NÜRNBERG (dpa) — Die aktuel­le Energie­preis­kri­se schüt­telt die deutsche Wirtschaft kräftig durch. Inzwi­schen glauben Fachleu­te nicht mehr, dass am Ende alles weiter­ge­hen kann wie zuvor.

Der immense Verlust an Kaufkraft und die Kosten­ex­plo­si­on wegen hoher Energie­prei­se für Unter­neh­men führen die deutsche Wirtschaft nach Auffas­sung von Volks­wir­ten gerade­wegs in die Rezes­si­on. Marc Schat­ten­berg von Deutsche Bank Research sieht für das nächs­te Jahr sogar einen Rückgang der Wirtschafts­leis­tung in Höhe von 3,5 Prozent voraus.

Andere Volks­wir­te sehen einer dpa-Umfra­ge zufol­ge die Auswir­kun­gen etwas milder, die Konjunk­tur aber immer noch deutlich auf Talfahrt. «Der Konjunk­tur­ab­schwung wird auch am Arbeits­markt Spuren hinter­las­sen», sagte Fritzi Köhler-Geib, Chefvolks­wir­tin der staat­li­chen Förder­bank KfW.

Vor allem die priva­ten Haushal­te und ihre Kaufkraft müssen schwer Federn lassen. «Durch die hohe Infla­ti­on hat sich die Finanz­la­ge der priva­ten Haushal­te seit Jahres­be­ginn erheb­lich verschlech­tert», kommen­tier­te Köhler-Geib. «Im zweiten Quartal waren die verfüg­ba­ren Einkom­men der priva­ten Haushal­te nach Abzug der Infla­ti­ons­ra­te 1,9 Prozent niedri­ger als im Vorjah­res­quar­tal. Im zweiten Halbjahr werden die Realein­kom­men voraus­sicht­lich weiter sinken», sagte sie.

«Der Verlust an Kaufkraft dämpft den Konsum und zusam­men mit den gestie­ge­nen Zinsen auch den priva­ten Wohnungs­bau.» Marc Schat­ten­berg sieht es ähnlich: «Ein Großteil der Haushal­te wird mit spürba­ren realen Einkom­mens­ver­lus­ten zurecht­kom­men müssen.» Katha­ri­na Utermöhl, Volks­wir­tin bei der Allianz-Gruppe, bringt die Lage noch deutli­cher auf den Punkt: «Wir werden alle ärmer aus der Krise herauskommen.»

Noch nicht genug im Bewusstsein

Deutsch­land durch­le­be die schwers­te Krise der vergan­ge­nen 50 Jahre. «Das stellt die große Finanz­kri­se und die Euro-Schul­den­kri­se in den Schat­ten», sagte sie. Der Infla­ti­ons­schmerz müsse nun abgefe­dert werden. Einer­seits durch fiskal­po­li­ti­sche Maßnah­men des Staates, anderer­seits aber auch durch Sparver­hal­ten der Privatleute.

Hier sei noch nicht genug Bewusst­sein entstan­den, sagte auch Chris­toph Siebecke von der Olden­bur­gi­schen Landes­bank. «Die Politik sollte den Preis nicht zu sehr beein­flus­sen. Sonst werden die Haushal­te nicht reagie­ren», sagte zu er zur Diskus­si­on über die mögli­che Decke­lung von Energie­prei­sen. «Der Sparan­reiz für die Verbrau­cher muss spürbar bleiben», meint auch Veroni­ka Grimm, Mitglied im Sachver­stän­di­gen­rat der Bundes­re­gie­rung, den sogenann­ten «Wirtschafts­wei­sen».

Für sie ist einer der Schlüs­sel dafür, wie Deutsch­land in der Lage sein werde, die Krise abzufe­dern, die Bereit­stel­lung von genügend Energie. «Man sollte auf der Angebots­sei­te alle Möglich­kei­ten ausschöp­fen. Das Angebot an Energie muss erhöht werden», beton­te sie. «Ich habe das Gefühl, dass nicht allen bewusst ist, dass die Erneu­er­ba­ren Energien allei­ne nicht schnell genug als Ersatz zur Verfü­gung stehen werden», fügte sie hinzu. Es seien beispiels­wei­se erst zwei Kohle­kraft­wer­ke wieder ans Netz gegan­gen. «Auch die Atomkraft­wer­ke sollten im kommen­den Jahr weiter­lau­fen und nicht nur in Betriebs­be­reit­schaft sein», verlang­te sie.

Kartell­amt ist gefragt

Siebecke forder­te in diesem Zusam­men­hang die Energie­kon­zer­ne auf, Abschlä­ge auf den Märkten unver­züg­lich an die Kunden weiter­zu­ge­ben. «Die Weltmarkt­prei­se sind inzwi­schen weit weg von den Hochs, die wir schon einmal gesehen haben», sagte er. «Es wäre gut, wenn das Kartell­amt da noch mehr hingu­cken könnte.»

Deutsche-Bank-Volks­wirt Marc Schat­ten­berg glaubt, dass die wirklich großen Proble­me erst im ersten und zweiten Quartal des nächs­ten Jahres auf Deutsch­land zurol­len werden. Wenn die vor dem Winter nun gut gefüll­ten Gasspei­cher geleert seien und Gas im großen Stil zum Wieder­auf­fül­len gekauft werden müsse, werde der Preis weiter steigen. Gleich­zei­tig würden die mit dem Jahres­wech­sel häufig neu abzuschlie­ßen­den Stadt­wer­ke-Verträ­ge den priva­ten Gaskun­den kräfti­ge Löcher in die Taschen fressen.

Die Volks­wir­te erwar­ten, dass es im Zuge der Energie­preis­kri­se auch zu mehr Insol­ven­zen kommt — vor allem bei kleine­ren Unter­neh­men mit hohem Anteil an Energie­kos­ten. Auch der Export werde leiden, weil die Handels­part­ner im Ausland ebenfalls Kaufkraft­ver­lus­te hinneh­men müssten, sagte Köhler-Geib.

In diesem Zusam­men­hang plädier­ten die Fachleu­te auch für gemäßig­te Lohnab­schlüs­se bei den anste­hen­den Tarif­ver­hand­lun­gen. «Das Argument der vollen Auftrags­bü­cher wird an Kraft verlie­ren», sagte Schat­ten­berg. Und Veroni­ka Grimm beton­te: «Die Verhand­lungs­macht der Gewerk­schaf­ten ist aufgrund des Fachkräf­te­man­gels groß. Anderer­seits stehen viele Unter­neh­men unter Druck. Es bleibt abzuwar­ten, was das für die Abschlüs­se bedeutet.»

Von Micha­el Donhau­ser, dpa