FRIEDRICHSHAFEN — Der Techno­lo­gie­kon­zern ZF hat sich im vergan­ge­nen Jahr weiter konse­quent auf den Mobili­täts­wan­del ausge­rich­tet. Beson­de­res Gewicht hatten die Gründung der Divisi­on Electri­fied Power­train Techno­lo­gy und die Integra­ti­on des Nutzfahr­zeug-Techno­lo­gie­un­ter­neh­mens Wabco ebenso wie der Start eines neuen Software-Centers und der Vertrieb eigen­stän­di­ger Software-Lösun­gen. In einem wirtschaft­lich heraus­for­dern­den Umfeld hat ZF substan­zi­el­le neue Kunden­auf­trä­ge in zukunfts­wei­sen­den Techno­lo­gie­fel­dern erhal­ten, die die ZF-Strate­gie „Next Genera­ti­on Mobili­ty“ bestä­ti­gen und zukünf­ti­ges Wachs­tum sichern. Zugleich hat die Corona-Pande­mie die Geschäfts­zah­len von ZF geprägt. Der Konzern­um­satz lag im Jahr 2020 mit 32,6 Milli­ar­den Euro um 11 Prozent unter dem Vorjah­res­wert von 36,5 Milli­ar­den Euro. Das berei­nig­te EBIT betrug 1,0 (2019: 1,5) Milli­ar­den Euro; die berei­nig­te EBIT-Marge lag bei 3,2 (2019: 4,1) Prozent. Das Ergeb­nis nach Steuern belief sich auf minus 741 Millio­nen Euro.

„2020 war ein ambiva­len­tes Jahr. Doch wir haben gemein­sam die Krise gemeis­tert, den Wandel des Unter­neh­mens weiter voran­ge­bracht und uns substan­zi­el­le neue Aufträ­ge in den strate­gisch wichti­gen Feldern der Zukunfts­tech­no­lo­gien gesichert“, sagte der Vorsit­zen­de des Vorstands von ZF, Wolf-Henning Schei­der, am Donners­tag bei der Bilanzvorlage.

Mit der zu Jahres­be­ginn erfolg­ten Gründung der Divisi­on Electri­fied Power­train Techno­lo­gy, die konven­tio­nel­le, Hybrid- und rein elektri­sche Antriebs­tech­no­lo­gien für Pkw bündelt, habe ZF die Phase des Wandels hin zur E‑Mobilität erfolg­reich weiter beschleu­nigt, erläu­ter­te Schei­der: „Wir sind gut positio­niert, um unseren Kunden das gesam­te Spektrum der E‑Mobilität aus einer Hand für alle Mobili­täts­an­wen­dun­gen anzubieten.“

Kern des Produkt­pro­gramms seien die Wechsel­rich­ter (Inver­ter) als zentra­ler Bestand­teil der Leistungs­elek­tro­nik. „In diesem Segment wollen wir Markt­füh­rer in Europa werden und unter den Top-Anbie­tern weltweit sein“, beton­te Schei­der. Bis Ende 2020 hat ZF Aufträ­ge für elektri­sche Antriebs­kom­po­nen­ten mit einem Umsatz­vo­lu­men von 14 Milli­ar­den Euro für die nächs­ten Jahre gewon­nen; dieser positi­ve Trend hat sich in den ersten Monaten dieses Jahres mit weite­ren neuen Aufträ­gen fortge­setzt. Mit der Gründung der Divisi­on stärkt ZF darüber hinaus die bereichs­über­grei­fen­de Zusam­men­ar­beit und verkürzt Abstim­mungs- und Entscheidungswege.

Neuer Nutzfahr­zeug­be­reich wird führen­der Systemanbieter
Das Ziel einer einheit­li­chen, effizi­en­ten und die Koope­ra­ti­on fördern­den Organi­sa­ti­on verfolgt ZF auch im Nutzfahr­zeug­be­reich. Das am 29. Mai 2020 übernom­me­ne Nutzfahr­zeug-Techno­lo­gie­un­ter­neh­men Wabco, dessen Zahlen für den Zeitraum von sieben Monaten im Konzern­ab­schluss enthal­ten sind, soll bis zum Ende dieses Jahres mit der bestehen­den ZF-Divisi­on Nutzfahr­zeug­tech­nik verei­nigt werden.

