BERLIN (dpa) — Einige Famili­en haben es schon in den Herbst­fe­ri­en gemacht, zu Weihnach­ten haben das noch weitaus mehr in Planung: sich vier bis fünf Tage in Selbst­qua­ran­tä­ne begeben. Die Politik ruft ebenfalls dazu auf. Wie sinnvoll ist das?

Die Minis­ter­prä­si­den­ten der Länder rufen die Menschen auf, vor den Weihnachts­fei­er­ta­gen in eine möglichst mehrtä­gi­ge häusli­che Selbst­qua­ran­tä­ne zu gehen. «Dies kann durch ggf. vorzu­zie­hen­de Weihnachts­schul­fe­ri­en ab dem 19.12.2020 unter­stützt werden», heißt es. Damit solle die Gefahr von Corona-Infek­tio­nen im Umfeld der Feier­lich­kei­ten so gering wie möglich gehal­ten werden.

Wie sinnvoll wäre eine mehrtä­gi­ge Selbstquarantäne?

Die sogenann­te Inkuba­ti­ons­zeit beträgt laut Medizin­sta­tis­ti­ker Tim Friede von der Uni Göttin­gen im Durch­schnitt fünf bis sechs Tage. Gemeint ist die Zeit von der Anste­ckung bis zum Beginn der Erkran­kung — man kann jedoch auch davor und danach infek­ti­ös sein. Auch das Robert Koch-Insti­tut (RKI) und etwa der Direk­tor des Insti­tuts für Medizi­ni­sche Mikro­bio­lo­gie der Uni Göttin­gen, Uwe Groß, berufen sich auf diese Zahlen.

Aller­dings müsse berück­sich­tigt werden, dass ein großer Teil der Infizier­ten gar keine klini­schen Sympto­me entwick­le und dennoch infek­ti­ös sein könne, sagt Groß. Das seien in etwa 15 bis 45 Prozent. «Vor allem junge Leute.» Er halte den Appell der Minis­ter­prä­si­den­ten dennoch für «sehr gut».

Ein weite­res Problem der Selbst­qua­ran­tä­ne ist laut Friede auch, «dass es hier keinen zeitli­chen Bezugs­punkt gibt, wie etwa ein erster negati­ver Test». Man wisse daher nicht, ob sich die jewei­li­ge Person infiziert habe oder nicht und ob sie schon oder vielleicht nicht mehr infek­ti­ös sei. Er halte daher das Infek­ti­ons­ri­si­ko auch nach fünf Tagen Selbst­qua­ran­tä­ne «noch für erheb­lich», betont dennoch aber: «eine Quaran­tä­ne von vier bis fünf Tagen ist natür­lich besser als gar keine Quarantäne».

Zudem könnten in selte­nen Fällen — bei weniger als fünf Prozent der Infizier­ten — auch erst nach 10 bis 14 Tagen Sympto­me auftre­ten. Bis wann maximal Sympto­me auftre­ten können, lasse sich nicht genau festma­chen. «Aber klar ist natür­lich, dass die Wahrschein­lich­keit immer gerin­ger wird, je mehr Tage vergehen.»

Wie wahrschein­lich ist es, auch nach der durch­schnitt­li­chen Inkuba­ti­ons­zeit noch Sympto­me zu entwickeln?

«Aus den genann­ten Daten würde ich ablei­ten, dass die Wahrschein­lich­keit, Sympto­me zu entwi­ckeln, auch nach fünf Tagen noch bei durch­aus 50 Prozent liegen könnte», sagt Friede. Hinter­grund seiner Annah­me: Er gehe von einer halbwegs symme­tri­schen Vertei­lung aus wie etwa einer sogenann­ten Normal­ver­tei­lung — ein wichti­ger Typ der Wahrschein­lich­keits­ver­tei­lun­gen in der Statistik.

«Wenn man von einer Inkuba­ti­ons­zeit, also einem Mittel­wert von fünf bis sechs Tagen ausgeht, bildet dieser Mittel­wert den Höhepunkt der symme­tri­schen Kurve», sagt Friede. Folglich würden etwa 50 Prozent der Fälle erst nach diesem durch­schnitt­li­chen Mittel­wert Sympto­me entwi­ckeln. «Bei einer schie­fen Vertei­lung, die auch nicht ganz abwegig hier ist, wäre der Anteil aller­dings gerin­ger. Gute Daten sind mir dazu aber nicht bekannt», sagt Friede.

Ist man erst nach Auftre­ten der Sympto­me infektiös?

Nein, Erkrank­te können schon vorher infek­ti­ös sein. «Und zwar etwa ein bis drei Tage vorher», sagt Friede. Das mache die Sache natür­lich viel kompli­zier­ter, da die Betrof­fe­nen dies nicht wissen können — es sei denn, sie wurden getestet.

Wann im Verlauf der Infek­ti­on ist man beson­ders ansteckend?

Laut Groß ist man ein bis drei Tage vor Auftre­ten der Sympto­me schon «hochgra­dig infek­ti­ös». Grund sei, dass sich das Virus zunächst stark in der Mundhöh­le vermeh­re und erst dann in die Lunge wande­re. Aber auch in den zwei bis drei Tagen nach dem Auftre­ten der Sympto­me sei die Gefahr einer Anste­ckung noch «sehr hoch».

Der Höhepunkt einer Infek­ti­on lasse sich nicht pauschal bestim­men, sondern hänge von der Infek­ti­ons­do­sis ab. «Wenn Person A 100 Virus­par­ti­kel aufnimmt und Person B 100.000 Virus­par­ti­kel, dann wird Person B eine kürze­re Inkuba­ti­ons­zeit haben, schnel­ler Sympto­me entwi­ckeln und somit auch früher hochgra­dig infek­ti­ös sein», sagt Groß.

Ab wann ist man infektiös?

Eine Infek­ti­on sei erst nach einigen — frühes­tens 2, typischer­wei­se 4 bis 7 — Tagen nachdem man einer infek­tiö­sen Person begeg­ne­te etwa mittels PCR-Test feststell­bar und erst dann sei man anste­ckend, sagt Andre­as Podbiel­ski von der Uni Rostock. «Infek­ti­ons­sym­pto­me treten noch einmal 1 bis 2 Tage später auf. Typischer­wei­se wird jemand, der sich Heilig­abend infiziert, selber erst nach Weihnach­ten anste­ckend sein.»

Theore­tisch sei es möglich, dass man schon am Tag der Infek­ti­on anste­ckend sei, sagt Groß. «Ich persön­lich halte das eher für unwahr­schein­lich. Es sei denn, man infiziert sich um 0.30 Uhr in der Disco mit sehr hoher Virus­last; dann könnte man eventu­ell schon am späten Abend (23.00 Uhr) infek­ti­ös sein. Aber wie gesagt: Noch ist das alles sehr theore­tisch.» Von Jordan Raza, dpa