BERLIN (dpa) ‑Schon bald sollen auch in Deutsch­land die ersten Impfstof­fe gegen Corona zugelas­sen werden. Viele Menschen stehen damit vor der Frage: Soll ich mich impfen lassen — oder ist das Risiko einer neuar­ti­gen Impfung zu hoch?
 

Bald dürfte es mit dem Impfen gegen Corona losge­hen. Herstel­ler haben bereits für zwei Präpa­ra­te Zulas­sungs­an­trä­ge in der EU gestellt, eine Freiga­be könnte es binnen Wochen geben. Angesichts des rasan­ten Entwick­lungs­tem­pos bei den Vakzi­nen haben manche Menschen ein mulmi­ges Gefühl.

Sind diese Impfstof­fe wirklich sicher? Sind mögli­che Neben­wir­kun­gen gut genug unter­sucht? Ist es nicht vielleicht vernünf­ti­ger, eine Corona-Infek­ti­on in Kauf zu nehmen, als sich den Risiken eines neuen Impfstoffs auszusetzen?
 

Unberech­tigt sind diese Fragen sicher nicht. Zumal es sich bei den beiden Impfstoff-Kandi­da­ten — einer von der US-Firma Moder­na und einer von dem Mainzer Unter­neh­men Biontech in Zusam­men­ar­beit mit dem US-Pharma­rie­sen Pfizer — um sogenann­te mRNA-Impfstof­fe handelt, die auf einer noch neuen Impfstoff-Techno­lo­gie beruhen.

Anlei­tung in Form des mRNA-Moleküls

Weltweit gibt es bislang keinen einzi­gen zugelas­sen Impfstoff, der auf diese Weise herge­stellt wird und wirkt. Der grund­le­gen­de Unter­schied dieser neuar­ti­gen Impfstof­fe zu etablier­ten Vakzi­nen: Sie enthal­ten keine abgeschwäch­ten oder abgetö­te­ten Viren, sondern ledig­lich eine Bauan­lei­tung für einen Bestand­teil des Covid-19-Erregers. Die Anlei­tung wird in Form eines sogenann­ten mRNA-Moleküls in den Körper geimpft, wo dann die mensch­li­chen Zellen selbst ein Eiweiß des Virus herstel­len. Im Falle von Sars-CoV‑2 ist es das sogenann­te Spike-Prote­in auf der Oberflä­che des Virus. Es regt das mensch­li­che Immun­sys­tem zur Bildung von Abwehr­stof­fen an.

Erste Daten der fortge­schrit­te­nen klini­schen Prüfung legen nahe, dass die Impfstof­fe eine hohe Wirksam­keit haben und im Allge­mei­nen gut vertra­gen werden. Als Neben­wir­kun­gen traten bei einem Teil der geimpf­ten Proban­den nach Angaben der Unter­neh­men Müdig­keit, Kopf- und Gelenk­schmer­zen sowie Rötun­gen an der Einstich­stel­le auf. Vergleich­ba­re Reaktio­nen sind von anderen Impfstof­fen bekannt und auch ein Zeichen dafür, dass der Impfstoff macht, was er soll: Das Immun­sys­tem auf Trab bringen.

Was bisher fehlt sind Infor­ma­tio­nen über selte­ne, mögli­cher­wei­se auch schwe­re Neben­wir­kun­gen, da diese erst nach Impfung vieler Menschen und länge­rer Beobach­tungs­zeit offen­sicht­lich werden. «Es gibt deshalb ein Restri­si­ko», sagt Chris­ti­an Bogdan, Direk­tor des Insti­tuts für Klini­sche Mikro­bio­lo­gie, Immuno­lo­gie und Hygie­ne an der Unikli­nik Erlan­gen. «Wie hoch das ist, muss in den kommen­den Monaten und Jahren geprüft werden.» Um selte­ne Neben­wir­kun­gen zu erfas­sen, sei es üblich, klini­sche Studi­en auch nach der Zulas­sung fortzuführen.

Grund­sätz­lich basie­re die Entschei­dung für oder gegen eine Impfung immer auf einer Nutzen-Risiko-Abwägung, so der Exper­te, der auch Mitglied der Ständi­gen Impfkom­mis­si­on (STIKO) am Robert Koch-Insti­tut (RKI) ist. Er macht folgen­de Beispiel­rech­nung auf: Wenn ein alter Mensch bei einer Corona-Infek­ti­on mit einer Wahrschein­lich­keit von 20 Prozent stirbt, «und gleich­zei­tig das Risiko, eine schwe­re Neben­wir­kung der Impfung zu bekom­men, 1:50 000 oder noch weniger beträgt, würde ich dieses Risiko in Kauf nehmen.»

