Keine Bundes­re­gie­rung hat in einem Jahr jemals mehr Schul­den aufge­nom­men als die jetzi­ge. Doch man hatte mit noch viel höheren Kredi­ten gerech­net. Gibt es Grund für Optimismus?

Satte 218 Milli­ar­den Euro neue Schul­den hatte der Bundes­tag der großen Koali­ti­on für das vergan­ge­ne Jahr geneh­migt. Pande­mie-Kredi­te in nie da gewese­ner Höhe, für Hilfs­pa­ke­te, Mehrwert­steu­er­sen­kung, Unternehmensrettung.

Wer soll das je zurück­zah­len, haben sich viele gefragt. Jetzt ist klar: Am Ende hat der Bund etwa 40 Prozent der Kredi­te überhaupt nicht gebraucht. Doch das sind nicht nur gute Nachrichten.

Nach dem vorläu­fi­gen Haushalts­ab­schluss nahm der Bund im Jahr 2020 neue Kredi­te in Höhe von 130,5 Milli­ar­den Euro auf, wie es am Diens­tag im Finanz­mi­nis­te­ri­um hieß. Das ist noch immer ein Rekord, aber es sind auch 87,3 Milli­ar­den weniger Schul­den als angenom­men. Finanz­mi­nis­ter Olaf Scholz (SPD) betont: «Trotz der Pande­mie haben wir die Finan­zen gut im Griff.» Man habe die Corona-Pande­mie im Sommer wirtschaft­lich als heraus­for­dern­der einge­schätzt als sie schließ­lich war, heißt es im Ministerium.

Zum Jahres­wech­sel ist klar: Die Wirtschaft brach nicht so gewal­tig ein, wie man gefürch­tet hatte. Das sorgt im Haushalt nicht nur automa­tisch für höhere Steuer­ein­nah­men, sondern lässt auch die Sozial­kas­sen besser daste­hen. Viele Unter­neh­men nutzten außer­dem das Angebot für Stundun­gen und Aufschü­be bei den Steuern nicht.

All das seien Zeichen, dass die Hilfs­po­li­tik der Bundes­re­gie­rung wirke, sagt Finanz­mi­nis­ter Scholz. Dass der Bund viel Geld für Gesund­heit, zur Unter­stüt­zung der Wirtschaft und zur Siche­rung von Arbeits­plät­zen in die Hand genom­men habe, zahle sich aus: «Die wirtschaft­li­che Entwick­lung ist besser, die Arbeits­platz­ver­lus­te gerin­ger, die Steuer­ein­nah­men höher und die Neuver­schul­dung deutlich niedri­ger als zeitwei­se prognos­ti­ziert wurde.»

Doch man kann die Geschich­te auch anders erzäh­len. Denn dass so viele Kredi­te nicht genutzt wurden, liegt auch daran, dass Geld nicht abfloss. «Nicht unbedingt ein Grund zum Jubeln», meint Grünen-Haushäl­ter Sven-Chris­ti­an Kindler. Die Minis­te­ri­en ließen rund 20 Milli­ar­den Euro der rekord­ho­hen Inves­ti­ti­ons­mit­tel verfal­len. Die sechs Milli­ar­den schwe­re Eigen­ka­pi­tal­auf­sto­ckung für die Deutsche Bahn funktio­nier­te wegen Proble­men beim EU-Beihil­fe­ver­fah­ren nicht. Dann verzö­ger­te sich die Auszah­lung der für Novem­ber und Dezem­ber geplan­ten Wirtschafts­hil­fen für Unter­neh­men. Der Großteil des Geldes wird erst in diesem Jahr fließen.

Insge­samt seien rund 25 Milli­ar­den Euro an Unter­neh­mens­hil­fen nicht benötigt worden, heißt es im Minis­te­ri­um. Grund ist zum einen die besse­re Konjunk­tur, aus der Wirtschaft kommt aber auch Kritik an schlep­pen­der Umset­zung, viel Bürokra­tie und einem Regel­wirr­warr. «Die Unter­neh­men warten auf die dringen­de Unter­stüt­zung», beton­te Unions-Haushäl­ter Eckhardt Rehberg.

Scholz und Wirtschafts­mi­nis­ter Peter Altmai­er (CDU) wollen das Förder­sys­tem deshalb jetzt verein­fa­chen und Hilfen aufsto­cken. Ein Teil des 2020 nicht genutz­ten Geldes hat das Finanz­mi­nis­te­ri­um dafür auf dieses Jahr übertra­gen. Außer­dem hatte Scholz schon beim Haushalts­be­schluss das Kredit­vo­lu­men für das laufen­de Jahr auf rund 180 Milli­ar­den erhöht — in der Erwar­tung, dass die Hilfen nun endlich fließen können.

Auch ein länge­rer Lockdown und weite­re Beschrän­kun­gen seien finan­zier­bar, betont man im Finanz­mi­nis­te­ri­um. «Wir sind vorbe­rei­tet und wir haben die Kraft das zu wuppen», heißt es. «Wir werden auch 2021 die Kraft haben, diese Pande­mie weiter zu bestehen.» Darauf könne sich auch die Wirtschaft verlas­sen, betont Scholz immer wieder.

Und was ist mit den trotz­dem noch hohen Schul­den? Laut Tilgungs­plan des Bundes soll ein Teil davon ab 2023 über 20 Jahre zurück­ge­zahlt werden. Jedes Jahr zwei Milli­ar­den, rechnet man im Finanz­mi­nis­te­ri­um inzwi­schen — im Sommer war man noch von sechs Milli­ar­den jährlich ausge­gan­gen. Stemmen will Scholz das mit Hilfe der Wirtschaft. «Aus den neuen Schul­den werden wir vor allem mit wirtschaft­li­chem Wachs­tum heraus­kom­men, genau­so wie es nach der Finanz­kri­se der Fall gewesen ist», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Zugleich aber müsse das deutsche Steuer­sys­tem refor­miert werden. Es stelle sich die Frage nach der Gerech­tig­keit — «mit und ohne Krise, aber nach einer Krise noch mehr». «Es geht darum zu gucken, ob wir die steuer­li­che Belas­tung fairer vertei­len können», sagte der SPD-Kanzler­kan­di­dat. Seine Partei vertre­te weiter die Auffas­sung: «Mittle­re und niedri­ge Einkom­men entlas­ten, dafür leisten die sehr hohen Einkom­men einen etwas höheren Beitrag».