Während Umwelt­mi­nis­te­rin Steffi Lemke (Grüne) ihre Erleich­te­rung über den Schritt deutlich macht und Kernkraft­geg­ner in mehre­ren Städten den Atomaus­stieg feiern wollen, bezeich­net die FDP diesen als «strate­gi­schen Fehler».

Eigent­lich hätten die AKW schon Ende vergan­ge­nen Jahres vom Netz gehen sollen. Das hatte die Koali­ti­on aus CDU/CSU und FDP als Reakti­on auf die Reaktor­ka­ta­stro­phe von Fukushi­ma beschlos­sen. Wegen des russi­schen Angriffs­krie­ges gegen die Ukrai­ne entschied die Ampel-Koali­ti­on im vergan­ge­nen Jahr jedoch, die drei Meiler über den Winter weiter­lau­fen zu lassen.

Die Abschal­tung des letzten Werks wird kurz vor Mitter­nacht erwar­tet — welcher der Meiler Isar 2 in Bayern, Emsland in Nieder­sach­sen und Neckar­west­heim 2 in Baden-Württem­berg der letzte sein wird, ist unklar. Die Betrei­ber haben sich lange im Voraus auf den Stich­tag vorbe­rei­tet. Die Leistung der Reakto­ren wird konti­nu­ier­lich gesenkt. Danach wird der Genera­tor vom Strom­netz genom­men und der Reaktor komplett abgeschal­tet. Kernkraft­geg­ner wollen das Ende in mehre­ren Städten mit Kundge­bun­gen begleiten.

Diskus­si­on geht weiter

Obwohl der Ausstieg kurz bevor­steht, ist die politi­sche Debat­te um einen Weiter­be­trieb der Meiler noch nicht vorbei. FDP-General­se­kre­tär Bijan Djir-Sarai forder­te, diese Techno­lo­gie nicht völlig aufzu­ge­ben. «Die Kernener­gie muss auch nach dem Ausstieg eine Zukunft in Deutsch­land haben», sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Dazu gehört, dass wir die Forschung auf dem Gebiet der Kernfu­si­on auswei­ten und die Chancen neuer und siche­rer Techno­lo­gien der Kernspal­tung nutzen.»

Wenn es nach dem FDP-Vorsit­zen­den Chris­ti­an Lindner ginge, sollten die drei Kernkraft­wer­ke in der Reser­ve belas­sen und nicht zurück­ge­baut werden. «Wenn wir sie in den nächs­ten zwei, drei Jahren ans Netz bringen müssten, hätten wir diese Chance», sagte der Finanz­mi­nis­ter am Freitag­abend dem Fernseh­sen­der Welt. Doch das schei­te­re am Koali­ti­ons­part­ner Grüne.

Der bayeri­sche Minis­ter­prä­si­dent Markus Söder sagte am Freitag­abend im Inter­view der ARD-«Tagesthemen», er glaube an eine Neuauf­la­ge der Kernener­gie. «Wir spüren diese große Energie­kri­se, wir brauchen jedes Fitzel­chen Energie», sagte der CSU-Politi­ker. Die ARD sende­te die «Tages­the­men» live vom Gelän­de des Kernkraft­werks Isar 2 in Nieder­bay­ern. In der 45-minüti­gen Sonder­aus­ga­be berich­te­te Modera­tor Ingo Zampe­ro­ni von seinem exklu­si­ven Besuch in der Anlage.

Hessens Minis­ter­prä­si­dent Boris Rhein forder­te mehr Forschung an neuen Techno­lo­gien. «Der Ukrai­ne-Krieg und die Energie­kri­se zeigen uns, dass wir uns breit aufstel­len müssen. Wir müssen beson­ders angesichts des Atomaus­stiegs techno­lo­gie­of­fen Forschung fördern. Nicht nur ausstei­gen, sondern auch mal einstei­gen», sagte er der Frank­fur­ter Allge­mei­nen Zeitung.

