GOSLAR (dpa) — Sind die Strafen für alkoho­li­sier­tes Fahren mit E‑Scootern zu hoch? Einige Exper­ten schät­zen das so ein. Beim Verkehrs­ge­richts­tag in Goslar wollen sie sich von Mittwoch an darüber austauschen.

Fachleu­te und Verbän­de haben eine Anpas­sung der Promil­le­gren­ze für E‑Scoo­ter-Fahrer gefor­dert. Bisher orien­tiert sich der Wert an dem für Autos. Einige Exper­ten fänden eine Anleh­nung an den weniger stren­gen Grenz­wert für Fahrrä­der passen­der. Von Mittwoch an wird das Thema beim Verkehrs­ge­richts­tag in Goslar besprochen.

E‑Scooter würden höchs­tens 20 Kilome­ter pro Stunde schnell fahren. Damit seien sie dem Fahrrad näher als einem Auto, teilte der Allge­mei­ne Deutsche Automo­bil­club (ADAC) mit. Auch gesetz­lich seien E‑Scooter dem Zweirad näher: «So existie­ren weder Helmpflicht noch eine Fahrerlaub­nis­pflicht.» Es stelle sich daher die Frage, warum bei der Promil­le­gren­ze eine Unter­schei­dung gemacht werde. Der ADAC regt eine Klarstel­lung durch den Gesetz­ge­ber an. Künftig solle bei der recht­li­chen Bewer­tung besser zwischen führer­schein­pflich­ti­gen und führer­schein­frei­en Fahrzeu­gen unter­schie­den werden — statt zwischen Kraft­fahr­zeu­gen und anderen Fahrzeugen.

Bisher ist das Fahren von Fahrrad oder E‑Bike unter Alkohol­ein­fluss bis 1,6 Promil­le straf­frei, solan­ge der Fahrer oder die Fahre­rin keine Ausfall­erschei­nun­gen habe und es zu keinem Unfall komme, erklär­te Unfall­for­scher Siegfried Brock­mann vom Gesamt­ver­band der Deutschen Versi­che­rungs­wirt­schaft (GDV). E‑Scooter gelten aber als Kraft­fahr­zeu­ge und werden wie Autos behan­delt. Das bedeu­tet: Bei einer Fahrt mit 0,5 Promil­le oder mehr begeht der Fahrer eine Ordnungs­wid­rig­keit. Eine Geldbu­ße von 500 Euro und ein Monat Fahrver­bot sind dann möglich. Ab 1,1 Promil­le sind — selbst ohne Ausfall­erschei­nun­gen — auch höhere Geldstra­fen und der Entzug der Fahrerlaub­nis möglich. Autofah­rer dürfen dann erst nach einer Medizi­nisch-Psycho­lo­gi­schen Unter­su­chung wieder hinter das Steuer.

Studie zu Blutal­ko­hol­wert und Fahrun­tüch­tig­keit angeregt

«Aus Sicht des ADAC sollte die Teilnah­me am Straßen­ver­kehr und der Alkohol­kon­sum immer strikt getrennt werden», beton­te der Automo­bil­club. Es müsse aber berück­sich­tigt werden, wenn Menschen nach dem Alkohol­kon­sum auf das Auto verzich­ten und statt­des­sen den «weit weniger gefähr­li­chen E‑Scooter» nutzen. Das sieht auch Unfall­for­scher Brock­mann so. Er regt an, in einer Studie zu unter­su­chen, ab welchem Blutal­ko­hol­wert eine absolu­te Fahrun­tüch­tig­keit bei E‑Scoo­ter-Fahrern angenom­men werden kann.

Über das Thema sprechen verschie­de­ne Exper­ten und Exper­tin­nen vom 25. bis 27. Januar beim Verkehrs­ge­richts­tag in Goslar. Er zählt zu den wichtigs­ten Treffen von Fachleu­ten für Verkehrs­si­cher­heit und Verkehrs­recht in Deutsch­land. Beson­ders im Fokus stehen beim diesjäh­ri­gen Verkehrs­ge­richts­tag unter anderem auch die Themen Haftung von KI-gesteu­er­ten Autos und eine mögli­che Melde­pflicht für Ärzte von fahrun­ge­eig­ne­ten Patien­ten. Der Kongress endet tradi­tio­nell mit Empfeh­lun­gen an den Gesetzgeber.

