MADRID (dpa) — Die Nato will die Ostflan­ke stärken und sich im Norden ausdeh­nen. Der russi­sche Präsi­dent Putin kündigt eine militä­ri­sche Reakti­on an und wirft dem Westen Imperia­lis­mus vor. Kanzler Scholz findet dafür klare Worte.

Nach dem Nato-Gipfel droht ein neues Wettrüs­ten zwischen dem Westen und Russland. Kreml­chef Wladi­mir Putin kündig­te an, auf die mögli­che Verle­gung von Nato-Solda­ten nach Finnland selbst mit Truppen­ver­le­gun­gen reagie­ren zu wollen.

Die Nato hatte bei ihrem zweitä­gi­gen Gipfel in Madrid ihrer­seits eine deutli­che Verstär­kung der Ostflan­ke sowie den Start des Verfah­rens zur Aufnah­me von Finnland und Schwe­den beschlossen.

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz beschrieb die Sicher­heits­la­ge angesichts des russi­schen Kriegs gegen die Ukrai­ne düster: «Durch seine aggres­si­ve Politik stellt Russland wieder eine Bedro­hung für Europa, für die Allianz dar», sagte der SPD-Politi­ker zum Abschluss des Spitzen­tref­fens in der spani­schen Haupt­stadt. Nato-General­se­kre­tär Jens Stolten­berg äußer­te sich ähnlich besorgt. «Wir haben es mit der ernstes­ten Sicher­heits­la­ge seit Jahrzehn­ten zu tun», sagte der Norwe­ger mit Blick auf den Ukrai­ne-Krieg, aber auch auf die als aggres­siv wahrge­nom­me­ne Politik Chinas. Beide beton­ten aller­dings auch, dass sie die Nato für die Heraus­for­de­run­gen gewapp­net halten.

Die 30 Bündnis­staa­ten hatten zuvor ein neues Streit­kräf­te-Modell beschlos­sen. Dieses sieht Stolten­berg zufol­ge vor, die Zahl der Solda­ten in hoher Einsatz­be­reit­schaft von 40.000 auf mehr als 300.000 zu erhöhen. Außer­dem werden mehr schwe­re Waffen vor allem ins Balti­kum und nach Polen verlegt. Außer­dem wurde nach wochen­lan­ger Blocka­de durch die Türkei der Nato-Beitritt von Finnland und Schwe­den in die Wege geleitet.

Deutli­che Erhöhung der Gemeinschaftsausgaben

Die Alliier­ten beschlos­sen zudem, den gemein­sa­men Haushalt deutlich aufzu­sto­cken. Bis Ende 2030 sollen nach dpa-Infor­ma­tio­nen mehr als 20 Milli­ar­den Euro zusätz­lich zur Verfü­gung stehen. Für die Periode von 2023 bis 2030 sind es Nato-Berech­nun­gen zufol­ge dann insge­samt knapp 45 Milli­ar­den Euro. Das Treffen in Madrid setzte den Schluss­punkt eines achttä­gi­gen Gipfel­ma­ra­thons von EU, G7 und Nato.

Russland will auf Truppen-Statio­nie­rung im Norden reagieren

Putin sieht in der Nato-Norderwei­te­rung zwar keine Bedro­hung für Russland — hat aber doch eine militä­ri­sche Reakti­on in Aussicht gestellt. «Werden dort jetzt Truppen statio­niert und Infra­struk­tur einge­rich­tet, so werden wir gespie­gelt antwor­ten müssen und diesel­ben Bedro­hun­gen für das Terri­to­ri­um schaf­fen, von dem aus wir bedroht werden», sagte Putin der Agentur Tass zufol­ge. «Alles war gut zwischen uns, aber jetzt wird es irgend­wel­che Spannun­gen geben — das ist offen­sicht­lich, zweifels­frei, ohne geht es nicht.»

Scholz nennt Putins Imperia­lis­mus-Vorwurf «lächer­lich»

Die Spannun­gen zwischen der Nato und Russland sind schon jetzt so groß wie seit dem Kalten Krieg nicht. Putin warf den führen­den Bündnis­mit­glie­dern vor, sich mit Hilfe der Ukrai­ne behaup­ten zu wollen. Es gehe der Nato um «ihre Vorherr­schaft, ihre imperia­len Ambitionen».

