JAMESTOWN (dpa) — Jonathan ist die ältes­te Schild­krö­te der Welt. Er hat zwei Weltkrie­ge erlebt und den Bau des ersten Wolken­krat­zers. Auf der Insel St. Helena im Südat­lan­tik feiert das Tier nun seinen 190. Geburtstag.

Am liebs­ten grast Jonathan im Garten, nimmt ein kühles Bad oder schläft im Schat­ten der Bäume. Jonathan ist, wie offizi­ell vom Guinness-Buch der Rekor­de bestä­tigt, die ältes­te Schild­krö­te der Welt.

Seit dem vorletz­ten Jahrhun­dert lebt er auf der Insel St. Helena, ein briti­sches Protek­to­rat vor der Westküs­te Afrikas. Als Wahrzei­chen der Insel feiert er dort vom 2. bis 4. Dezem­ber seinen 190. Geburtstag.

Jonathan ist nicht allein

Jonathan, der zur Unter­art der Seychel­len-Riesen­schild­krö­ten (Aldabra­che­lys gigan­tea hololis­sa) gehört, wohnt mit drei weite­ren Riesen­schild­krö­ten — David, Fred und Emma — im Garten des Gouver­neurs­sit­zes von St. Helena, ein auf einem erlosche­nen Vulkan stehen­der Koloni­al­bau im georgi­schen Stil.

Einst gehör­te die Paarung mit Emma zu Jonat­hans Lieblings­ak­ti­vi­tä­ten, erzählt Jonat­hans Pfleger, Tierarzt Joe Hollins, der mit vollem Namen eigent­lich auch Jonathan heißt. Doch im fortge­schrit­te­nen Alter sei Jonathan zu einem «gemäch­li­chen, älteren Gentle­man» gewor­den, der gern seine eigenen Wege gehe.

Jonathan lebt seit 1882 auf der 121 Quadrat­ki­lo­me­ter großen Insel mit ihren knapp 4500 Einwoh­nern. Rund 60 Jahre zuvor starb hier Napole­on, der nach St. Helena verbannt worden war.

Die Schild­krö­te war ein Geschenk für den Briten Sir William Grey-Wilson, der später Gouver­neur von St. Helena wurde (1890 — 1897). Seitdem lebt Jonathan im Garten der Residenz, in der er mehr als 30 Gouver­neu­re kommen und gehen sah.

Jonat­hans genau­es Geburts­da­tum kennt niemand, doch dass er mindes­tens 190 Jahre alt ist, bewei­sen ein histo­ri­scher Brief und ein Foto. Das Schrei­ben aus dem Ankunfts­jahr zeigt, dass Jonathan als «ausge­wach­se­nes Tier» lande­te. Auch auf einem zwischen 1882 und 1886 auf der Insel aufge­nom­me­nen Foto kann man anhand des Panzer­durch­mes­sers erken­nen, dass Jonathan bei seiner Ankunft bereits ausge­wach­sen war. Für Schild­krö­ten kommt dies Exper­ten zufol­ge einem Mindest­al­ter von 50 Jahren gleich.

Jonathan ist ein Überlebenskünstler

Eigent­lich sei die durch­schnitt­li­che Lebens­er­war­tung seiner Artge­nos­sen 150 Jahre, erzählt Hollins, doch Jonathan sei ein Überle­bens­künst­ler. Viele Jahrzehn­te lang galten Riesen­schild­krö­ten als Delika­tes­se, beson­ders unter Seefah­rern. Die Tiere waren nahrhaft, einfach einzu­fan­gen und konnten an Deck leicht aufein­an­der­ge­sta­pelt werden, so Hollins.

Jonathan hat seit seiner Geburt (geschätzt 1832) Weltkrie­ge, acht Monar­chen auf dem briti­schen Thron und 40 US-Präsi­den­ten erlebt. Seine Geburt liegt vor dem Druck der ersten Brief­mar­ke (1840), dem Bau des ersten Wolken­krat­zers (1885) und der Fertig­stel­lung des Eiffel­turms (1887).

«Für uns ist Jonathan ein Symbol für Bestän­dig­keit und Überle­ben. Er hat Kriege und Seuchen kommen und gehen, Imperi­en wachsen und fallen sehen, auch wenn er selbst nichts davon weiß», sagt Hollins. «Er gibt uns Hoffnung, dass etwas trotz der Bruta­li­tät der Mensch­heit auf unserem Plane­ten überle­ben kann.»

Seit zwölf Jahren kümmert sich Hollins um den etwa 180 Kilogramm schwe­ren Jonathan. Mit 65 Jahren ist Hollins grade mal ein Drittel so alt wie sein Patient. Der Tierarzt stellt sicher, dass Jonathan ausrei­chend Vitami­ne, Mineral­stof­fe und Spuren­ele­men­te zu sich nimmt. Einmal die Woche füttert er ihn mit der Hand mit seinen Lieblings­le­cke­rei­en: Gurken, Salat­blät­ter, Karot­ten, Äpfel, Bananen und Guave. «Ich liebe Jonathan, aber was die Gegen­lie­be angeht, bin ich realis­tisch. Er sieht mich einfach nur als Essens­lie­fe­ran­ten», sagt Hollins.

Jonathan hört noch sehr gut

Jonathan ist inzwi­schen blind und hat seinen Geruchs­sinn verlo­ren. Sein Gehör sei aber hervor­ra­gend, erzählt Hollins. Jonathan erken­ne den Pfleger an der Stimme und verbrin­ge überhaupt gern Zeit unter Menschen. Wenn er Besucher höre, komme er oft angelau­fen, lasse sich strei­cheln und fotogra­fie­ren, sagt Hollins. Auch liebe er die Geräu­sche des angren­zen­den Tennis­plat­zes — oft stehe Jonathan für lange Zeit an der Umzäu­nung und lausche den Stimmen und dem Aufschla­gen der Bälle.

Für die Bewoh­ner von St. Helena ist Jonathan zur Ikone gewor­den. Eine 5‑Pen­ny-Münze trägt bereits sein Ebenbild, mit der Inschrift «Jonathan, die Riesen­schild­krö­te». Teil der Geburts­tags­fei­er­lich­kei­ten im Dezem­ber ist die Heraus­ga­be einer Jonathan-Briefmarke.

Für das Fest hat die Touris­mus­be­hör­de über drei Tage Veran­stal­tun­gen geplant. Besucher erhal­ten zum Andenken eine offizi­el­le Urkun­de mit Jonat­hans Fußab­druck, signiert vom Gouver­neur. Wer nicht persön­lich dabei sein kann, hat die Möglich­keit, sich per Live-Stream in den Garten zuzuschal­ten, um einen Einblick in Jonat­hans tägli­ches Leben zu erhal­ten. Joe wird Jonathan dabei natür­lich sein Lieblings­ge­mü­se füttern.

Von Kristin Palitza, dpa