katarische EU-Botschafter Christian Tudor auf Twitter schrieb.
Kaili ist seit 2014 Europaabgeordnete und seit 2022 Vize-Präsidentin des Parlaments. Von 2004 bis 2007 war sie ihrem Lebenslauf auf der Parlaments-Homepage zufolge Nachrichtensprecherin und Journalistin, später auch noch PR-Beraterin in Griechenland.
Die belgische Staatsanwaltschaft teilte nun mit, unter den Befragten sei auch ein ehemaliger EU-Abgeordneter. Bei den Durchsuchungen wurden demnach unter anderem 600.000 Euro Bargeld sowie Handys beschlagnahmt.
Ein Sprecher des Europaparlaments sagte auf Anfrage, zu laufenden Ermittlungen äußere man sich nicht. Man werde jedoch vollständig mit den zuständigen Behörden kooperieren. Ähnlich äußerte sich die sozialdemokratische Fraktion des Parlaments. Die Fraktion habe keine Toleranz für Korruption. Zugleich müssten im Parlament die Arbeit an allen Themen, die die Golfstaaten betreffen, sowie die Plenarabstimmungen dazu ausgesetzt werden.
Der Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe Anti-Korruption des Parlaments, Daniel Freund, zeigte sich von den Ermittlungen geschockt. «Die Vorwürfe müssen lückenlos aufgeklärt werden», sagte der Grünen-Politiker. Geld dürfe bei den Entscheidungen in Europas größtem Parlament keine Rolle spielen. Es drohe ein gewaltiger Vertrauensverlust.
Justiz will am Sonntag entscheiden
Am Sonntag wird sich entscheiden, ob die griechische Politikerin und vier weitere Verdächtige im Gefängnis bleiben. Dann werde über mögliche Haftbefehle befunden, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel.
Zu den Festgenommenen gehört nach dpa-Informationen auch der Lebensgefährte der griechischen Europa-Abgeordneten, der im Parlament als Berater für Außenpolitik und Menschenrechte arbeitet. Zudem ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft ein ehemaliger Europaabgeordneter unter den Festgenommenen. Medienberichten zufolge haben alle Verdächtigen außer Kaili die italienische Staatsangehörigkeit oder sind italienischer Herkunft.
Bei den Ermittlungen geht es nach Angaben der Staatsanwaltschaft um eine mutmaßliche kriminelle Organisation, versuchte Einflussnahme aus dem Ausland sowie Vorwürfe von Korruption und Geldwäsche. Man habe seit mehreren Monaten den Verdacht, dass ein Golfstaat versuche, die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen des EU-Parlaments zu beeinflussen. Nach dpa-Informationen handelt es sich dabei um das Emirat Katar, wo derzeit die Fußball-WM ausgetragen wird.