Kanzler Scholz wies diesen Vorwurf barsch zurück: «Das ist ehrli­cher­wei­se ziemlich lächer­lich», sagte er. Die Nato sei eine defen­si­ve Allianz, greife keine anderen Länder an und sei auch für nieman­den in der Nachbar­schaft eine Bedro­hung. «Tatsäch­lich ist es Putin, der Imperia­lis­mus zum Ziel seiner Politik gemacht hat und zum Gegen­stand seiner Politik.»

Nato will Beschlüs­se für Erwei­te­rung nächs­te Woche treffen

Am kommen­den Diens­tag will das Bündnis mit der Unter­zeich­nung der Beitritts­pro­to­kol­le formell die Aufnah­me von Schwe­den und Finnland beschlie­ßen. Dann müssen sie noch von den 30 Mitglied­staa­ten ratifi­ziert werden. Dies könnte Schät­zun­gen zufol­ge sechs bis acht Monate dauern.

Die beiden nordi­schen Staaten hatten unter dem Eindruck des russi­schen Angriffs auf die Ukrai­ne beschlos­sen, ihre jahrzehn­te­lan­ge Neutra­li­tät aufzu­ge­ben und der Nato beizu­tre­ten. Die Grenze der Nato zu Russland verlän­gert sich somit um mehr als 1300 Kilometer.

Biden: Werden Ukrai­ne so lange unter­stüt­zen wie nötig

Die von Russland angegrif­fe­ne Ukrai­ne kann langfris­tig auf die Hilfe der Nato-Staaten setzen. «Wir werden die Ukrai­ne so lange unter­stüt­zen, wie es nötig ist», sagte US-Präsi­dent Joe Biden in Madrid. Die USA und die anderen Alliier­ten würden so lange zur Ukrai­ne halten, um sicher­zu­stel­len, dass das Land nicht von Russland besiegt werde.

Zugleich stell­te Biden dem kriegs­ge­plag­ten Land weite­re Waffen­lie­fe­run­gen im Umfang von mehr als 800 Millio­nen Dollar (etwa 769 Millio­nen Euro) in Aussicht. In den kommen­den Tagen plane seine Regie­rung eine entspre­chen­de Ankün­di­gung. Dazu gehör­ten etwa ein neues moder­nes Luftver­tei­di­gungs­sys­tem und zusätz­li­che Muniti­on für das Raketen­wer­fer­sys­tem des Typs Himars, das Kiew bereits erhal­ten habe.

Leopard für die Ukrai­ne? Lambrecht spricht mit spani­scher Kollegin

Am Rande des Gipfels war auch eine mögli­che Liefe­rung von Leopard-Kampf­pan­zern der spani­schen Streit­kräf­te aus deutscher Produk­ti­on an die Ukrai­ne Thema. Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rin Chris­ti­ne Lambrecht (SPD) führte dazu in Madrid Gesprä­che mit ihrer spani­schen Amtskol­le­gin Marga­ri­ta Robles. Deutlich gewor­den sei, dass es auf spani­scher Seite noch keine Entschei­dung gibt, hieß es anschließend.

Die Regie­rung in Madrid überlegt spani­schen Berich­ten zufol­ge, Kampf­pan­zer vom Typ Leopard 2 A4 sowie Luftab­wehr­ra­ke­ten zu liefern. Es hande­le sich um einge­mot­te­te Panzer, die erst für den Einsatz vorbe­rei­tet werden müssten, schrieb die Zeitung Anfang Juni. Dem Bericht zufol­ge könnten rund 40 von 108 Leopard-Panzern, die Spani­en 1995 gebraucht in Deutsch­land gekauft habe, wieder einsatz­be­reit gemacht werden. Deutsch­land müsste einer Weiter­ga­be aber erst noch zustimmen.

Nächs­ter Nato-Gipfel in Nachbar­schaft zu Russland

Nach Madrid kommt Vilni­us: Der Nato-Gipfel im kommen­den Jahr findet nach Angaben von Stolten­berg an der Ostflan­ke des Bündnis­ses statt. Man werde sich in der litaui­schen Haupt­stadt treffen, sagte der Norwe­ger. Litau­en hat eine gemein­sa­me Grenze mit der russi­schen Ostsee-Exkla­ve Kalinin­grad. Der balti­sche Staat grenzt zudem an Belarus, einen engen Verbün­de­ten Moskaus.