MÜNCHEN (dpa) — Steigen­de Tempe­ra­tu­ren und mehr heiße Tage: Dennoch müssen die Kinder in Deutsch­land die Schul­bank drücken. Das Phäno­men Hitze­frei scheint nach und nach zu verschwinden.

Einst sang Rudi Carrell in seinem Schla­ger «Wann wird’s mal wieder richtig Sommer» aus dem Jahr 1975: «Ja früher gab’s noch Hitze­frei.» Das Freiha­ben bei hohen Tempe­ra­tu­ren gehört in der Erinne­rung vieler zum Sommer wie Freibad-Pommes. Den Tag im Schwimm­be­cken oder im Badesee statt in der Schule zu verbrin­gen, scheint aber immer mehr aus der Mode zu kommen — denn Hitze­frei wird trotz Klima­wan­dels mit vieler­orts steigen­den Tempe­ra­tu­ren und mehr heißen Tagen zur Rarität.

«Bei unseren Ganztags­klas­sen muss die Betreu­ung bis 14.00 Uhr gewähr­leis­tet sein», betont die Sekre­tä­rin der Parkschu­le in Stadt­ber­gen bei Augsburg, Vanes­sa Krisch­ke. Pro Jahrgangs­stu­fe eins bis neun gebe es an dieser Schule jeweils eine Ganztags­klas­se. Die Organi­sa­ti­on der Betreu­ung und des tägli­chen Mittag­essens erschwe­re das sponta­ne Freigeben.

Kein Hitze­frei, aber Alter­na­ti­ven zum Unterricht

«Wir können die Kinder nicht einfach nach Hause schicken», beton­te Krisch­ke. Die Schüle­rin­nen und Schüler treffen sich oftmals nach dem Unter­richt noch in Arbeits­ge­mein­schaf­ten. Hitze­frei wird es demzu­fol­ge kaum noch gegeben — und wenn, dann meist nur kurz vor den Ferien.

«Hitze­frei für 1000 Schüler gibt es nicht mehr», heißt es auch von der Präsi­den­tin des Bayeri­schen Lehrer- und Lehre­rin­nen­ver­ban­des, Simone Fleisch­mann. Wenn es aller­dings im Klassen­zim­mer eine Bullen­hit­ze gebe und Lehrer sowie Schüler zerflie­ßen, müssten Alter­na­ti­ven zum Unter­richt gefun­den werden. Die Ausstat­tung der Schulen beispiels­wei­se mit Klima­an­la­gen oder Rolllä­den spiele daher auch eine Rolle.

Einheit­li­che Regelun­gen zum Hitze­frei wurden erstmals vor rund 130 Jahren vom Preußi­schen Kultus­mi­nis­ter Julius Robert Bosse aufge­stellt. Wenn das Thermo­me­ter um 10 Uhr vormit­tags und im Schat­ten 25 Grad zeige, dürfe der Schul­un­ter­richt in keinem Falle über vier aufein­an­der­fol­gen­de Stunden ausge­dehnt werden, erklär­te er damals in einem Ministerialerlass.

Kein Anspruch auf Hitze­frei — Regelun­gen Ländersache

Doch Anspruch auf Hitze­frei hat kein Kind. Die heuti­gen Regelun­gen dazu sind von Bundes­land zu Bundes­land unter­schied­lich: In Nordrhein-Westfa­len beispiels­wei­se heißt es im Gesetz: «Anhalts­punkt ist eine Raumtem­pe­ra­tur von mehr als 27 Grad Celsi­us, bei weniger als 25 Grad ist Hitze­frei nicht zulässig.»

Das Kultus­mi­nis­te­ri­um in Bayern betont, die Entschei­dung liege in der Verant­wor­tung der Schul­lei­tun­gen. Die Beför­de­rung der Schüle­rin­nen und Schüler nach Hause dürfe zudem durch ein frühe­res Unter­richts­en­de nicht gefähr­det sein. Hitze­frei müsse mit den Eltern abgestimmt werden, damit die Betreu­ung sicher­ge­stellt ist, betont die Schul­be­hör­de in Hamburg. Bei Schüle­rin­nen und Schülern unter 14 Jahren biete die Schule zudem eine Notfall­be­treu­ung an.

In Berlin ist das Geben von Hitze­frei nicht an eine bestimm­te Tempe­ra­tur geknüpft, sondern an die Witte­rungs­ver­hält­nis­se. Bei großer Hitze könnten sich die Schulen dann laut Senats­ver­wal­tung für Bildung für verkürz­te Unter­richts­stun­den entschei­den. Dies gelte jedoch nicht für Oberstu­fe, die Ausbil­dung oder den zweiten Bildungsweg.

Keine Statis­ti­ken zum Hitzefrei-Geben

Eine gesetz­li­che Regelung wünscht sich hinge­gen der Bayeri­sche Eltern­ver­band. Diese würde Schul­lei­tun­gen Rechts­si­cher­heit geben und somit ermun­tern, öfter im Sinne der Kinder zu entschei­den. Eine starre Vorga­be, wann es Hitze­frei geben solle, lehne der Verband aller­dings ab, beton­te der Landes­vor­sit­zen­de Martin Löwe.

Statis­ti­ken, wie oft an den deutschen Schulen Hitze­frei gegeben wird, gibt es laut Kultus­mi­nis­ter­kon­fe­renz auch nicht. Aller­dings scheint der sponta­ne Abbruch des Unter­richts konträr zu den Model­len der Halbtags- und Ganztags­be­treu­ung zu stehen. So möchte man dem Showmas­ter Carrell zurufen: Heute geht der Sommer nicht nur von Juni bis Septem­ber, sondern länger. Hitze­frei wie früher gibt es dagegen nur noch selten.

Die Kinder in Schles­wig-Holstein, Nordrhein-Westfa­len und Mecklen­burg-Vorpom­mern bewegt dies derzeit wahrschein­lich weniger — dort haben die Sommer­fe­ri­en schon begon­nen. In Hamburg, Berlin und Branden­burg begin­nen die sechs­wö­chi­gen Ferien am Donnerstag.

Von Felix Müschen, dpa