Nächs­te Woche steht die Entschei­dung über die Fortdau­er des Lockdowns an. Viele Exper­ten setzen auf eine Verlän­ge­rung. Doch einer, der als beson­ders vorsich­tig gilt, hält eine Ausnah­me für denkbar.

Medizi­ner und Wirtschafts­exper­ten fordern eine Verlän­ge­rung der Corona-Beschrän­kun­gen über den 10. Januar hinaus — und doch gibt es auch unter den Vorsich­ti­gen Stimmen, die begrenz­te Locke­run­gen unter Umstän­den für möglich halten.

Der SPD-Gesund­heits­exper­te Karl Lauter­bach, der zu den strik­ten Lockdown-Befür­wor­tern zählt, befür­wor­tet unter bestimm­ten Bedin­gun­gen eine Wieder­öff­nung von Kitas und Grund­schu­len ab der zweiten Januar­hälf­te. «Voraus­set­zung wäre, dass alle anderen Klassen­stu­fen geteilt würden und wechselnd Präsenz- und Digital­un­ter­richt erhal­ten. Oder der Präsenz­un­ter­richt ganz ausge­setzt wird», sagte Lauter­bach der Düssel­dor­fer «Rheini­schen Post» (Samstag).

Eine generel­le Öffnung der Schulen lehnt er jedoch ab. Es sei wissen­schaft­lich erwie­sen, dass Kinder ab zwölf Jahren genau­so anste­ckend seien wie Erwach­se­ne. Es bestün­de dann die Gefahr, dass der angestreb­te Wert von 50 Neuin­fek­tio­nen je 100 000 Einwoh­ner und Woche trotz des Lockdowns nicht erreicht werde. «Daher wäre das ein großer Fehler», sagte er. Unter diesem Wert gilt die Pande­mie als beherrsch­bar. Derzeit liegt er im bundes­wei­ten Schnitt über 140.

Die Minis­ter­prä­si­den­ten der Länder wollen am 5. Januar mit Kanzle­rin Angela Merkel (CDU) darüber beraten, wie es nach dem 10. Januar mit den zunächst bis dahin befris­te­ten Maßnah­men weiter­geht. Zuvor beraten die Kultus­mi­nis­ter am Montag über die Situa­ti­on der Schulen. Sie halten vor allem die Öffnung der Kitas und Grund­schu­len für vorran­gig, weil eine digita­le Betreu­ung nicht möglich ist und jünge­re Schüler für Digital­un­ter­richt selbst bei vorhan­de­ner Technik noch zu unselbst­stän­dig sind.

Generell warnen Wissen­schaft­ler jedoch vor weitge­hen­den Locke­run­gen des seit 14. Dezem­ber gelten­den sogenann­ten Lockdowns mit strik­ten Kontakt­be­gren­zun­gen und weitge­hen­den Schlie­ßun­gen von Geschäf­ten, Freizeit­ein­rich­tun­gen, Gastro­no­mie und Hotellerie.

Der Präsi­dent der Deutschen Inter­dis­zi­pli­nä­ren Verei­ni­gung für Inten­siv- und Notfall­me­di­zin (Divi), Uwe Janssens, hält die Zielmar­ke sogar für zu lasch. «Wir Inten­siv­me­di­zi­ner raten dringend dazu, bis zu einem Inzidenz­wert von unter 25 Neuin­fek­tio­nen je 100 000 Einwoh­ner und Woche keine Locke­run­gen in Aussicht zu stellen», sagte er der Düssel­dor­fer «Rheini­schen Post» (Samstag). «Wir werden erst Ende kommen­der Woche in den Kranken­häu­sern sehen, wie stark Weihnach­ten zur Verbrei­tung von Covid-19 beigetra­gen hat. Die Effek­te von Silves­ter dann noch deutlich später.» Mit einer Entspan­nung auf den Inten­siv­sta­tio­nen rechnet er erst im Sommer.

Die Vorsit­zen­de der Ärzte­ge­werk­schaft Marbur­ger Bund, Susan­ne Johna, wünscht sich «eine möglichst einheit­li­che Verlän­ge­rung der Kontakt­be­schrän­kun­gen», wie sie den Zeitun­gen der Funke-Medien­grup­pe sagte. «Das Gesund­heits­sys­tem braucht dringend eine Entlas­tung, die nur durch eine Verlän­ge­rung der Maßnah­men zur Kontakt­be­schrän­kung zu errei­chen ist.»

Auch Wirtschafts­exper­ten warnen vor Locke­run­gen. «Für die
Wirtschaft muss es obers­te Priori­tät haben, dass die zweite
Infek­ti­ons­wel­le möglichst schnell begrenzt wird»,
sagte der Präsi­dent des Deutschen Insti­tuts für Wirtschafts­for­schung, Marcel Fratz­scher, der «Augsbur­ger Allge­mei­nen» (Samstag). «Wirtschaft­li­che Locke­run­gen jetzt mögen kurzfris­tig manchen nutzen, langfris­tig würden sie jedoch
allen schaden.»

Die Ärzte-Gewerk­schaf­te­rin Johna dämpf­te zudem die Hoffnung auf eine rasche Entspan­nung durch den Start der Impfun­gen. «Bei allem Optimis­mus muss uns klar sein, dass durch die Impfung zumin­dest in den ersten drei Monaten des neuen Jahres kaum Entlas­tung für das Infek­ti­ons­ge­sche­hen zu erwar­ten ist.»

Denn der Impfstoff ist knapp. Die Bundes­re­gie­rung erwar­tet für das erste Quartal bis zu 12 Millio­nen Dosen des bisher einzi­gen zugelas­se­nen Impfstoffs der Herstel­ler Biontech/Pfizer, mit dem sechs Millio­nen Menschen geimpft werden könnten. Zudem erwar­tet sie bereits kommen­de Woche die Zulas­sung des Präpa­rats von Moder­na. Für einen Sieg über die Pande­mie in Deutsch­land gilt eine Immuni­sie­rung von mindes­tens 50 Millio­nen Menschen als nötig.

Auf Vorwür­fe, die Bundes­re­gie­rung habe mehr vom Biontech-Impfstoff bestel­len müssen, gab die Gesund­heits­exper­tin der Grünen-Frakti­on, Kordu­la Schulz-Asche, in der «Welt» (Samstag) zu beden­ken, dass auch das Biontech-Vakzin im Sommer erst in der Testpha­se gewesen sei.