Erleich­tert blickt dagegen Bundes­um­welt­mi­nis­te­rin Steffi Lemke (Grüne) auf das anste­hen­de Ende der Kernener­gie. «Der Atomaus­stieg macht Deutsch­land siche­rer», sagte die Grünen-Politi­ke­rin der Deutschen Presse-Agentur. «Die Risiken der Atomkraft sind im Falle eines Unfal­les letzt­lich unbeherrschbar.»

Der frühe­re Bundes­um­welt­mi­nis­ter Jürgen Trittin (Grüne) sagte dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land (RND/Samstag), bei einem Weiter­be­trieb der AKW bestehe die Gefahr, sich in eine erneu­te Abhän­gig­keit von Russland zu begeben. Die FDP müsse die Frage beant­wor­ten, ob sie «das Uran dann wieder aus Russland holen» wolle. «Wir haben uns gerade beim Gas aus der Abhän­gig­keit befreit. Dieses Geschäft möchte ich Putin nicht gönnen», sagte Trittin.

Mit der Abschal­tung der drei Meiler fängt die eigent­li­che Arbeit am Atomaus­stieg erst an. «Wir haben etwa drei Genera­tio­nen lang Atomkraft genutzt in unserem Land und dabei Abfäl­le produ­ziert, die noch für 30.000 Genera­tio­nen gefähr­lich bleiben. Diese Verant­wor­tung überge­ben wir an unsere Enkel, Urenkel und noch viele weite­re Genera­tio­nen», sagte Lemke mit Blick auf die anste­hen­den Aufga­ben. Insge­samt müssen noch mehr als 30 Meiler in Deutsch­land zurück­ge­baut werden.

Green­peace: Guter Tag für den Klimaschutz

Die Umwelt­or­ga­ni­sa­ti­on Green­peace hat das Ende der Nutzung der Kernener­gie in Deutsch­land als «guten Tag» für den Klima­schutz und «riesi­gen Erfolg von 40 Jahren Anti-Atom-Bewegung» gewer­tet. Der Atomaus­stieg, der bereits 2011 von Union und FDP beschlos­sen und nun von der Ampel-Koali­ti­on vollzo­gen werde, sei eine gute und richti­ge Entschei­dung, erklär­te Martin Kaiser, geschäfts­füh­ren­der Vorstand von Green­peace Deutsch­land. Jetzt sollten sich alle Betei­lig­ten auf die Ausge­stal­tung einer Energie­ver­sor­gung richten, die zu 100 Prozent auf erneu­er­ba­ren Energien basiert, forder­te Kaiser. Die Bundes­re­gie­rung müsse zudem für eine siche­re Entsor­gung des über Jahrzehn­te angesam­mel­ten Atommülls sorgen, der noch über Millio­nen Jahre strah­len werde.

Befür­wor­ter und Gegner demonstrieren

Die bevor­ste­hen­de Abschal­tung brach­te noch einmal Menschen mit unter­schied­li­chen Haltun­gen zur Kernener­gie auf die Straße. Die Umwelt­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on Green­peace feier­te den Ausstieg aus der Atomener­gie am Branden­bur­ger Tor in Berlin — dort zeigte sie ein rotes Männchen, das mit einem «Atomkraft? Nein Danke»-Schild und einem Schwert auf einem nachge­bau­ten Dinosau­ri­er stand. Auf dem Bauch des Dinos stand «Deutsche Atomkraft» und «Besiegt am 15. April 2023!».

Am Branden­bur­ger Tor protes­tier­ten aber auch einige Menschen gegen die Abschal­tung der Kernkraft­wer­ke. Der Verein Nukle­a­ria hatte in einem Aufruf angekün­digt, ein positi­ves Zeichen für Atomkraft setzen zu wollen. «Wir sehen die Kernkraft als besten Weg, unseren Wohlstand zu erhal­ten und gleich­zei­tig die Natur und das Klima zu schüt­zen», schreibt der Verein.