«Vorsprung durch Technik» war lange der stolze Marken-Slogan von Audi — bis der Diesel­skan­dal aufflog. Jetzt wird dem langjäh­ri­gen Audi-Chef Rupert Stadler und drei Ingenieu­ren der Prozess gemacht. Denn «ganz ohne Beschei­ßen» ging es mit den Abgas­tests wohl nicht.

Entschlos­sen marschier­te der 57-jähri­ge Angeklag­te am Mittwoch­vor­mit­tag in den Saal, in dem in den nächs­ten zwei Jahren der erste deutsche Straf­pro­zess um den Diesel­skan­dal statt­fin­det — braun­ge­brannt, mit länge­ren Haaren als früher, eine Hand in der Hosen­ta­sche, einen Rucksack lässig über die Schul­ter geschwungen.

Wegen des Verkaufs von Diesel­au­tos mit geschön­ten Abgas­wer­ten hat ihn die Staats­an­walt­schaft vor dem Landge­richt München angeklagt, zusam­men mit dem ehema­li­gen Audi-Motoren­chef und Porsche-Technik­vor­stand Wolfgang Hatz und zwei Ingenieu­ren. Theore­tisch drohen ihnen bei einer Verur­tei­lung bis zu zehn Jahre Gefängnis.

Stadler begrüß­te Hatz mit einem fröhli­chen Faust-Gruß — die beiden anderen Angeklag­ten schien er zu überse­hen. Gleich zu Beginn wollte Stadlers Vertei­di­ger wissen, ob die Richter oder ihre Ehepart­ner nach 2009 Diesel­au­tos aus dem VW-Konzern gefah­ren haben. Das könnte zum Ausschluss wegen Befan­gen­heit führen. Das Gericht wird später antwor­ten und erteil­te der Ankla­ge das Wort.

Den VW-Konzern hat der Skandal mit elf Millio­nen manipu­lier­ten Autos bisher 32 Milli­ar­den Euro gekos­tet. Stadler werfen die Ermitt­ler aller­dings «nur» vor, nach Aufde­ckung der Manipu­la­tio­nen durch die US-Umwelt­be­hör­de im Septem­ber 2015 die Produk­ti­on und den Verkauf von Autos mit der Schum­mel­soft­ware nicht gestoppt zu haben. Über 120.000 Fahrzeu­ge mit überhöh­tem Stick­stoff-Ausstoß seien so noch auf die Straße gekom­men. Den Käufern sei damit ein Schaden von 28 Millio­nen Euro entstanden.

Stadler will im Prozess aussa­gen. Von 2007 an war er fast zwölf Jahre Audi-Chef — bis 2018, als er in einem abgehör­ten Telefo­nat über die Beurlau­bung eines Mitar­bei­ters sprach und wegen Verdun­ke­lungs­ge­fahr vier Monate lang in U‑Haft kam. Er sieht sich zu Unrecht angeklagt. «Was soll ich machen, wenn mir gesagt wird, der Sechs­zy­lin­der ist sauber», hatte er Journa­lis­ten schon nach Einlei­tung der Ermitt­lun­gen gesagt. Und diese Positi­on vertritt er auch weiterhin.

Einen kleinen Dämpfer verpass­te das Gericht der Ankla­ge schon. Nach Akten­la­ge habe Stadler Taten durch Unter­las­sen began­gen — eine Tat durch aktives Tun, wie es die Staats­an­walt­schaft sehe, «kommt nach derzei­ti­ger Einschät­zung der Kammer nicht in Betracht», sagte der Vorsit­zen­de Richter Stefan Weickert. Bei Taten durch Unter­las­sen ist der Straf­rah­men zwar grund­sätz­lich gleich, kann aber reduziert werden.

Als promi­nen­tes­ter Angeklag­ter steht der 57-Jähri­ge im Fokus des öffent­li­chen Inter­es­ses. Weit schwe­rer aber wiegen die Vorwür­fe gegen die drei mitan­ge­klag­ten Ingenieu­re: Laut Ankla­ge haben sie die illega­len Abgas-Trick­se­rei­en ab 2007 organi­siert und dafür gesorgt, dass entspre­chen­de Motoren in 434 420 Autos einge­baut wurden. Bei der Schadens­hö­he ist sich die Staats­an­walt­schaft selbst nicht ganz sicher: Vielleicht 3,2 Milli­ar­den Euro, weil die Autos in den USA «praktisch Schrott­wert» hatten. Vielleicht auch nur 170 Millio­nen Euro — so viel hat die Besei­ti­gung der Manipu­la­tio­nen gekostet.

