GIESSEN (dpa) — Gießen ist erneut Schau­platz massi­ver Ausschrei­tun­gen rund um das Eritrea-Festi­val gewor­den. Über 1000 Polizis­ten sind im Einsatz. Die Stadt hatte zuvor vergeb­lich versucht, die Veran­stal­tung zu verbieten.

Gewalt, verletz­te Polizis­ten und Sachbe­schä­di­gun­gen — zu Beginn des umstrit­te­nen Eritrea-Festi­vals ist es am Samstag in Gießen zu den von Polizei und Stadt befürch­te­ten Ausschrei­tun­gen gekom­men. «Die Kolle­gen wurden massiv angegrif­fen, Steine­wür­fe, Flaschen­wür­fe, Rauch­bom­ben», sagte ein Polizei­spre­cher der Deutschen Presse-Agentur. 22 Einsatz­kräf­te seien unter anderem durch Stein­wür­fe verletzt worden.

Er sprach von einer «sehr dynami­schen Lage, die sich noch weiter entwi­ckelt». Man rechne damit, dass weite­re poten­zi­el­le Störer anrei­sen könnten. «Wir nehmen die Lage natür­lich sehr, sehr ernst.» Der Großein­satz werde am Sonntag andau­ern. Die Polizei war nach eigenen Angaben mit mehr als 1000 Beamten vor Ort, Verstär­kung wurde angefordert.

Seit dem frühen Morgen waren nach Polizei­an­ga­ben unter­schied­lich starke Perso­nen­grup­pen in Gießen durch Ausschrei­tun­gen an verschie­de­nen Orten aufge­fal­len. Mindes­tens 60 Menschen wurden in Gewahr­sam genom­men, zuvor wurden etwa 50 Platz­ver­wei­se erteilt. Ob auch Festi­val­be­su­cher verletzt wurden, war zunächst unklar.

Seit Tagen vorbereitet

Die Polizei hatte sich seit Tagen auf eine Großla­ge in der mittel­hes­si­schen Stadt und die Anrei­se poten­zi­ell gewalt­be­rei­ter Gegner der Veran­stal­tung einge­stellt. Das Festi­val gilt wegen seiner Nähe zur Regie­rung des ostafri­ka­ni­schen Landes als umstrit­ten. Bereits im August vergan­ge­nen Jahres war es bei der Vorgän­ger-Veran­stal­tung zu gewalt­sa­men Ausschrei­tun­gen mit verletz­ten Besuchern und Polizis­ten gekom­men. Der Zentral­rat der Eritre­er in Deutsch­land als Veran­stal­ter rechne­te am Samstag und Sonntag mit jeweils etwa 2500 Besuchern.

Die Stadt Gießen hatte das Festi­val zunächst wegen Sicher­heits­be­den­ken verbo­ten. Dies wurde vom Gieße­ner Verwal­tungs­ge­richt gekippt. Am Freitag bestä­tig­te der Hessi­sche Verwal­tungs­ge­richts­hof diese erstin­stanz­li­che Entscheidung.

Mögli­che Unter­stüt­zung des Regimes steht in der Kritik

Nach Darstel­lung des Polizei­spre­chers handelt es sich bei dem Festi­val um «eine kultu­rel­le Veran­stal­tung», die die eritre­ische Kultur und Tradi­tio­nen feiere. «Es handelt sich um eine fried­li­che und familiä­re Veran­stal­tung für Jeder­mann.» Bereits im vergan­ge­nen Jahr waren jedoch Vorwür­fe laut gewor­den, dort sollte Geld zur Unter­stüt­zung des Regimes gesam­melt werden.

Der Sprecher sagte, es sei auch zum Einrei­ßen von Absperr­zäu­nen gekom­men sowie zu Versu­chen, polizei­li­che Absper­run­gen zu durch­bre­chen. So habe eine Gruppe von vermut­lich rund 100 bis 150 Perso­nen einen Zaun an den Hessen­hal­len — dem Veran­stal­tungs­ort — einge­ris­sen. Die Beamten setzten Pfeffer­spray und Schlag­stö­cke ein, ein Wasser­wer­fer stand bereit. Rund 80 Perso­nen wurden am Mittag von Polizis­ten festge­hal­ten, es sollte geprüft werden, ob sie in Gewahr­sam genom­men werden. Es bestehe der Verdacht auf Körper­ver­let­zungs­de­lik­te, Landfrie­dens­bruch, Wider­stand gegen Vollstre­ckungs­be­am­te und Sachbeschädigung.

Mehre­re Hundert Polizis­ten aus allen hessi­schen Präsidien

Aufgrund der dynami­schen Lage seien zusätz­lich zu den mehr als 1000 Beamten, die bereits im Einsatz waren, weite­re Polizis­ten nach Gießen gerufen worden, sagte der Polizei­spre­cher. Es gehe um mehre­re Hundert weite­re Polizis­ten «aus allen hessi­schen Polizei­prä­si­di­en, die zusätz­lich nach Gießen kommen, um hier für die Sicher­heit vor Ort zu sorgen». Mit Lautspre­cher­trupps werde versucht, auf Perso­nen einzu­wir­ken, die an Absper­run­gen aufträ­ten und mögli­cher­wei­se versu­chen wollten, diese zu durch­bre­chen. Auch ein Polizei­hub­schrau­ber und eine Drohne waren im Einsatz.

Eritrea mit seinen rund drei Millio­nen Einwoh­nern liegt im Nordos­ten Afrikas am Roten Meer und ist inter­na­tio­nal weitge­hend abgeschot­tet. Seit einer in einem jahrzehn­te­lan­gem Krieg erkämpf­ten Unabhän­gig­keit von Äthio­pi­en vor 30 Jahren regiert Präsi­dent Isayas Afewerki in einer Ein-Partei­en-Dikta­tur das Land. Partei­en sind verbo­ten, die Meinungs- und Presse­frei­heit sind stark einge­schränkt. Es gibt weder ein Parla­ment noch unabhän­gi­ge Gerich­te oder zivil­ge­sell­schaft­li­che Organi­sa­tio­nen. Zudem herrscht ein stren­ges Wehrdienst- und Zwangs­ar­beits­sys­tem, vor dem viele Menschen ins Ausland fliehen.

Am Mittag begann eine Kundge­bung gegen das Festi­val in der Gieße­ner Innen­stadt, zunächst waren keine Zwischen­fäl­le bekannt. Je nach Einsatz­la­ge sperr­te die Polizei an unter­schied­li­chen Stellen in der Stadt Straßen. Am Neustäd­ter Tor gab es der Polizei zufol­ge eine Ausein­an­der­set­zung mit einer Vielzahl von Betei­lig­ten. Dort sei es auch zu Drohun­gen gegen­über Autofah­rern gekom­men. Von der Heuchel­hei­mer Brücke seien auch Gegen­stän­de gewor­fen worden und Autos seien beschä­digt worden. Auch Mitar­bei­ter eines Geschäfts in der Nähe der Hessen­hal­len berich­te­ten, dass Schei­ben von vorbei­fah­ren­den Autos einge­schla­gen worden seien. Man habe auch Sorgen um die eigene Sicher­heit gehabt, sagte eine der Beschäftigten.

Von Chris­ti­ne Schult­ze und Ira Schai­b­le, dpa