Schei­der sieht große Fortschrit­te im Integra­ti­ons­pro­zess: „Wabco erweist sich mit jedem Tag mehr als ‚Perfect Match‘. Wir haben erste gemein­sa­me Projek­te entwi­ckelt und in Kunden­auf­trä­ge umgesetzt. Und: Von der Zusam­men­ar­beit profi­tie­ren wir bereits jetzt bei Produk­ten, neuen Aufträ­gen und auch finanziell.“

Software und Zentral­rech­ner als neue Geschäfts­fel­der etabliert

Die langfris­ti­ge strate­gi­sche Neuaus­rich­tung von ZF wird nun in den Berei­chen Elektro­nik, Software und autono­mes Fahren weiter forciert. Erstmals bietet ZF auch Software­pro­duk­te an, die Kunden unabhän­gig von der Hardware erwer­ben können. Der Konzern hat dazu ein Global Software Center gegrün­det, um die Entwick­lung von Software­lö­sun­gen zu beschleu­ni­gen und daten­ba­sier­te Produkt- und Dienst­leis­tungs­an­ge­bo­te in profi­ta­ble Geschäfts­mo­del­le zu entwi­ckeln. Dies birgt hohes Poten­zi­al, da der Software­an­teil im Fahrzeug weiter zuneh­men wird und immer mehr Kompo­nen­ten mit Senso­ren ausge­stat­tet sind, die poten­zi­el­le Daten­lie­fe­ran­ten sind. Das Global Software Center von ZF setzt die neues­ten Metho­den der Software­ent­wick­lung ein, zum Beispiel beim Program­mie­ren der jüngst vorge­stell­ten Middle­wa­re für die zentra­len Hochleis­tungs­rech­ner zukünf­ti­ger Fahrzeuge.

Stark gefragt sind neben Software auch Hardware-Kompo­nen­ten wie der modula­re Hochleis­tungs­com­pu­ter ZF ProAI, da in den Autos der nächs­ten Genera­ti­on leistungs­star­ke Zentral­rech­ner viele kleine Steuer­ge­rä­te ablösen. In seiner jüngs­ten Ausbau­stu­fe wird ZF ProAI neue Standards bei der Digita­li­sie­rung und Vernet­zung des Automo­bils setzen. ZF wird mehre­re Millio­nen Exempla­re der ZF ProAI sowohl an globa­le Pkw- als auch an Nutzfahr­zeug­her­stel­ler liefern. „Unser Ziel ist, unsere Positi­on bei Software und High Perfor­mance Compu­ting durch eine umfas­sen­de Digita­li­sie­rungs­of­fen­si­ve zu sichern und weiter auszu­bau­en. So wollen wir zu einem führen­den Anbie­ter von zentra­len Steuer­ge­rä­ten und Software­pro­duk­ten werden“, sagte Scheider.

Windkraft-Antriebs­tech­nik entwi­ckelt sich positiv
Erfol­ge hat 2020 auch die Divisi­on Indus­trie­tech­nik zu verzeich­nen: Überaus gefragt waren beispiels­wei­se die Produk­te der Sparte Windkraft-Antriebs­tech­nik. Der Umsatz dieses Geschäfts­be­reichs vervier­fach­te sich seit 2013 von etwa 230 Millio­nen Euro auf erstmals eine Milli­ar­de Euro im vergan­ge­nen Jahr. Die Getrie­be­kon­struk­ti­on von ZF basiert dabei auf einem neuen Platt­form-Ansatz, dessen standar­di­sier­te Kompo­nen­ten den Herstel­lern von Windkraft­an­la­gen maxima­le Flexi­bi­li­tät bieten. Dies erlaubt das schnel­le Anpas­sen an neue Turbi­nen­mo­del­le und verkürzt die Zeit der Markteinführung.

Zukunfts­wei­send ist die von ZF mit dem dänischen Windkraft­an­la­gen­her­stel­ler Vestas jüngst verein­bar­te strate­gi­sche Partner­schaft zur Entwick­lung von Getrie­ben für die neue weltgröß­te Klasse der 15-Megawatt-Windtur­bi­nen für den Offshore-Einsatz. Mit einer dieser Anlagen können erstmals rund 80 Gigawatt­stun­den grünen Stroms pro Jahr erzeugt werden. Eine einzel­ne Anlage reicht damit aus, um rechne­risch den Strom­be­darf von etwa 20.000 europäi­schen Haushal­ten zu decken und mehr als 38.000 Tonnen CO2 einzu­spa­ren. ZF leistet so einen Beitrag zum Ausbau der erneu­er­ba­ren Energien und zur Reduk­ti­on von Treibhausgasen.