Die Zahl der Verkehrs­un­fäl­le mit E‑Scootern ist in Nieder­sach­sen zuletzt deutlich gestie­gen. Im Jahr 2021 gab es in dem Bundes­land 634 Unfäl­le mit den Elektro­rol­lern, wie das zustän­di­ge Innen­mi­nis­te­ri­um Anfang Januar mitteil­te. Ein Jahr zuvor lag die Zahl demnach noch bei 295. Auch die Zahl der Trunken­heits­fahr­ten, die zu Verkehrs­un­fäl­len führten, ist den Angaben zufol­ge gestiegen.

Straßen­ver­kehrs­kennt­nis­se in Prüfung nachweisen

Der Automo­bil­club von Deutsch­land plädiert dafür, alkoho­li­sier­ten E‑Scoo­ter-Fahrern ab einem Blutal­ko­hol­wert von 1,1 Promil­le die Erlaub­nis zum Fahren von elektri­schen Tretrol­lern zu entzie­hen, falls der oder die Betrof­fe­ne keinen Autofüh­rer­schein besitzt. Darüber hinaus sollten E‑Scoo­ter-Fahrer ähnlich wie Mofa-Fahrer in einer theore­ti­schen Prüfung Straßen­ver­kehrs­kennt­nis­se nachwei­sen müssen. Auch eine Helmpflicht für Fahrzeu­ge, die schnel­ler als sechs Kilome­ter pro Stunde fahren können, sei denkbar.

Bundes­weit ist die Zahl der E‑Scoo­ter-Unfäl­le mit Verletz­ten in 2021 gegen­über dem Vorjahr um 156,8 Prozent gestie­gen, wie aus Zahlen hervor­geht, die der GDV veröf­fent­licht hat. Von 325.961 Verun­glück­ten waren demnach 1,7 Prozent in 2021 E‑Scoo­ter-Fahrer. In knapp 90 Prozent der Unfäl­le, in denen eine Fahrun­tüch­tig­keit bei dem E‑Rollerfahrer festge­stellt wurde, war er alkoho­li­siert. Daten aus der norwe­gi­schen Haupt­stadt Oslo zeigten zuletzt, dass sich Unfäl­le mit E‑Scootern meist nachts oder abends durch betrun­ke­ne Fahrer ereignen.

Einheit­li­che Rechts­aus­le­gung angestrebt

Aus polizei­li­cher Sicht sei es wichtig, dass es zu einer einheit­li­chen Rechts­aus­le­gung komme. Ein Beamter der Polizei Hanno­ver nimmt in Goslar an dem Arbeits­kreis zu der E‑Scoo­ter-Thema­tik als Referent teil. So könne es zu einer einheit­li­chen polizei­li­chen Vorge­hens­wei­se kommen und Regeln sowie Folgen eines Regel­ver­sto­ßes den Fahrern trans­pa­rent vermit­telt werden. Das würde zu einer Erhöhung der Verkehrs­si­cher­heit führen.

Der Automo­bil­club Verkehr (ACV) wünscht sich von den Anbie­tern der Elektro­rol­ler mehr Bemühun­gen bei der Überprü­fung der Fahrtaug­lich­keit der Fahrer. «Etwa in Form von Reakti­ons­tests mit Hilfe einer App», teilte der ACV mit.

Auch bei sehr hohen Alkohol­kon­zen­tra­tio­nen könne man die Fahrer nicht mit denen von Pkw oder gar Lkw verglei­chen, sagte Rechts­an­wäl­tin Heike Becker vom Deutschen Anwalt­ver­ein (DAV). E‑Scoo­ter-Fahrer seien eher mit denen von E‑Bikes zu verglei­chen. Sie fordert deshalb eine Anhebung der Promil­le­gren­ze auf 1,6. Vor allem brauche es aber eine bundes­ein­heit­li­che Regelung.

Von Maurice Arndt, dpa