Kinder hinge­gen würde Bogdan nicht impfen, weil ihr Risiko an Covid-19 zu sterben, gegen Null gehe und sie gleich­zei­tig noch ein sehr langes Leben vor sich hätten. «Das alles sind völlig legiti­me ethische Überle­gun­gen», betont Bogdan. Sie spiegeln sich auch in den Impfemp­feh­lun­gen der Stiko wider, nach denen zunächst nur Risiko­grup­pen geimpft werden sollen. «Damit errei­chen wir, was wir wollen: den größt­mög­li­chen Nutzen für die gesam­te Gesell­schaft erreichen.»

Aber sind nicht gerade die Risiko­grup­pen — also ältere Menschen oder solche mit einer Vorer­kran­kung — bei einer Impfung beson­de­ren Gefah­ren ausge­setzt? Alle Risiken könne man in diesem Stadi­um der Impfstoff­ent­wick­lung nicht ausschlie­ßen, sagt Ulrike Protzer, Direk­to­rin des Insti­tuts für Virolo­gie an der Techni­schen Univer­si­tät München (TUM) und am Helmholtz Zentrum München. Aller­dings seien bereits einige beson­de­re Patien­ten­grup­pen in den klini­schen Studi­en berück­sich­tigt worden.

Das Unter­neh­men Moder­na etwa teste­te seinen Impfstoff auch an Menschen über 65 Jahren, solchen mit Diabe­tes, schwe­rem Überge­wicht oder einer Herzer­kran­kung. Sicher­heits­be­den­ken sind nach Angaben des Unter­neh­mens nicht aufge­tre­ten. «Das Risiko einer selte­nen, schwe­ren Neben­wir­kung ist nicht gleich Null, aber es ist im Vergleich zu anderen Risiken, die wir täglich in Kauf nehmen, etwa beim Autofah­ren, doch sehr gering», sagt Protzer.

Sorgen um Verän­de­rung des Erbgu­tes unbegründet

Sorgen, dass spezi­ell die mRNA-Impfstof­fe beson­de­re Sicher­heits­ri­si­ken mit sich bringen und etwa das mensch­li­che Erbgut verän­dern, halten Exper­ten für unbegrün­det. «Beim Menschen befin­det sich das Genom in Form von DNA im Zellkern», heißt es etwa beim Paul-Ehrlich-Insti­tut, das für die Sicher­heit von Impfstof­fen zustän­dig ist. «Eine Integra­ti­on von RNA in DNA ist unter anderem aufgrund der unter­schied­li­chen chemi­schen Struk­tur nicht möglich.»

Ein Beson­der­heit der RNA ist, dass sie chemisch sehr labil ist. «Wenn die mRNA in die Zellen gelangt, wird sie sehr schnell wieder abgebaut», erläu­tert Protzer. Eine nachhal­ti­ge Inter­ak­ti­on mit der mensch­li­chen Zelle ist allein aus diesem Grund unwahr­schein­lich. Um die Haltbar­keit zu erhöhen, wird die Impf-mRNA in einer Art Schutz­hül­le verpackt. «Was diese Zusatz­stof­fe bewir­ken, müssen wir beobach­ten», sagt Protzer. «Man geht von einer guten Verträg­lich­keit aus, aber da fehlen noch Langzeit-Erfahrungen.»

Mit Blick auf die Sicher­heit der mRNA-Impfstof­fe ist ein weite­rer Punkt wichtig: Obwohl bisher keiner dieser Impfstof­fe für Menschen zugelas­sen ist, wurde die Techno­lo­gie nicht erst im Zuge der Corona-Pande­mie entwi­ckelt, einige Erfah­run­gen damit liegen bereits vor. Die Idee für diese Art von Impfstof­fen stammt aus der immuno­lo­gi­schen und infek­tio­lo­gi­schen Grund­la­gen­for­schung und aus der Krebs­for­schung. Ziel dabei ist es, den Körper zu einem Angriff auf Tumor­zel­len zu veran­las­sen, auch in diesem Bereich laufen bereits klini­sche Studi­en. «Die Pande­mie hat die Techno­lo­gie nun enorm beflü­gelt», sagt Bogdan.

Die neuen mRNA-Impfstof­fe haben eine weite­re Beson­der­heit. Anders als abgeschwäch­te und abgetö­te­te Viren, die das Immun­sys­tem mit vielen verschie­de­nen Oberflä­chen-Struk­tu­ren reizen, lösen die mRNA-Vakzi­ne einer sehr spezi­fi­sche Immun­ant­wort aus. Das kann von Vorteil sein, weil womög­lich unerwünsch­te Reaktio­nen verhin­dert werden. Anderer­seits besteht die Gefahr, dass diese sehr spezi­fi­sche Immun­ant­wort nicht ausrei­chend schützt.

Ebenso unklar ist, was passiert, wenn das Corona­vi­rus mutiert, sich also etwa das Spike-Prote­in des Erregers verän­dert — wirkt dann der Impfstoff noch? Um diese Fragen sicher beant­wor­ten zu könne, brauche es eine länge­re Nachbe­ob­ach­tungs­zeit. «Das ist für die Impfstoff-Forschung aber keine neue Heraus­for­de­rung.» Von Anja Garms, dpa