DORTMUND/JENA (dpa/tmn) — Damit der Körper weiter­hin gut geschützt ist, muss ein Impfschutz mitun­ter aufge­frischt werden. Das gilt auch beim Kampf gegen das Corona­vi­rus. Für wen ist die Auffri­schung jetzt schon ratsam?

Im Septem­ber laufen in Deutsch­land flächen­de­ckend die Auffri­schungs­imp­fun­gen für Corona-Risiko­grup­pen an. Das betrifft zum Beispiel Menschen über 80 Jahre, Perso­nen mit Immun­schwä­che oder bestimm­ten Vorer­kran­kun­gen. Doch nicht nur sie können sich einen weite­ren Pieks holen.

Auch wer bei der ersten Impfse­rie einen Vektor-Impfstoff von Astra­ze­ne­ca (zweimal) oder von Johnson & Johnson (einmal) erhal­ten hat, kann sich gegebe­nen­falls schon eine Auffri­schung abholen. Doch welchen Effekt bringt der neuer­li­che Pieks gegen Corona? Und wer braucht ihn wirklich? Wichti­ge Fragen und Antwor­ten im Überblick.

Für wen sind die Auffri­schun­gen ab Septem­ber angedacht?

Sogenann­ten vulner­ablen Gruppen, also Menschen mit erhöh­tem Risiko für einen schwe­ren Covid-19-Verlauf, soll eine Auffri­schungs­imp­fung mit einem mRNA-Impfstoff, also den Vakzi­nen von Biontech/Pfizer oder Moder­na, angebo­ten werden. Das gilt unabhän­gig davon, welchen Corona-Impfstoff sie bei der ersten Impfung bekom­men haben. Zwischen dem letzten Pieks und der Auffri­schungs­imp­fung sollten in der Regel mindes­tens sechs Monate liegen. So steht es im entspre­chen­den Beschluss der Gesund­heits­mi­nis­ter von Anfang August.

Wer mindes­tens vor einem halben Jahr mit den Impfstof­fen von Astra­ze­ne­ca oder Johnson & Johnson geimpft wurde, soll laut dem Beschluss ebenfalls von Septem­ber an eine Auffri­schungs­imp­fung mit einem mRNA-Impfstoff erhal­ten können.

Aller­dings hängt das davon ab, wie das jewei­li­ge Bundes­land diesen Beschluss umsetzt. In Baden-Württem­berg zum Beispiel soll sich das Angebot zunächst auf Pflege­hei­me und beson­de­re Perso­nen­grup­pen wie Hochbe­tag­te und Pflege­be­dürf­ti­ge beschrän­ken. Jünge­re, immun­ge­sun­de Menschen sind erst mal außen vor. Ebenso ist es etwa in Bremen.

Anders handhabt es etwa Schles­wig-Holstein, wo Auffri­schungs­imp­fun­gen seit dem 24. August möglich sind — und zwar für ab 80-Jähri­ge, Menschen mit Immun­schwä­che, etwa HIV-Infizier­te oder Krebs­kran­ke in der Thera­pie, aber auch für mit einem Vektorimpf­stoff von Astra­ze­ne­ca oder Johnson & Johnson Geimpf­te. Bayern hat schon Mitte August begon­nen, Dritt­imp­fun­gen an Menschen aus Risiko­grup­pen zu verabreichen.

Wo gibt es die Auffrischungsimpfung?

Laut Beschluss der Gesund­heits­mi­nis­ter soll es sie bei nieder­ge­las­se­ne Ärztin­nen und Ärzten, in Impfzen­tren oder im Betrieb geben können. Gegebe­nen­falls sollen mobile Impfteams ausrü­cken, zum Beispiel zu Pflege­ein­rich­tun­gen. In der Praxis kommt es auch hier auf die konkre­te Umset­zung in den Ländern an.

Warum wird Risiko­grup­pen die Impfung nahegelegt?

Weil diese Menschen mit der ersten Impfse­rie häufig keine oder eine nur vergleichs­wei­se gerin­ge Immuni­tät aufge­baut haben.

Zum Beispiel betrifft das Perso­nen mit geschwäch­tem Immun­sys­tem, etwa in Folge einer Organ­trans­plan­ta­ti­on. «Da wissen wir, dass ihr Körper zum Teil gar nicht auf die beiden Impfun­gen reagiert hat. Der muss mitun­ter erst mal dahin gebracht werden, dass sich überhaupt Antikör­per entwi­ckeln», sagt Prof. Carsten Watzl, General­se­kre­tär der Deutschen Gesell­schaft für Immuno­lo­gie. Womög­lich brauchen sie dafür sogar nicht nur eine dritte, sondern auch noch eine vierte Impfung.

