SKOPJE (dpa) — Mit dem 4:0 in Nordma­ze­do­ni­en löst das Natio­nal­team als erstes Team weltweit neben Gastge­ber Katar das WM-Ticket. Was ist drin 2022? Das ist nun die große Frage. Ein Merkel-Satz wird zum DFB-Motto. Hansi Flicks Wirken zeigt sich exempla­risch am Mann des Abends in Skopje.

Eine kleine Spontan-Feier im Teamho­tel gönnten sich Hansi Flick und seine Express-Quali­fi­kan­ten nach dem finalen Schritt zur WM in Katar schon.

Beim Mannschafts­es­sen nach Mitter­nacht wurde nach Angaben von Teilneh­mern auch mit einem Gläschen angesto­ßen. Und DFB-Interims­chef Peter Peters und Natio­nal­mann­schafts­di­rek­tor Oliver Bierhoff belobig­ten in ihren Dankes­wor­ten wie schon der Bundes­trai­ner zuvor im Natio­nal­sta­di­on von Skopje nach dem 4:0‑Statement gegen Nordma­ze­do­ni­en die erfri­schen­de und leistungs­för­dern­de «Menta­li­tät» beim Aufbruch in eine neue Zeit nach 15 Jahren mit Joachim Löw.

Die Botschaft der Nacht laute­te: «Weiter­ge­hen auf diesem Weg!» Und eine Hoffnung schwingt im Team und auch bei den Fans immer mit: Hansi schafft das! «Wir sind an einem guten Punkt», sagte Bierhoff: «Wir haben schon die Dinge sehr schnell umgesetzt, das, was Hansi Flick auch fordert.» Ihn freue, «wie die Mannschaft zusammenwächst».

Blick ab sofort Richtung Katar 2022

Am Diens­tag­mor­gen flog der Tross mit Zwischen­stopp München zurück nach Frank­furt. Der Vereins­all­tag fordert Doppel­tor­schüt­ze Timo Werner und Co. nun wieder im Dauer­spiel­be­trieb. Flick kann derweil als obers­ter WM-Projekt­lei­ter zusam­men mit Chefor­ga­ni­sa­tor Bierhoff vor den abschlie­ßen­den zwei Quali-Partien im Novem­ber gegen Liech­ten­stein und Armeni­en in aller Ruhe über die ideale Marsch­rou­te zur Glühwein-WM in Katar brüten. Das Turnier in der Wüste vom 21. Novem­ber bis 18. Dezem­ber 2022 ist sport­lich das neue Traumziel.

Deutsch­lands Rolle beim Kampf um den golde­nen WM-Pokal muss sich freilich noch finden nach der Pflicht­übung Platz eins in der Ausschei­dung. «Das Ergeb­nis braucht man in der Gruppe auch nicht überzu­be­wer­ten», sagte Bierhoff nach den fünf Siegen unter Flick gegen Liech­ten­stein (2:0), Armeni­en (6:0), Island (4:0), Rumäni­en (2:1) und nun im nasskal­ten Skopje. Aber zur Erinne­rung: Mit Löw wurde das Hinspiel gegen die Mazedo­ni­er noch mit 1:2 verloren.

«Wir haben unser Ziel erreicht»

Der schwer erkäl­te­te Flick verab­schie­de­te sich aus Skopje mit hörba­rem Stolz in der angegrif­fe­nen Stimme. «Wir haben unser Ziel erreicht. Wir haben uns als erste Nation nach Katar quali­fi­ziert für Katar», sagte der Bundes­trai­ner. Der Gastge­ber war für einen der 32 WM-Start­plät­ze gesetzt. Flick versprach nichts für 2022 — und hält trotz­dem alles für möglich. «Wir müssen uns entwi­ckeln bis zur WM. Wie weit wir dann sind, weiß ich nicht. Aber ich weiß auf jeden Fall, mit dieser Menta­li­tät ist einiges machbar», sagte der 56-Jährige.

Er steht noch am Anfang eines Weges, der an der Weltspit­ze enden soll. Der Maßstab sind jetzt wieder die Großen des Weltfuß­balls wie jene vier Teams, die gerade den Gewin­ner der oft belächel­ten Nations League ausge­spielt haben: Frank­reich, Spani­en, Itali­en, Belgi­en. Flick ist nicht bange, wenn er auf seinen Bayern-Block schaut, mit dem er in München 2020 das Triple gewann. Oder auf sein aktuel­les Champi­ons-League-Sieger­trio vom FC Chelsea.

