BERLIN (dpa) — Deutsch­land hat seine letzten Atomkraft­wer­ke abgeschal­tet. Kommt jetzt der massi­ve Ausbau von Ökostrom? Um die Klima­zie­le zu errei­chen, dürfte ein frühe­rer Kohle­aus­stieg auch im Osten nötig werden.

Es ist eine histo­ri­sche Zäsur — ein schöner oder ein schwar­zer Tag, je nach Sicht­wei­se. Deutsch­land ist aus der Atomener­gie ausgestiegen.

Für die Energie- und Klima­po­li­tik hat das Folgen. Im Zentrum soll nun ein massi­ver Ausbau des Ökostroms stehen — also viel mehr Windrä­der und Solar­an­la­gen. Außer­dem fordern Energie­ver­bän­de Tempo für den Bau wasser­stoff­fä­hi­ger Gaskraft­wer­ke. Und damit Deutsch­land seine Klima­zie­le doch noch schaf­fen kann, dürfte vor allem eins in den Mittel­punkt rücken: ein frühe­rer Kohle­aus­stieg auch im Osten.

Hefti­ge Debat­te um Atomausstieg

Bis zur letzten Minute lief eine hefti­ge Debat­te um den Atomaus­stieg. Die FDP versuch­te, die Kernkraft­wer­ke wenigs­tens in einer Reser­ve zu halten. Die Union kämpf­te für länge­re Laufzei­ten. Doch die Nutzung der Atomkraft ist Geschichte.

«Das Kapitel ist nun abgeschlos­sen», sagt der Chef des AKW-Emsland-Betrei­bers RWE, Markus Krebber, bei der Abschal­tung. «Jetzt kommt es darauf an, die ganze Kraft dafür einzu­set­zen, neben Erneu­er­ba­ren Energien auch den Bau von wasser­stoff­fä­hi­gen Gaskraft­wer­ken möglichst schnell voran­zu­trei­ben, damit die Versor­gungs­si­cher­heit gewähr­leis­tet bleibt, wenn Deutsch­land 2030 idealer­wei­se auch aus der Kohle ausstei­gen will.»

Umwelt­mi­nis­te­rin Steffi Lemke (Grüne) spricht von einem neuen Zeital­ter der Energie­er­zeu­gung. Der Atomaus­stieg mache das Land siche­rer, die Risiken der Atomkraft seien letzt­lich unbeherrsch­bar. Wirtschafts­mi­nis­ter Robert Habeck (Grüne) und Energie­ver­bän­de betonen, die Energie­ver­sor­gungs­si­cher­heit sei gewähr­leis­tet. Im Januar und Febru­ar hatte Kernener­gie nach Angaben des Energie­ver­bands BDEW einen Anteil von vier Prozent an der deutschen Stromerzeugung.

Die Versor­gungs­si­cher­heit werde nun durch den stärke­ren Einsatz von Kohle­kraft­wer­ken gesichert werden, sagt Manuel Frondel vom RWI Leibniz-Insti­tut für Wirtschafts­for­schung in Essen. «Klar ist, dass die Strom­prei­se künftig tenden­zi­ell etwas höher ausfal­len, da die Kraft­wer­ke, die neben den Erneu­er­ba­ren im Betrieb am kosten­güns­tigs­ten sind, dauer­haft wegfal­len. Dadurch werden teure Erdgas­kraft­wer­ke häufi­ger einge­setzt und dies treibt in Zeiten hoher Strom­nach­fra­ge die Preise.»

Flexi­bel steuer­ba­re Strom-Kapazi­tä­ten notwendig

Mit Blick auf den Atomaus­stieg und den von der Bundes­re­gie­rung angestreb­ten Kohle­aus­stieg bis 2030 geht der Branchen­ver­band Zukunft Gas «selbst unter optimis­ti­schen Annah­men davon aus, dass 2031 mindes­tens 15 Gigawatt an gesicher­ter Leistung im deutschen Strom­markt fehlen werden», wie Vorstand Timm Kehler sagt. Um diese Lücke zu vermei­den, müssten flexi­bel steuer­ba­re Strom-Kapazi­tä­ten bereit­ge­stellt werden. Dazu zähle auch der Neubau wasser­stoff­fä­hi­ger Gaskraft­wer­ke, die in den nächs­ten acht Jahren errich­tet und in Betrieb genom­men werden müssten, um sicher aus der Kohle ausstei­gen zu können und die Klima­zie­le zu erreichen.