Wobei es etwa bei einer Chemo­the­ra­pie auch Sinn ergeben könne, zunächst das Ende der Thera­pie abzuwar­ten, weil die bei der Chemo verab­reich­ten Wirkstof­fe womög­lich auch die in Folge der Impfung gebil­de­ten Immun­zel­len direkt zerstö­ren, begrün­det Watzl.

Wieso sollten Menschen über 80 eine Auffri­schung bekommen?

Unter den hochbe­tag­ten Menschen habe ein Großteil zwar auf die Corona-Impfun­gen reagiert, sagt Watzl, aber eben weniger stark als Jünge­re. Das bedeu­tet, dass ihr durch die Corona-Impfung aufge­bau­ter Immun­schutz gegen das Virus im Vergleich oft weniger gut ist. Und er nimmt mit der Zeit ab — und zwar schein­bar schnel­ler als bei Jünge­ren, so Watzl.

«Die Auffri­schungs­imp­fung bei älteren Menschen ist sehr sinnvoll: Gerade die über 80-Jähri­gen sowie Menschen mit einem geschwäch­ten Immun­sys­tem — zum Beispiel Rheuma- oder Dialy­se­pa­ti­en­ten — haben eine deutlich schlech­te­re Immun­ant­wort im Vergleich zu jünge­ren Menschen», sagt auch Anja Kwetkar. Sie ist Direk­to­rin der Klinik für Geria­trie am Unikli­ni­kum Jena und Leite­rin der Arbeits­grup­pe Impfen der deutschen Gesell­schaft für Geria­trie (DGG).

«Diese Abwehr­kräf­te können durch die zusätz­li­che Impfung gestärkt werden. Das sind unsere Erfah­run­gen auch bei anderen Impfun­gen», so die Exper­tin. Kwetkars Rat: Liegt bei den von ihr genann­ten Perso­nen die Impfung länger als sechs Monate zurück, sollten sie sich direkt beim Hausarzt melden, um mit ihm einen mögli­chen Impfter­min ab Septem­ber zu vereinbaren.

Warum werden die Auffri­schun­gen gerade jetzt großflä­chig angeboten?

Da viele Ältere, Immun­ge­schwäch­te und Menschen mit Vorer­kran­kun­gen Anfang dieses Jahres als erste geimpft wurden, sei es wichtig, dass man bei ihnen jetzt auffrischt, erklärt Watzl. Gerade angesichts steigen­der Infek­ti­ons­zah­len sollten diese Risiko­grup­pen für den Herbst und Winter gut geschützt sein.

Zu beden­ken ist: Zwar ist bei sogenann­ten Durch­bruchs-Infek­tio­nen, also wenn Geimpf­te sich anste­cken, die Gefahr schwe­rer Verläu­fe auch für Risiko­grup­pen gerin­ger — sie besteht aber. Und sie steigt, je weniger gut der durch die Impfung aufge­bau­te Schutz im Körper ist.

Außer­dem sind Langzeit­fol­gen wie Long Covid aktuell nicht auszu­schlie­ßen. Zudem besteht das Risiko zwar vielleicht selbst nicht schwer zu erkran­ken, aber andere womög­lich ebenfalls gefähr­de­te Menschen anzuste­cken, mit womög­lich fatalen Folgen.

Hat sich die Stiko schon positioniert?

Die Ständi­ge Impfkom­mis­si­on (Stiko) am Robert Koch-Insti­tut (RKI) hat noch keine Empfeh­lung für die Auffri­schung ausge­spro­chen. Sie beschäf­tigt sich zwar schon mit der Thema­tik, vor Ende September/Anfang Oktober wird sie sich nach Auskunft des RKI aber voraus­sicht­lich nicht dazu positio­nie­ren können.

Der Virolo­ge Prof. Chris­ti­an Drosten von der Berli­ner Chari­té hatte sich zuletzt zu Auffri­schungs­imp­fun­gen geäußert: Bei alten Menschen sowie bestimm­ten Risiko­pa­ti­en­ten hält er eine Auffri­schungs­imp­fung in diesem Herbst durch­aus für sinnvoll. Für die meisten sei eine Auffri­schung in diesem Herbst aber unnötig.

Helfen Antikör­per­tests bei dieser Impfentscheidung?

Es gibt Exper­ten, die fordern: Zunächst einen Antikör­per­test machen, ehe man die Auffri­schung gibt. So sehe man, wie gut die Person geschützt ist und ob die dritte Sprit­ze überhaupt «nötig» ist, lautet eine Begrün­dung. Es gibt laut Immuno­lo­ge Carsten Watzl nur ein Problem dabei: Es fehle weiter­hin ein konkre­ter Grenz­wert bei der Menge der gemes­se­nen Antikör­per­kon­zen­tra­ti­on im Blut, ab dem man sicher sagen könnte, dass hier noch ein wirksa­mer Schutz besteht.

