MÜNCHEN (dpa) — Ein eigenes Heim ist für viele Großstadt­be­woh­ner in Deutsch­land unerschwing­lich gewor­den. Mittler­wei­le hat der Immobi­li­en­boom parado­xe Folgen: Sogar das Erben wird zu kostspielig.

Angesichts der rasant gestie­ge­nen Immobi­li­en­prei­se wird das Erben des Eltern­hau­ses wegen der hohen Steuer­last für viele Bürger zur schwe­ren finan­zi­el­len Bürde — und für eine wachsen­de Zahl unerschwing­lich. Dies berich­ten das bayeri­sche Finanz­mi­nis­te­ri­um, Eigen­tü­mer­ver­bän­de und indivi­du­el­le Hausbe­sit­zer. Von der Entwick­lung getrof­fen wird eine wachsen­de Zahl von Famili­en, die keine Großver­die­ner sind. Bayerns Finanz­mi­nis­ter Albert Füracker (CSU) fordert vom Bund sowohl eine Erhöhung der Freibe­trä­ge als auch eine Regio­na­li­sie­rung der Erbschaftsteuer.

Dabei geht es keines­wegs nur um Luxus­an­we­sen in seit jeher teuren Villen­sied­lun­gen wie Hamburg-Blanke­ne­se oder dem Münch­ner Vorort Grünwald. «Viele unserer Siedler haben nach dem Krieg ihre Häuser gebaut, oft auf sehr großen Grund­stü­cken», berich­tet Beatri­ce Wächter, die Geschäfts­füh­re­rin des Eigen­hei­mer­ver­bands in Bayern. «Inzwi­schen ist es so, dass die Kinder nach dem Tod der Eltern die Häuser zum Teil nicht mehr halten können, weil die Erbschaft­steu­er so hoch ist.»

Hausei­gen­tü­mer mit Erbpro­ble­men können bei weniger gut situier­ten Mietern nicht auf großes Mitge­fühl hoffen. Doch beschleu­nigt das Phäno­men mutmaß­lich den Trend zur Verdrän­gung einge­ses­se­ner Bewoh­ner ebenso wie den Anstieg der Mieten. Genaue Daten aller­dings gibt es nicht. In der Haupt­sa­che profi­tie­ren Bauträ­ger, Inves­to­ren und der Staat in Form höherer Steuer­ein­nah­men. «Das sind dann genau die Fälle, in denen auf diesen Grund­stü­cken große Neubau­ten entste­hen: Mehrfa­mi­li­en­häu­ser, Doppel­haus­hälf­ten, was auch immer», sagt Wächter. «Das Problem gibt es auch nicht nur in München, sondern in allen größe­ren Städten sowie inzwi­schen auch im Umland.»

«Wir brauchen dringend eine Reform der Erbschaft­steu­er», sagt CSU-Politi­ker Füracker. «Das Famili­en­heim muss Famili­en­heim bleiben können. Wenn Kinder das Eigen­heim der Eltern verkau­fen müssen, weil sie sich die Erbschaft­steu­er nicht leisten können, dürfen wir das nicht hinnehmen.»

Seit 2009 hätten sich die Immobi­li­en­prei­se in Ballungs­räu­men wie München teils verdop­pelt oder verdrei­facht. «Die persön­li­chen Freibe­trä­ge wurden jedoch 13 Jahre nicht angepasst. Die Entlas­tungs­wir­kung der Freibe­trä­ge ist damit kaum noch vorhan­den», sagt Füracker. «Es besteht die Gefahr, dass auf lange Sicht immer mehr Inves­to­ren Immobi­li­en erwer­ben und vermie­ten, insbe­son­de­re in belieb­ten Regio­nen», sagt der CSU-Politiker.

Sogar Famili­en in manchen ländli­chen Gegen­den werden von der Entwick­lung getrof­fen: Bauern im Umland der Metro­po­len oder Menschen, deren Eltern­häu­ser an einem schönen See liegen. Die Einnah­men aus der Erbschaft­steu­er fließen an die Länder. Deswe­gen fordert Bayern die Regio­na­li­sie­rung, jede Landes­re­gie­rung könnte damit die Höhe der Steuer selbst festsetzen.

Denn ein altes Haus mit großem Grund­stück in einer großen Stadt wie Frank­furt, München, am Starn­ber­ger See oder an der Elbe vor den Toren Hamburgs ist mittler­wei­le viele Millio­nen wert. Leben die Nachkom­men nicht selbst im Eltern­haus, sondern andern­orts, beträgt der Freibe­trag pro Kind 400.000 Euro. Und das ist angesichts der Entwick­lung der Immobi­li­en­prei­se knapp bemessen.

Zumin­dest indirekt ablesen lässt sich die Entwick­lung an der Entwick­lung der Einnah­men. So hat die bayeri­sche Staats­re­gie­rung 2,5 Milli­ar­den Euro Erbschaft­steu­er einge­nom­men, 2009 war es noch weniger als eine Milli­ar­de. Der Sprung beruht laut Minis­te­ri­um vor allem auf den immer höheren Immobilienpreisen.

Ein Beispiel aus München: Dort lebt im Stadt­teil Neuhau­sen-Nymphen­burg in bester Lage der pensio­nier­te Gymna­si­al­leh­rer Wolf Armin von Reitzen­stein in einem 1907 vom Stief­groß­va­ter erbau­ten, denkmal­ge­schütz­ten Anwesen. «Kürzlich ist ein Nachbar­an­we­sen für 12 Millio­nen Euro verkauft worden», sagt Reitzenstein.

Für die Familie war das eine schlech­te Nachricht: «Die Verkaufs­fäl­le in der unmit­tel­ba­ren Umgebung beein­flus­sen schon allein den Boden­richt­wert und lassen damit nicht reali­sier­te Papier-Grund­stücks­wer­te in astro­no­mi­sche Höhen steigen», sagt Sibyl­le Barent, die Leite­rin des Bereichs Steuer- und Finanz­po­li­tik beim Eigen­tü­mer­ver­band Haus&Grund in Berlin. «Bei der Erbschaft­steu­er kommt hinzu, dass das Finanz­amt die erziel­ba­re Miete unter­stellt, nicht die tatsäch­lich vereinnahmte.»

Je nach Alter und Wohnort der Kinder wird die Erbschaft­steu­er damit erheb­lich höher ausfal­len als der Kauf eines ganzen Hauses in einer weniger belieb­ten ländli­chen Region kosten würde.

«Meine Kinder könnten wahrschein­lich die Erbschaft­steu­er nicht bezah­len», sagt Reitzen­stein. «Viele altein­ge­ses­se­ne Famili­en können ihre Häuser unter diesen Umstän­den nicht halten. Derzeit ist so viel Geld auf dem Markt, das Anlage sucht. Dann fallen die Häuser an Inves­to­ren, die auf Wertstei­ge­rung warten und die Mieten erhöhen.»

Reitzen­stein will aber nicht verkau­fen, sondern sein Anwesen für die Familie erhal­ten. «Ich wehre mich dagegen, dass es vom Finanz­amt so besteu­ert wird, als wollte ich es verkau­fen», sagt der Altphi­lo­lo­ge. «Ich kämpfe dafür, dass die Bewer­tung sich nach dem Ertrag richtet und nicht nach dem Verkehrs­wert. Gerade bei denkmal­ge­schütz­ten Häusern überstei­gen die Kosten die Einnah­men oft ganz erheblich.»

Von Carsten Hoefer, dpa