Gehen die Gaskraft­wer­ke nicht recht­zei­tig in Betrieb, hätte das hohe Klima­gas­emis­sio­nen zur Folge, denn Kohle­kraft­wer­ke müssten dann länger laufen, so die Haupt­ge­schäfts­füh­re­rin des Bundes­ver­ban­des der Energie- und Wasser­wirt­schaft, Kerstin Andreae.

Das ist die Wunde vor allem für die Grünen. Habeck hat die Entschei­dung, nach dem Stopp russi­scher Gaslie­fe­run­gen Kohle­kraft­wer­ke aus der Reser­ve zu holen, wieder­holt als schmerz­haft bezeich­net. Die Ampel-Regie­rung sei zur klima­schäd­li­chen Kohle-Koali­ti­on gewor­den, wetter­te die CDU-Wirtschafts­po­li­ti­ke­rin Julia Klöck­ner. Frakti­ons­vi­ze Jens Spahn (CDU) sagte RTL/ntv, Habeck lasse lieber Kohle­kraft­wer­ke laufen, den Klima­kil­ler schlecht­hin. «Es ist ein schwar­zer Tag für den Klima­schutz in Deutschland.»

CO2-Ausstoß im Energie­sek­tor gestiegen

Im vergan­ge­nen Jahr gingen nach vorläu­fi­gen Zahlen des Umwelt­bun­des­amts (UBA) die Treib­haus­gas­emis­sio­nen zwar insge­samt leicht zurück. Im Energie­sek­tor aber stieg der CO2-Ausstoß. Als Grund nannte die Behör­de, dass trotz Einspa­run­gen beim Erdgas die vermehr­te Strom­erzeu­gung vor allem aus Stein- und Braun­koh­le die Emissio­nen steigen lasse. UBA-Präsi­dent Dirk Messner sagte, diesem Anstieg werde die Bundes­re­gie­rung jetzt mit einem⁠ wirksa­men Programm entge­gen­wir­ken müssen. A und O sei ein wesent­lich höheres Tempo beim Ausbau der erneu­er­ba­ren Energien.

Georg Zachmann von der Brüsse­ler Denkfa­brik Bruegel weist darauf hin, dass das auch für die Strom­net­ze und die Spitzen­last­de­ckung gilt. Aus seiner Sicht sind für den Kohle­aus­stieg «deutlich größe­re Anstren­gun­gen» nötig als beim Ersatz der letzten AKW-Blöcke.

Für das Rheini­sche Revier ist zwar ein um acht Jahre auf 2030 vorge­zo­ge­ner Kohle­aus­stieg beschlos­sen. Für die ostdeut­schen Braun­koh­le­re­vie­re aber ist das heftig umstrit­ten. Habeck hat angekün­digt, die Frage im Konsens lösen zu wollen. Die Zeit drängt, denn auch die Kohle­kum­pel wollen Gewissheit.

Doch der Ausbau von Windrä­dern und Solar­an­la­gen braucht Zeit. Bis 2030 sollen erneu­er­ba­re Energien 80 Prozent der Strom­erzeu­gung liefern, derzeit ist es etwa die Hälfte. Der Strom­be­darf aber wird durch Millio­nen neuer Wärme­pum­pen und Elektro­au­tos stark steigen. Ob die Ziele beim Ökostrom-Ausbau wirklich erreicht werden, scheint offen. Die energie- und klima­po­li­ti­sche Debat­te ist auch nach dem Atomaus­stieg noch lange nicht zu Ende.

Von Andre­as Hoenig und Stella Venohr, dpa