STUTTGART (dpa/lsw) — Krieg auf deutschem Boden? Bis vor kurzem eine absolut undenk­ba­re Vorstel­lung. Das Land muss aber auf den schlimms­ten Fall vorbe­rei­tet sein, sagt Innen­mi­nis­ter Strobl — und macht Druck auf den Bund.

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukrai­ne ist auch in Deutsch­land die Angst vor Krieg und Krise einge­zo­gen. Was, wenn der Konflikt im Osten eskaliert? Was, wenn auch bei uns Bomben fallen? Dann soll die Zivil­be­völ­ke­rung in Bunkern Schutz suchen, so die Idee. Einfachs­te Arith­me­tik treibt den Katastro­phen­schüt­zern aber immer mehr Sorgen­fal­ten auf die Stirn: In Baden-Württem­berg leben derzeit mehr als elf Millio­nen Menschen. Einst, zu Zeiten des Kalten Krieges, gab es für die Bürger im Südwes­ten 547 öffent­li­che Schutz­räu­me mit mehr als 400 000 Plätzen. Davon übrig geblie­ben sind 220 Schutz­räu­me mit rund 176 000 Plätzen.

Und davon wirklich einsatz­be­reit? Sind null.

Innen­mi­nis­ter Thomas Strobl schlägt deshalb nun Alarm — und will bei der Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz diese Woche Druck machen. Baden-Württem­berg fordert mit Unter­stüt­zung Hessens vom Bund die Erarbei­tung eines klaren Schutz­raum­kon­zepts für die Zivil­be­völ­ke­rung. «Es gilt, das Undenk­ba­re zu denken und sich entspre­chend darauf vorzu­be­rei­ten», sagte der CDU-Politi­ker der Deutschen Presse-Agentur in Stutt­gart. «Deshalb brauchen wir vom Bund auch dringend klare Aussa­gen unter anderem für bauli­che Voraus­set­zun­gen von Alltags­ge­bäu­den, Prüfung unter­ir­di­scher Straßen- und Bahnsys­te­me zur Beher­ber­gung von Menschen, aber auch Empfeh­lun­gen für die Bevöl­ke­rung an sich.»

Bis 2007 wurden die Bunker in Deutsch­land noch funktio­nal erhal­ten. Dann änder­te sich der Kurs: «Gegen aktuel­le Gefähr­dun­gen wie Klima­wan­del, Natur­ka­ta­stro­phen und Terro­ris­mus bieten öffent­li­che Schutz­räu­me keinen hinrei­chen­den Schutz», hieß es von der Bundes­an­stalt für Immobi­li­en­auf­ga­ben (BImA). Der Bund stell­te den Erhalt der Bunker im Einver­neh­men mit den Ländern ein. «Die bestehen­den öffent­li­chen Schutz­an­la­gen werden seitdem nach und nach abgewi­ckelt.» Bunker wurden still­ge­legt, zurück­ge­baut oder ander­wei­tig genutzt.

Viele Anlagen existie­ren deshalb zwar noch, sind aber nicht mehr funkti­ons­fä­hig. Die BImA unter­zieht einzel­ne Anlagen derzeit einer Bestands­auf­nah­me. «Die ersten Zwischen­er­geb­nis­se legen aller­dings den Schluss nahe, dass diese nicht mehr einsatz­be­reit sind», schreibt das baden-württem­ber­gi­sche Innen­mi­nis­te­ri­um. Staats­se­kre­tär Wilfried Klenk (CDU) hatte im Mai auf eine parla­men­ta­ri­sche Anfra­ge hin erklärt, dass es keinen einzi­gen einsatz­be­rei­ten Bunker in Baden-Württem­berg gibt, in dem die Menschen im Ernst­fall vor Luftan­grif­fen oder im Katastro­phen­fall Schutz suchen können.

Neue Bunker wurden seit dem Ende des Kalten Krieges in den 1990er Jahren nicht mehr gebaut. Die meisten Anlagen, die es von früher noch gibt, wurden formell aus der sogenann­ten «Zivil­schutz­bin­dung» entlas­sen, der Staat hat recht­lich darauf gar keinen Zugriff mehr. «Die ursprüng­lich öffent­li­chen Schutz­raum­an­la­gen befin­den sich überwie­gend in Privat­ei­gen­tum sowie im Eigen­tum von Kommu­nen», so das Innen­mi­nis­te­ri­um. Noch in der Zivil­schutz­bin­dung befin­den sich derzeit 220 Schutz­räu­me im Südwes­ten. Die seien aber seit Jahren nicht mehr fachge­recht unter­hal­ten worden, so das Ministerium.

Rolf Zielfleisch ist Vorsit­zen­der des Vereins Schutz­bau­ten Stutt­gart, betreibt einen Bunker als Museum und wartet die Anlagen. Er kennt sich mit Bunkern aus. Zu Beginn des Ukrai­ne-Krieges wählten einige Bürger seine Nummer, suchten Rat. Viele Bauwer­ke im Land seien noch intakt, aber die Türdich­tun­gen nicht, die Luftfil­ter oder die Notstrom­ag­gre­ga­te, berich­tet er. 2015 sei die Einrich­tung in den Stutt­gar­ter Bunkern mit Unter­stüt­zung des Bundes abmon­tiert und vernich­tet worden, von der Gabel bis zur Sitzbank. Mit Konser­ven würden die Bunker sowie­so erst im Krisen­fall bestückt, sagt Zielfleisch. «Einer atoma­ren Ausein­an­der­set­zung hätten diese Bunker eh nie Stand gehal­ten. Ein Stück weit war das nur Place­bo», erzählt er. «Bei einer entspre­chend starken Atombom­be nutzt mir ein Bunker nichts.»

Der Bunker­ex­per­te hält grund­sätz­lich nichts davon, staat­li­ches Geld in Bunker zu stecken: «Das ist unsin­nig», sagt Zielfleisch. «So viele Bauwer­ke können sie gar nicht machen.»