Bregenz — Im Rahmen der Festta­ge präsen­tie­ren die Bregen­zer Festspie­le die Musik­thea­ter-Urauf­füh­rung Impre­sa­rio Dotcom. Kompo­nis­tin L’ubica Čekovs­ká, Regis­seu­rin Elisa­beth Stöpp­ler und Libret­tis­tin Laura Olivi erzäh­len im Gespräch über die mitrei­ßen­de Komödie und die aktuel­le Probensituation. 

Die Urauf­füh­rung einer Oper ist immer ein beson­de­res, weil selte­nes Erleb­nis. Noch dazu, wenn aufgrund der Corona-Pande­mie spezi­el­le Hygie­ne- und Sicher­heits­auf­la­gen erfor­der­lich sind. Was bedeu­tet es angesichts der gegen­wär­ti­gen Krise auch für die Opern­welt, die grotes­ke Opera buffa Impre­sa­rio Dotcom, die eben dieses Metier beleuch­tet, zu insze­nie­ren? Inwie­fern geht diese Krise über die Welt der Oper hinaus?

Elisa­beth Stöpp­ler: Die Oper Impre­sa­rio Dotcom erfährt in diesem „Corona-Sommer“ eine zusätz­li­che Verschär­fung. Denn die Krise der Arbeit suchen­den Sänge­rin­nen und Sänger im Stück lässt sich aktuell auf viele real existie­ren­de Theater-Kolle­gin­nen und ‑Kolle­gen eins zu eins übertra­gen. Ich empfin­de es als großes Privi­leg, so akut auf die Situa­ti­on meines Metiers theatral reagie­ren zu können – gerade weil diese Krise weit über die Opern­welt hinaus­geht. Denn das in der Oper vorkom­men­de komische Sänger-Panop­ti­kum meint uns alle, spiegelt uns, die diese weltwei­te Krise vor existen­zi­el­le Heraus­for­de­run­gen stellt, wie in einem verzerr­ten Brennglas.

Welche Auswir­kun­gen hatten die Corona-beding­ten Änderun­gen auf das Konzept?

ES: Gemein­sam mit der Kompo­nis­tin und Libret­tis­tin haben wir als Team in kurzer Zeit das Stück auf eine Fassung ohne Pause gestri­chen und uns völlig von allen ursprüng­li­chen bildne­ri­schen Ideen verab­schie­det. Letzt­lich musste ich in kurzer Proben­zeit mit den zur Verfü­gung stehen­den Mitteln insze­nie­ren, außer­dem aufgrund der Abstands­re­geln jede Berüh­rung unter den Darstel­len­den vermei­den. Das Ziel blieb trotz dieses stren­gen Rahmens, einen in sich komplet­ten, aussa­ge­kräf­ti­gen Opern­abend auf die Bühne zu bringen. Das Stück kreist um ehrgei­zi­ge Sänge­rin­nen und Sänger, die von Ruhm und Geld träumen. Die Chance zum Karrie­re­schub scheint der reiche Impre­sa­rio Dotcom mithil­fe des Agenten Conte Lasca zu bieten.

Laura Olivi: Carlo Goldo­nis Der Impre­sa­rio von Smyrna aus dem Jahr 1761 gab mir die Struk­tur der Handlung. Aber die Geschich­te, die wir erzäh­len, ist neu, sie spielt heute. Dafür habe ich viele Sänge­rin­nen und Sänger inter­viewt, um von ihren Ängsten, Wünschen, Visio­nen zu erfah­ren. Meine Figuren stellen reale Sänger dar und verkör­pern zugleich berühm­te Opern­cha­rak­te­re. Neben Conte Lasca gibt es fünf Rollen, eigen­stän­di­ge Perso­nen, die sich aber mit schon existie­ren­den Opern­fi­gu­ren identi­fi­zie­ren, deren bekann­te Arien einfließen.

Was hat es mit diesen beiden Ebenen auf sich?

L’ubica Čekovs­ká: Die Schön­heit der Arien bleibt unange­tas­tet, wenngleich ich mit meiner musika­li­schen Sprache die Distanz zum Origi­nal ausdrü­cke. So konnte ich rheto­ri­sche Figuren und authen­ti­sche Charak­te­re entwi­ckeln. Meine Carmen beispiels­wei­se entspricht nicht dem geläu­fi­gen Bild von Bizets Carmen, sondern ist sehr melancholisch.

ES: Die fünf Sänge­rin­nen und Sänger sind sozusa­gen zu ihrer eigenen Maske gewor­den. Sie wirken unauthen­tisch, agieren taktisch, reagie­ren kalku­liert – aus Egois­mus, Erfolgs­druck und Angst heraus. Hinter Orfeo, Olympia, Carmen, Violet­ta und Tamino stecken Indivi­du­en unserer realen Welt, die sich aber nur noch in Zitaten zu zeigen vermögen.

Goldo­ni war ein Meister des doppel­ten Spiels und der Selbst­dar­stel­lung seiner Figuren. Welche Bedeu­tung kommt in Impre­sa­rio Dotcom den Masken in ihrer Vielfalt zu? Was verhül­len, was zeigen sie?

LC: Wir alle tragen Masken und spielen viele Rollen. In der Oper stellt sich oft die Frage: Warum bin ich hier, was will ich? Wo ist die Grenze meiner Talen­te und wie weit bin ich für meine Ziele bereit zu gehen? Es wird überspitzt aufge­zeigt, wie wir alle überle­ben wollen.

LO: Das macht diese Opera buffa neben all der Komik auch tragisch.

ES: Die Masken reichen in unserer Insze­nie­rung vom Covid-Mund-Nasen-Schutz über die Commedia-dell’arte-Halbmaske bis zum Ganzkör­per­kos­tüm. Die Maske abzule­gen bedeu­tet, insbe­son­de­re im aktuel­len pande­mi­schen Kontext, etwas zu riskie­ren, sozusa­gen mit offenem Visier man selbst zu sein.

Wofür steht die Figur des Impre­sa­rio Dotcom?

ES: Sie ist nicht von dieser Welt, sondern vielmehr ein „übermensch­li­ches“, mehrdi­men­sio­na­les Prinzip, eine Dea ex Machi­na, welche die anderen heraus­for­dert. Für mich steht sie für die perma­nen­te Vision, dafür, dass meistens mehr möglich ist als es scheint – und dass wir alle ständig dazu aufge­for­dert sind, über unseren begrenz­ten Horizont zu schau­en, uns zu hinter­fra­gen, uns zu verändern.

Die Fragen stell­te Ingrid Lughofer.