Watzl macht es konkret. Bei einem Wert von 500 BAU/ml (BAU steht für Binding Antibo­dy Units) würde er sagen: «Wahrschein­lich sind sie noch gut geschützt, aber ob es ausrei­chend ist: gute Frage.» Es gebe einen großen Bereich, in dem man nicht seriös sagen könne, wie gut der Schutz ist. Deshalb ergebe so ein Test für die meisten Menschen zur Abschät­zung der Sinnhaf­tig­keit der Auffri­schung im Moment keinen Sinn.

Ausnah­men gibt es: Menschen mit Immun­schwä­che etwa können durch solch einen Test sehen, ob eine Impfung überhaupt angeschla­gen hat.

Ist eine Auffri­schung für alle sinnvoll?

Eine dritte Impfung für alle mit sechs bis acht Monaten Abstand zur vorhe­ri­gen Impfse­rie, ergebe aus immuno­lo­gi­scher Sicht absolut Sinn, sagt Watzl. Grund: Das Immun­sys­tem ist in der Lage, die Immun­ant­wort zu verbes­sern, wenn es immer wieder auf den gleichen Erreger trifft.

Das heißt: «Die Antikör­per werden nicht nur verstärkt gebil­det, sie passen sich auch besser an den Erreger an.» Außer­dem bilde­ten sich mehr sogenann­te Gedächt­nis­zel­len, so Watzl. Diese Zellen merken sich quasi den Erreger und sorgen dafür, dass der Körper rasch wieder mit der Bildung von Antikör­pern startet, sobald sie dem Erreger begegnen.

Warum bekom­men dann nicht alle eine Auffri­schung angeboten?

Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU) erwägt das — in einem zweiten Schritt, nachdem also etwa die Risiko­grup­pen damit versorgt sind. Doch neben der Logis­tik spielen auch ethische Überle­gun­gen eine Rolle: Ist es vertret­bar, immun­ge­sun­den Mittdrei­ßi­gern, die schon vollstän­dig geimpft sind, in Deutsch­land eine Auffri­schung zu geben, während in anderen, ärmeren Ländern viele Ältere, Geschwäch­te und Medizi­ner noch ungeschützt sind?

Spahn wies zuletzt darauf hin, dass alle noch ausste­hen­den Astra­ze­ne­ca-Liefe­run­gen an die inter­na­tio­na­le Impfstoff­initia­ti­ve Covax gingen. Sein Ziel sei beides: Auffri­schun­gen zu gewähr­leis­ten und den ärmeren Staaten Impfstoff zu spenden, sagte der Minis­ter dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land. Die Weltge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (WHO) kriti­siert die Pläne für Auffri­schun­gen bei gesun­den Menschen.

Immuno­lo­ge Carsten Watzl spricht von einem «ethischen Dilem­ma der weltwei­ten Impfstoff­knapp­heit»: Ehe Impfstoff liegen bleibt, nutze man ihn zwar lieber noch für Auffri­schun­gen, auch bei immun­ge­sun­den Jünge­ren. «Aber wenn man ihn in andere Länder schicken könnte, wo er dringen­der benötigt wird, wäre er dort sicher besser aufgehoben.»

Denn gerade dort, wo viele Menschen noch ohne Impfschutz sind, bilde­ten sich oft neue Virus­va­ri­an­ten, gibt der Exper­te zu bedenken.

Warum wird nur mRNA-Impfstoff für die Auffri­schung genommen?

Erst eine Sprit­ze mit dem Vektor-Impfstoff von Astra­ze­ne­ca, dann eine Sprit­ze mit einem mRNA-Impfstoff zum Beispiel von Biontech/Pfizer: Diese Kombi­na­ti­on bei der ersten Impfse­rie war laut Watzl mit Blick auf die Schutz­wir­kung bisher am erfolgreichsten.

Das hängt verein­facht gesagt damit zusam­men, dass das Immun­sys­tem auf unter­schied­li­che Arten eine Immuni­tät gegen das Virus aufbau­en kann und die verschie­de­nen Impfstof­fe hier in jeweils verschie­de­nen Berei­chen besser oder schlech­ter wirken.

Verein­facht gesagt legt der Vektor-Impfstoff eine Grund­la­ge, auf der der mRNA-Impfstoff die Immun­ab­wehr noch mehr stärkt. Das funktio­niert aber nur in dieser Reihen­fol­ge und nicht umgekehrt, sagt Watzl. Wer also schon zweimal mit einem mRNA-Impfstoff geimpft wurde, dem würde eine dritte Impfung mit einem Vektor-Impfstoff nicht so viel bringen wie eine dritte mRNA-Impfung.

Wer hinge­gen bisher nur zweimal den Impfstoff von Astra­ze­ne­ca- oder einmal jenen von Johnson & Johnson bekom­men hat, erhält durch die dritte Impfung mit dem mRNA-Impfstoff laut Immuno­lo­ge Watzl «wahrschein­lich einen tollen Schutz».

Von Tom Nebe, dpa