Anspruchs­vol­les Ziel: klima­neu­tra­ler Konzern bis 2040
Prinzi­pi­en nachhal­ti­ger Unter­neh­mens­füh­rung sind fest in der ZF-Strate­gie veran­kert. Schwer­punk­te der Nachhal­tig­keits­be­stre­bun­gen liegen in den vier Berei­chen Produk­te, Produk­ti­on, Mitar­bei­ter und Liefer­ket­te. „Unser anspruchs­vol­les Ziel ist, bis 2040 klima­neu­tral zu werden – zehn Jahre früher als es das Pariser Klima­ab­kom­men vorsieht“, sagte ZF-Chef Schei­der. „Dazu wollen wir unter anderem unseren CO2-Ausstoß konse­quent reduzie­ren, auch in unserer Liefer­ket­te.“ ZF hat daher Nachhal­tig­keit als verpflich­ten­des Krite­ri­um einge­führt, um bei den Geschäfts­part­nern ein Bewusst­sein für seine Erwar­tungs­hal­tung zu Nachhal­tig­keit und Dekar­bo­ni­sie­rung zu schaf­fen. ZF hat sich überdies der „Alliance of CEO Clima­te Leaders“ des Weltwirt­schafts­fo­rums angeschlos­sen, da Ressour­cen­scho­nung und Umwelt­schutz nur gemein­sam erfolg­reich bewäl­tigt werden können.

Kennzah­len: starke Erholung im zweiten Halbjahr 2020
Mit 32,6 (2019: 36,5) Milli­ar­den Euro lag der Umsatz des ZF-Konzerns 2020 um 11 Prozent unter dem des Vorjah­res. „Nach Ausbruch der Pande­mie haben wir rasch alle Ausga­ben auf den Prüfstand gestellt“, sagte ZF-Finanz­vor­stand Dr. Konstan­tin Sauer. „Durch eine strik­te Kontrol­le unserer Kosten und Inves­ti­ti­ons­aus­ga­ben sowie Struk­tur­an­pas­sun­gen ist es uns gelun­gen, das opera­ti­ve Ergeb­nis und den Cashflow im zweiten Halbjahr deutlich zu verbes­sern. Gehol­fen hat dabei die Erholung des Marktes.“ Auch ZF profi­tier­te stark von der Erholung des chine­si­schen Marktes, weshalb der Umsatz in der Markt­re­gi­on Asien-Pazifik den des Vorjah­res sogar leicht übertraf.

Das berei­nig­te EBIT lag bei 1.047 (2019: 1.503) Millio­nen Euro; die berei­nig­te EBIT-Marge ging auf 3,2 (2019: 4,1) Prozent zurück. Der um M&A‑Aktivitäten berei­nig­te Free Cashflow lag bei 994 Millio­nen Euro (2019: 803 Millio­nen Euro). Das Ergeb­nis nach Steuern von minus 741 Millio­nen Euro ist wesent­lich bedingt durch Rückstel­lun­gen für Restruk­tu­rie­run­gen sowie erheb­li­che Vorleis­tun­gen für Zukunfts­auf­ga­ben, an denen ZF trotz der strik­ten Kosten­dis­zi­plin festge­hal­ten hat.
Festge­hal­ten hat ZF auch an seinen Forschungs- und Entwick­lungs­ak­ti­vi­tä­ten: Die F&E‑Quote stieg im Vorjahr gegen­über 2019 von 7,3 auf 7,7 Prozent, was Ausga­ben für Forschung und Entwick­lung in Höhe von 2,5 (2019: 2,7) Milli­ar­den Euro entspricht. Die Inves­ti­tio­nen in Sachan­la­gen betru­gen 1,4 (2019: 1,9) Milli­ar­den Euro. Damit lag die Inves­ti­ti­ons­quo­te bei 4,4 (2019: 5,2) Prozent.

