BAD NENNDORF (dpa) — Kleine Wasser­rat­ten, die spielend schwim­men lernen, sind der Wunsch so mancher Eltern. Aber viele Kinder tun sich schwer, sie fürch­ten das tiefe, kalte Wasser. Die Zahl der Nicht­schwim­mer in Deutsch­land steigt. Einer der Gründe dafür überrascht auch die DLRG.

Im Grunde ist es einfach: Weniger Schwimm­bä­der bedeu­ten weniger Schwimm­un­ter­richt — und weniger siche­re Schwim­mer. In der Corona-Pande­mie gab es zeitwei­se überhaupt keinen Schwimm­un­ter­richt. Die Folge: Der Anteil der Nicht­schwim­mer unter den Grund­schü­le­rin­nen und Grund­schü­lern in Deutsch­land hat sich einer neuen Forsa-Umfra­ge zufol­ge binnen fünf Jahren verdoppelt.

Im vergan­ge­nen Jahr hätten 20 Prozent der Kinder zwischen sechs und zehn Jahren nicht schwim­men können — fünf Jahre zuvor seien es 10 Prozent gewesen, teilte die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesell­schaft in Bad Nenndorf mit. «Der Unter­schied ist gravie­rend, aber angesichts der Entwick­lun­gen in den vergan­ge­nen zwei bis drei Jahren auch wenig überra­schend», sagte DLRG-Präsi­den­tin Ute Vogt. Sie mahnte: «Wie Jungen und Mädchen lesen, schrei­ben und rechnen lernen, so müssen sie auch schwim­men lernen. Wir müssen dahin kommen, dass jedes Kind am Ende der Grund­schu­le sicher schwim­men kann.»

Das Seepferd­chen allein reicht nicht

Die DLRG, nach eigenen Angaben Deutsch­lands größter priva­ter Anbie­ter in der Schwimm­aus­bil­dung, hatte die reprä­sen­ta­ti­ve Umfra­ge in Auftrag gegeben. Die bislang letzte vergleich­ba­re Studie gab es 2017. Im August 2022 wurden bundes­weit 2000 Menschen ab 14 Jahren befragt. Dabei ging es unter anderem darum, ob sie sich als Nicht­schwim­mer, unsiche­re Schwim­mer oder siche­re Schwim­mer einschätzen.

Mit 57 Prozent ist der Anteil der Kinder, die von ihren Eltern als siche­re Schwim­mer einge­stuft werden, im vergan­ge­nen Jahr beina­he gleich­ge­blie­ben — 2017 waren es 59 Prozent, 2010 sogar 64 Prozent. Dabei steigt der Anteil der angeb­lich siche­ren Schwim­mer mit dem Alter: 26 Prozent der Eltern von Sechs­jäh­ri­gen gaben an, ihr Kind schwim­me schon sicher. Bei den Zehnjäh­ri­gen waren es 83 Prozent. Nur: Aus DLRG-Sicht fällt vielen Eltern diese Einschät­zung schwer. «Mütter und Väter sind noch allzu oft der Meinung, ihr Kind kann schwim­men, wenn es das Seepferd­chen hat», sagte Chris­ti­an Lands­berg, Leiter Ausbil­dung im DLRG-Präsi­di­um. «Da sind sie jedoch auf dem Holzweg.»

Denn das Seepferd­chen beschei­ni­ge das Beherr­schen wichti­ger Grund­la­gen, sicher schwim­men könne erst, wer den Freischwim­mer, also das Bronze-Abzei­chen, abgelegt habe, erklär­te Lands­berg. Aller­dings hätten 21 Prozent der Kinder, die nach Einschät­zung der Eltern sicher oder zumin­dest unsicher schwim­men können, kein einzi­ges Abzei­chen absol­viert. Die DLRG geht davon aus, dass sechs von zehn Kindern oder 58 Prozent am Ende der Grund­schul­zeit keine siche­ren Schwim­mer sind.

Schwimm­fä­hig­keit ist ans Einkom­men gekoppelt

Die Umfra­ge ergab: Mehr als jedes zweite Kind (54 Prozent) zwischen sechs und zehn Jahren hat das Seepferd­chen, 2017 waren es 69 Prozent. Den Freischwim­mer haben 24 Prozent der Kinder absol­viert, 13 Prozent können Silber und drei Prozent Gold nachwei­sen. Unter den Kindern ab zehn Jahren haben 42 Prozent den Freischwim­mer absol­viert, 24 Prozent haben Silber und acht Prozent Gold. Über sich selbst sagte die Hälfte der Befrag­ten, gut oder sehr gut schwim­men zu können. Von den Menschen mit Haupt­schul­ab­schluss beurteil­ten sich nur 35 Prozent als gute Schwim­mer, von den Menschen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund 38 Prozent — und von den Älteren über 60 nur 37 Prozent.

«Was uns in der Deutlich­keit überrasch­te, sind die Unter­schie­de nach Einkom­men», meinte Vogt. Denn fast die Hälfte (49 Prozent) der Kinder aus Haushal­ten mit einem monat­li­chen Netto­ein­kom­men unter 2500 Euro kann der Umfra­ge zufol­ge nicht schwim­men — bei einem Haushalts­net­to­ein­kom­men über 4000 Euro sind es zwölf Prozent. Vogt beton­te: «Schwim­men zu können darf keine Frage des Geldes sein. Umso wichti­ger ist es, dass jede Schule in die Lage versetzt wird, das Schwim­men angemes­sen zu unterrichten.»

Die Energie­kri­se erschwert die Ausbildung

Dafür sind aller­dings Bäder nötig. Doch in der Energie­kri­se will nach einer unlängst veröf­fent­lich­ten Umfra­ge der Beratungs­ge­sell­schaft Ernst & Young knapp jede dritte Kommu­ne in Deutsch­land Hallen- und Freibä­der schlie­ßen oder den Betrieb einschrän­ken, viele haben dies schon umgesetzt. Das merken auch die Ausbil­der: Die abgesenk­te Wasser­tem­pe­ra­tur erschwe­re die Ausbil­dung der Jüngs­ten, sagte Arne Grosser, DLRG-Schwimm­aus­bil­der aus Hanno­ver. «Wir haben donners­tags für die Seepferd­chen-Gruppe eine Stunde angesetzt, können die Zeit aber meist gar nicht voll ausnut­zen. Die Kinder sind irgend­wann durch­ge­fro­ren und müssen früher raus. Da dauert es dann länger als üblich, das Kursziel zu errei­chen.» Außer­dem seien wegen der hohen Nachfra­ge 30 Kindern im Kurs – «deutlich mehr als wünschenswert».

Nach den Forsa-Zahlen haben 87 Prozent der Befrag­ten ein erreich­ba­res Schwimm­bad in der näheren Umgebung. 2017 waren es 92 Prozent. Bei Menschen aus Orten mit weniger als 5000 Einwoh­nern waren es 78 Prozent — nach 90 Prozent vor fünf Jahren. «Diese Ergeb­nis­se deuten darauf hin, dass der Trend bei der Bäder­ver­sor­gung weiter in die falsche Richtung läuft», kriti­sier­te Vogt.

Von Thomas Strün­keln­berg, dpa