Ob Schla­ger, Pop oder Rock: Die Open-Air-Konzert­sai­son 2020 fiel Corona fast komplett zum Opfer. Nun gibt es erste Auftrit­te — doch mit stren­gen Regeln. Haben solche Konzer­te mit 1,50-Abstand zwischen den Fans eine Zukunft?

Doch als Roland Kaiser auf der Bühne erscheint und eines der ersten Konzer­te in Deutsch­land nach der Corona-Zwangs­pau­se beginnt, ist alles so wie in norma­len Zeiten: Die Fans sprin­gen erlöst von den Sitzen, jubeln, singen, tanzen.

«Ich bin sowas von glück­lich — ich hab Sie und Euch so vermisst — und meine Band auch», sagt Kaiser in seiner Geburts­stadt. «Wir feiern heute einen Wieder­an­fang. Lasst uns ein beson­de­res Konzert in einer beson­de­ren Zeit zu einem einzig­ar­ti­gen Erleb­nis machen!»

Wegen Corona gab es aller­lei Einschrän­kun­gen: Die Fans konnten keine Einzel­ti­ckets kaufen — sondern nur je 2 oder 4 Karten. Neben­ein­an­der sitzen durften aber nur Ehe- oder Lebens­part­ner oder Angehö­ri­ge eines Haushalts. Auf dem gesam­ten Gelän­de galten 1,50-Abstands- und Masken­pflicht; außer am Sitzplatz.

Nur 5000 der rund 22 000 Plätze konnten daher besetzt werden. «Die Anzahl spielt in so einem Moment keine Rolle», sagte Kaiser vor dem Konzert dazu. Auf der Bühne ist es voll: 13 Band-Mitglie­der, auch mit Abstand. Unter den Fans: Melis­sa aus Neustre­litz mit einer Freun­din. «Ich wollte schon immer mal auf ein Roland-Kaiser-Konzert. Das Corona-Konzept hat mich überzeugt, deswe­gen bin ich hier», sagt sie.

Ob «Santa Maria» oder «Lieb mich ein letztes Mal»: Kaiser hat wie immer viele alte Hits und ein neues Album mit — und jeder Ton sitzt. Auch ernste Worte zu gesell­schaft­li­chen Entwick­lun­gen sind bei dem Sänger keine Selten­heit. Diesmal mahnt der 68-Jähri­ge: «Kultur ist kein Luxus. Es ist ein Grundbedürfnis!»

Denn auch wenn die Fans viel Spaß hatten, wie etwa eine Sächsin, die sich über den Platz zum Tanzen freute oder eine andere junge Frau, die es diesmal «sehr emotio­nal» fand: Das Konzert war kein echter Neube­ginn für die Branche, sondern nur ein kleiner Hoffnungsschimmer.

Jüngst erst war das umstrit­te­ne Großkon­zert im Düssel­dor­fer Fußball­sta­di­on, das für ‪den 4. Septem­ber‬ mit bis zu 13 000 Zuschau­ern geplant war, verscho­ben worden. In der Waldbüh­ne gibt es derweil unter dem Motto «Back to live» noch in dieser Woche weite­re Auftrit­te: am Freitag singt nochmal Kaiser, am Samstag Rapper Sido und am Sonntag Helge Schneider.

Aber: Wirtschaft­lich seien diese Konzer­te ein Kraft­akt und «natür­lich kein Zukunfts­mo­dell», erklär­te Semmel-Concert-Chef Dieter Semmel­mann, einer der bedeu­tends­ten Konzert­ver­an­stal­ter in Deutsch­land. «Nachdem monate­lang gar keine Veran­stal­tun­gen durch­ge­führt werden durften, müssen wir nun bis Ende des Jahres Abstands­re­geln einhal­ten, die jegli­che wirtschaft­li­che Sinnhaf­tig­keit einer Veran­stal­tung von vornher­ein ausschlie­ßen.» Die Konzert­ver­an­stal­ter müssten bis Novem­ber Sicher­heit haben, wie es weiter­ge­he. «Sonst ist diese Branche platt.»

Ob Schlager‑, Pop‑, Klassik-Konzer­te oder Partys in Clubs: Der sechst­größ­te Wirtschafts­zweig Deutsch­lands mit 130 Milli­ar­den Euro Umsatz und einer Milli­on direkt Beschäf­tig­ten stehe seit Beginn der Corona-Krise still, teilte das Bündnis «#Alarm­st­ufeRot» — ein Zusam­men­schluss der mitglie­der­stärks­ten Initia­ti­ven, Verbän­de und Verei­ne — mit. Mit einer Demons­tra­ti­on um «fünf nach 12» will die Branche ‪am kommen­den Mittwoch‬ auf ihre Existenz­nö­te wegen der Pande­mie aufmerk­sam machen — in Berlin.

In Leipzig war kürzlich Pop-Star Tim Bendz­ko für ein Konzert-Experi­ment vor 1400 Freiwil­li­gen aufge­tre­ten. Forscher wollen heraus­fin­den, wie Großver­an­stal­tun­gen trotz Corona möglich sein können. Im Konzert­haus Dortmund gab es am Donners­tag­abend das bundes­weit erste große Chorkon­zert seit Beginn der Pande­mie — mit 90 Musikern und rund 700 Zuschau­ern. Doch für Organi­sa­to­ren großer Open-Air-Events ist die Saison 2020 fast komplett ausge­fal­len: Mit dem Herbst samt kühler und dunkler Abende geht sie tradi­tio­nell zu Ende.