ZF sichert sich zusätz­li­che Liquidität

Um die Finanz­si­tua­ti­on zu verbes­sern, hatte sich ZF im ersten Halbjahr 2020 durch einen syndi­zier­ten Kredit zusätz­li­che Liqui­di­tät verschafft. Dieser wurde bereits im zweiten Halbjahr wieder vollstän­dig zurück­ge­zahlt. Ebenso wurden mit dem Banken­kon­sor­ti­um die durch ZF einzu­hal­ten­den Kennzah­len bezüg­lich Ergeb­nis­qua­li­tät und Liqui­di­tät angepasst. Erstmals hat ZF ein EMTN-Programm (Euro Medium Term Note) aufge­setzt, was ein schnel­le­res und flexi­ble­res Platzie­ren von Anlei­hen erlaubt. Unter diesem Programm hat ZF im Herbst 2020 bereits Anlei­hen mit einem Gesamt­vo­lu­men von zwei Milli­ar­den Euro platziert. „All diese Maßnah­men sind vom Kapital­markt und unseren Inves­to­ren überaus positiv aufge­nom­men worden“, sagte Sauer. „Dies unter­streicht deren Vertrau­en in die finan­zi­el­le Stabi­li­tät von ZF auch in schwie­ri­gen Zeiten.“

Perso­nal­struk­tur im Konzern verän­dert sich

Die Fokus­sie­rung auf zukunfts­wei­sen­de Techno­lo­gie­fel­der wird perspek­ti­visch auch die Quali­fi­ka­ti­ons­pro­fi­le der ZF-Beschäf­tig­ten verän­dern. Um die Mitar­bei­ter für den Umgang mit neuen Techno­lo­gien zu quali­fi­zie­ren, setzt das Unter­neh­men derzeit das bisher größte Schulungs­pro­gramm in der Unter­neh­mens­ge­schich­te auf: In der „E‑Cademy“, einer Weiter­bil­dungs­in­itia­ti­ve rund um das Thema E‑Mobilität, werden die Beschäf­tig­ten im Techno­lo­gie­wan­del beglei­tet. Umfas­sen­de Angebo­te sollen es den Mitar­bei­te­rin­nen und Mitar­bei­tern ermög­li­chen, sich gezielt für Zukunfts­pro­fi­le zu qualifizieren.

Zugleich richtet ZF sukzes­si­ve seine Kapazi­tä­ten auf das in den nächs­ten Jahren niedri­ge­re Produk­ti­ons­ni­veau der weltwei­ten Fahrzeug­märk­te aus. So haben beispiels­wei­se in Deutsch­land, wo über den „Tarif­ver­trag Trans­for­ma­ti­on“ bis Ende 2022 eine Beschäf­ti­gungs- und Stand­ort­si­che­rung gilt, nahezu 2.000 Mitar­bei­ter Abfin­dungs- und Alters­teil­zeit­an­ge­bo­te angenom­men. Insge­samt hat ZF die Zahl der Stellen im Vorjahr weltweit um 6.450 reduziert. Zusätz­li­che Stellen wurden in den Berei­chen Elektro­mo­bi­li­tät, autono­mes Fahren und Software­ent­wick­lung geschaf­fen. Zum Stich­tag 31. Dezem­ber 2020 beschäf­tig­te ZF weltweit insge­samt 153.522 Mitar­bei­ter (2019: 147.797). Der Zuwachs resul­tiert aus den Ende Mai hinzu­ge­kom­me­nen rund 12.000 Wabco-Mitarbeitern.

Zuver­sicht­li­cher Ausblick für den ZF-Konzern

Angesichts der langfris­tig orien­tier­ten strate­gi­schen Neuaus­rich­tung, dem Ausbau zukunfts­ge­rich­te­ter Techno­lo­gie­fel­der sowie der im vergan­ge­nen Jahr neu erhal­te­nen Aufträ­ge blickt ZF zuver­sicht­lich in die Zukunft. Auf Basis der zu erwar­ten­den weite­ren Erholung der Weltwirt­schaft und der aktuel­len Einschät­zun­gen für die einzel­nen Divisio­nen geht ZF davon aus, in diesem Jahr voraus­sicht­lich einen Umsatz zwischen 37 und 39 Milli­ar­den Euro zu erwirt­schaf­ten. Die berei­nig­te EBIT-Marge erwar­tet ZF im Bereich von 4,5 bis 5,5 Prozent; der berei­nig­te Free Cashflow wird zwischen 0,8 und 1,2 Milli­ar­den Euro erwar­tet. Auswir­kun­gen auf die Progno­se im Hinblick auf Unsicher­hei­ten bedingt durch die Covid-19-Pande­mie sowie den Umfang und die Dauer entspre­chen­der Lockdowns können nicht ausge­schlos­sen werden. Die aktuel­len Liefer­eng­päs­se elektro­ni­scher Mikro­chips stellen für die Zulie­fer­indus­trie insge­samt und auch für ZF eine Heraus­for­de­rung dar. Ihre Auswir­kun­gen auf das Gesamt­jahr 2021 können derzeit noch nicht einge­schätzt werden.