Kai Havertz und Werner erziel­ten am Montag­abend die ersten drei Tore. Jamal Musia­la sorgte mit seinem ersten Länder­spiel­tor für die Zugabe. «Es hat sich richtig gut angefühlt», sagte der Bayern-Youngs­ter (18).

Zuver­sicht­li­cher Flick

«Von der Quali­tät unserer Spieler, wenn man mal anschaut, wo sie spielen, muss man einfach sagen, haben sie auch die Quali­tät, gegen Itali­en, Spani­en, Frank­reich, Belgi­en zu bestehen. Ich bin da sehr zuver­sicht­lich», verkün­de­te Flick. Ihm ist es wie vor zwei Jahren in München als Chefcoach gelun­gen, intern für einen Stimmungs­wan­del zu sorgen und mit seiner offen­si­ven Spiel­idee Spieler und Fans sofort zu begeis­tern und ganz schnell hinter sich zu vereinen.

«Jeder hat Bock auf die Natio­nal­mann­schaft», sagte Manuel Neuer zur neuen Lust auf Länder­spie­le. Der Kapitän hat schon vor Flicks Start im Septem­ber als Erster davon gespro­chen, in Katar Weltmeis­ter werden zu wollen. Der 35-Jähri­ge rief dafür den amtie­ren­den Europa­meis­ter als Vorbild aus: «Itali­en ist eine Einheit gewesen auf dem Platz. Sie haben es uns vorge­macht. Sie haben zusam­men­ge­hal­ten. So muss es bei uns auch werden.» Das bislang Erreich­te macht dem Torwart und Weltmeis­ter von 2014 Mut: «Wir haben tolle Akzen­te gesetzt.»

Auslo­sung im Frühjahr

Flick weiß — ebenso wie Neuer -, dass noch viel zu tun ist, um höchs­te WM-Ansprü­che anmel­den zu können. Bei der Auslo­sung der Gruppen­geg­ner im Frühjahr 2022 wird die Kugel mit dem Kärtchen «Deutsch­land» nicht im Topf der Top-Natio­nen wie Itali­en, England, Brasi­li­en oder Argen­ti­ni­en sein. Der vierma­li­ge Weltmeis­ter wird nur in Topf zwei landen. Egal. Findet Neuer. Oder auch der junge Havertz: «Wenn man für Deutsch­land spielt, ist das Ziel immer, Titel zu gewin­nen. Deswe­gen werden wir nächs­tes Jahr auch so anreisen.»

Der nach dem Rücktritt von Toni Kroos zum Mitan­füh­rer im Mittel­feld beför­der­te Leon Goretz­ka empfahl, bei den WM-Progno­sen «noch kleine Brötchen» zu backen: «Wir haben noch viel vor uns, auch viele Dinge, die wir besser machen müssen, wenn es darum geht, dass wir zurück in die Weltspit­ze kommen.» Aber Goretz­ka benann­te wegen der Erfah­run­gen beim FC Bayern München auch den Haupt­grund, warum er vieles für möglich hält: «Ich glaube, da ist kaum jemand besser als Hansi, das zu schaffen.»

Der abgewan­del­te Satz von Bundes­kanz­le­rin Angela Merkel in der Flücht­lings­kri­se 2015 ist die deutsche WM-Losung. Flick mögen nicht nur Weltklas­se-Außen­ver­tei­di­ger fehlen. Aber er hat viel Poten­zi­al im Kader. Er baut eine Achse um Sieger­ty­pen wie Torwart Neuer, Joshua Kimmich und Goretz­ka als Herzstück im Mittel­feld sowie dem unver­zicht­ba­ren Offen­siv-Antrei­ber Müller. Flicks größtes Vermö­gen aber ist es, intern eine Wagen­burg des gegen­sei­ti­gen Vertrau­ens zu schaffen.

Parade­bei­spiel ist Werner: Flick hat im DFB-Team nicht wie zuvor in München einen Weltklas­se-Mittel­stür­mer wie Robert Lewan­dow­ski. Und so vertraut er eben dem Mann des Abends von Skopje, der seine Kriti­ker mit zwei Toren vorerst verstum­men lässt. «Wir als Mannschaft wissen, was wir können, ich als Spieler weiß, was ich kann», sagte Werner trotzig und dankte Flick: «Ich habe es schon oft gesagt, wenn ein Trainer einen mag und auf einen setzt, hilft das jedem Spieler.»

Von Klaus Bergmann und Jan Mies, dpa