Manche Menschen sind schon gegen das Corona­vi­rus geimpft, viele noch nicht. Bei Diskus­sio­nen um Vortei­le für Geimpf­te kann rasch das Gefühl auftau­chen, zu kurz zu kommen. Wie geht man damit um?

BERLIN (dpa/tmn) – Die Warte­schlan­ge für die Corona-Impfun­gen ist lang, viele Menschen fragen sich: Wieso bin ich noch nicht dran? Neben dem Schutz vor schlim­mer Erkran­kung soll das Impfen auch wieder mehr Norma­li­tät im Alltag oder beim Reisen ermög­li­chen — Grund genug, dass Emotio­nen manch­mal hochko­chen. Eckehard Pioch, Psycho­ana­ly­ti­ker und Vorsit­zen­der des Psycho­ana­ly­ti­schen Insti­tuts Berlin, erklärt im Inter­view, wie man mit dem Thema Impfneid am besten umgehen kann.

Frage: Was hat es mit dem sogenann­ten Impfneid auf sich?

Eckehard Pioch: Neid ist immer eine Emoti­on des Verglei­ches. Jemand hat etwas, das mir begeh­rens­wert erscheint: Ich habe es nicht, der andere schon. Neid ist ja eine Mischung aus Wut, Angst und auch Scham. Am Anfang hatte die Pande­mie-Lage etwas Gleich­ma­chen­des, alle waren gleicher­ma­ßen betrof­fen. Aber jetzt gibt es mit dem Impfstoff ein erstmal noch knappes Gut, das für alle begeh­rens­wert ist.

Diese Mangel­si­tua­ti­on ruft gerade­zu den Vergleich hervor. Schnell stellt sich die Frage: Wieso wird der andere geimpft und ich noch nicht? Die Krite­ri­en der Vertei­lung werden infra­ge gestellt und der eigene Mangel wird einem bewusst.

Frage: Ist denn dieses Gefühl nur negativ oder kann Neid positiv sein?

Pioch: Neid kann sehr wohl positiv sein. Er kann dazu führen, dass ich mich dafür einset­ze, dass sich bestimm­te Dinge verän­dern. Er kann Menschen in Aktivi­tät führen. So kann man sich in demokra­ti­schen Gemein­den durch­aus dafür einset­zen, dass Impfrei­hen­fol­gen dort, wo es sinnvoll ist, geändert werden. Es gibt aber auch einen destruk­ti­ven Neid: Ich versu­che zum Beispiel zu verhin­dern, dass Geimpf­te Privi­le­gi­en bekom­men. Ich gönne es dem anderen nicht, weil ich es selbst noch nicht habe.

Frage: Wie geht man mit solchen Gefüh­len um?

Pioch: Aus psycho­ana­ly­ti­scher Sicht ist es immer am besten, ein Gefühl wahrzu­neh­men und erstmal so anzuneh­men. Beim Neid ist das nicht leicht, denn dieses Gefühl ist immer mit Scham verbunden.

Mein Rat ist trotz­dem, aufrich­tig bei sich zu schau­en und den Neid anzuer­ken­nen. Dann ist man ihm schon einmal nicht so ausgeliefert.
Weiter ist es wichtig, nicht destruk­tiv damit umzuge­hen. Man kann sich zum Beispiel fragen: Was hilft es mir denn, wenn die anderen sich weiter einschränken?

Aller­dings kann man keinen pauscha­len Rat geben, im Umgang mit Neid spielen frühe Prägun­gen in der Kindheit eine wichti­ge Rolle. Habe ich mich vielleicht als Kind immer wieder benach­tei­ligt gefühlt? Diese frühe­ren Erfah­run­gen vermi­schen sich mit der aktuel­len Situa­ti­on und bestim­men, wie jemand damit umgeht.

Frage: Gehört dazu auch ein Gefühl der Verbit­te­rung den Regie­ren­den gegenüber?

Pioch: Wir sind es ja gewohnt, eine gewis­se Kontrol­le zu haben. Eine Pande­mie-Situa­ti­on ruft Ohnmachts­ge­füh­le hervor. Der Staat wird dann wie eine Art ideali­sier­te Eltern­fi­gur gesehen, die gerecht vertei­len soll. Es kann aber keine vollkom­me­ne Gerech­tig­keit geben, sie kann immer nur annähe­rungs­wei­se herge­stellt werden. Eine Regie­rung sollte daher möglichst trans­pa­rent machen, wie es zu einer bestimm­ten Vertei­lung kommt. Dennoch kann es immer wieder zu Neid kommen.

Frage: Wie kommt man denn vom Neid zum Gönnen?

Pioch: Es ist erstmal erstre­bens­wert, vom destruk­ti­ven zum konstruk­ti­ven Neid zu kommen. Man kann vielleicht auch Handlungs­mög­lich­kei­ten für sich entde­cken, indem man Kompro­mis­se macht. Vielleicht kann man eher geimpft werden, wenn man die Möglich­keit hat, einen anderen Impfstoff zu wählen.

Generell ist es notwen­dig zu reflek­tie­ren und auch Grenzen zu akzep­tie­ren. Das ist eine ganz wichti­ge Fähig­keit: Begren­zun­gen zu erken­nen. Das ist nicht immer einfach, denn Grenzen zu überwin­den und zu erwei­tern hat immer schon zum Menschen gehört. In bestimm­ten Situa­tio­nen muss man aber Begren­zun­gen akzep­tie­ren können.

Inter­view: Chris­ti­na Bachmann, dpa