Chef dieses Trios war Hatz, von 2001 bis 2009 Leiter der Motoren­ent­wick­lung bei Audi, dann bei VW. Er weist die Ankla­ge bis heute zurück. Aber die beiden anderen Ingenieu­re haben schon gestan­den. Die Anklä­ger erklär­ten am Mittwoch zunächst, wie die Idee entstand, die Abgas­wer­te zu schönen. Im Jahr 2006 rechne­te der Abtei­lungs­lei­ter für Abgas­nach­be­hand­lung, Henning L., aus, dass 1 Liter Adblue-Harnstoff­lö­sung reicht, um den Stick­oxid-Grenz­wert 1000 Kilome­ter lang einzu­hal­ten. Darauf­hin wurden die Autos mit 23-Liter-Tanks konstru­iert — schein­bar genug bis zum nächs­ten Wartungsintervall.

Aber bei Testfahr­ten stell­te sich Ende 2007, Anfang 2008 heraus: Das reicht nicht. Dabei wollten doch Audi und VW ab Novem­ber 2008 den US-Markt erobern mit ihrem «Clean Diesel», dem «saubers­ten Diesel der Welt». «Ganz ohne Beschei­ßen werden wir es nicht schaf­fen», schrieb ein Techni­ker im Januar 2008 an Henning L. und dessen Chef Giovan­ni P. Laut Ankla­ge forder­te Giovan­ni P. «intel­li­gen­te Lösun­gen» und ordne­te schließ­lich den Einbau der Testerken­nung an. So funktio­nier­te die Abgas­rei­ni­gung auf dem Prüfstand tadel­los — auf der Straße aber wurde sie gedrosselt.

Giovan­ni P., von 2002 bis 2015 Haupt­ab­tei­lungs­lei­ter, sieht sich als bloßen Befehls­emp­fän­ger. Laut Ankla­ge hat er alle Manipu­la­tio­nen mit Hatz abgestimmt «und ließ sich diese abseg­nen». Henning L. soll Hatz auf den Geset­zes­ver­stoß hinge­wie­sen haben. Und ein Mitar­bei­ter soll Giovan­ni P. gewarnt haben: «Dies ist ein eindeu­ti­ges Defeat Device und nicht zuläs­sig.» Aber laut Ankla­ge handel­te das Trio «stets in bewuss­tem und gewoll­tem Zusam­men­wir­ken». Hatz habe sich bei Martin Winter­korn, damals frisch vom Audi-Chef zum VW-Konzern­chef in Wolfs­burg beför­dert, persön­lich «für den Erfolg des Clean-Diesel-Projekts verbürgt».

Der Prozess findet in einem moder­nen, großen, aber unter­ir­di­schen Verhand­lungs­saal im Gefäng­nis München-Stadel­heim statt. Stadler, Hatz und Giovan­ni P. mochten sich an ihre Zeit in U‑Haft erinnert fühlen. Abwech­selnd lasen die beiden Staats­an­wäl­te die 92 Seiten lange Ankla­ge vor, stunden­lang. Gut zwei Jahre lang soll der Prozess dauern, immer diens­tags und mittwochs, bis Ende 2022. In den nächs­ten Wochen werden zunächst die Vertei­di­ger, dann die Angeklag­ten selbst zu Wort kommen.

Allen vieren wirft die Staats­an­walt­schaft Betrug, irrefüh­ren­de Werbung und mittel­ba­re Falsch­be­ur­kun­dung vor. Drei ehema­li­ge Vorstands­kol­le­gen von Stadler und Hatz’ Vorgän­ger als Audi-Motoren­chef hat sie auch schon angeklagt. Das Ansehen von Audi und VW, der Ruf des Diesels ist rampo­niert. Fast 100 000 Audi-Fahrer warten immer noch auf die Nachrüs­tung ihrer Autos. Und in Braun­schweig wartet Winter­korn auf seinen Prozess wegen gewerbs- und banden­mä­ßi­gen Betrugs.