Alle suchen den Weg aus dem Dilem­ma: Der Corona-Lockdown kann nicht ewig so weiter­ge­hen, aber die Infek­ti­ons­zah­len steigen wieder. Was also tun? Regie­rungs­chef Kretsch­mann will nun doch mutiger lockern — mit Hilfe von massen­haf­ten Schnelltests.

STUTTGART (dpa/lsw) — Baden-Württem­berg dringt trotz einer drohen­den dritten Corona-Welle auf eine schritt­wei­se Locke­rung des Lockdowns mit Hilfe von Schnell­tests. In einem Impuls­pa­pier für die Bund-Länder-Beratun­gen am kommen­den Mittwoch, das der Deutschen Presse-Agentur in Stutt­gart vorliegt, schlägt das Staats­mi­nis­te­ri­um von Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann (Grüne) vor, unter anderem Teile des Einzel­han­dels und der Gastro­no­mie sowie Museen auf diese Weise zu öffnen. Die Veran­stal­ter und Betrei­ber der Einrich­tun­gen «müssen dafür Sorge tragen, dass nur Besuche­rin­nen und Besucher Zutritt erhal­ten, die einen negati­ven Test vorwei­sen können», heißt es in dem Papier vom Donnerstag.

Der grüne Regie­rungs­chef vollzieht mit diesem Vorstoß einen Kurswech­sel hin zu einer mutige­ren Öffnungs­stra­te­gie, bei der das Land nicht mehr nur auf die Inzidenz­zahl schau­en will — trotz wieder steigen­der Infek­ti­ons­zah­len. Hinter­grund sei vor allem die abseh­ba­re massen­haf­te Verfüg­bar­keit von Schnell- und Selbst­tests, hieß es. Zur Erinne­rung: Im Südwes­ten ist in gut zwei Wochen Landtags­wahl, bei der Kretsch­mann sein Amt vertei­di­gen möchte. CDU-Spitzen­kan­di­da­tin und Kultus­mi­nis­te­rin Susan­ne Eisen­mann, die schon seit Wochen auf massen­haf­te Tests dringt, ließ ausrich­ten: «Wir sind froh, dass offen­sicht­lich ein Umden­ken statt­ge­fun­den hat. Besser spät als nie.»

Angesichts einer drohen­den dritten Corona-Welle durch die anste­cken­de­ren Virus­va­ri­an­ten müsse man weiter Vorsicht walten lassen, heißt in dem Schrei­ben aus der Regie­rungs­zen­tra­le. Doch mit Hilfe der Schnell­tests und der bald auch einsetz­ba­ren Laien-Selbst­tests könne man die Einschrän­kun­gen abmil­dern. «In bestimm­ten Berei­chen und zu bestimm­ten Anläs­sen können wir uns so ein Stück Freiheit zurück­ho­len, ohne dass dies auf Kosten der Sicher­heit geht.» Das Land schla­ge deshalb vor, Berei­che, in denen das Infek­ti­ons­ri­si­ko überschau­bar ist, schritt­wei­se zu öffnen. Der bundes­wei­te Lockdown gilt noch bis zum 7. März.

Geöff­net werden könnten: «Geeig­ne­te Berei­che des Einzel­han­dels, Teile der Gastro­no­mie, körper­na­he Dienst­leis­tun­gen, Freizeit­ein­rich­tun­gen wie Freiluft­mu­se­en, Kultur­ein­rich­tun­gen wie Museen oder kleine­re kultu­rel­le Events sowie bestimm­te sport­li­che Aktivi­tä­ten, etwa Indivi­du­al­sport im Freien und perspek­ti­visch auch Hotels.» Es seien Branchen und Berei­che, die vom Lockdown «beson­ders gebeu­telt sind und dringend eine Perspek­ti­ve benöti­gen». Viele der Firmen seien trotz massi­ver staat­li­cher Hilfe akut von der Insol­venz bedroht.

Das Land sucht mit seinem Vorschlag einen Ausweg aus einem Dilem­ma: Zuletzt war die Neuin­fek­ti­ons­ra­te bundes­weit wieder über 60 pro 100 000 Einwoh­ner binnen 7 Tagen gestie­gen — im Land nähert man sich von unter der Schwel­le von 50 diesem Wert nun wieder an. Bund und Länder hatten regio­na­le Öffnungs­schrit­te bei einer 7‑Tage-Inzidenz von 35 nach dem 7. März angekündigt.

Kretsch­mann hatte am Diens­tag schon erklärt, auch wenn die Zahl der Infek­tio­nen nicht unter diese Schwel­le sinke, könne es eine leich­te Öffnung geben. So könnte es bei den Kontakt­be­schrän­kun­gen eine Erleich­te­rung geben, indem sich wieder zwei Haushal­te treffen können. Eine Wieder­eröff­nung von Geschäf­ten sei aber nur möglich, wenn die 7‑Tage-Inzidenz stabil unter 35 liege. Zudem hatte er davor gewarnt, zu schnell und zu breit zu öffnen, weil dies zu Rückschlä­gen führen könne. Auch hatte er den Fokus auf die Inzidenz­zahl vertei­digt: «Die Inzidenz ist die einzi­ge handfes­te Zahl, die wir haben.» Mit dem neuen Papier fährt Kretsch­mann insofern einen neuen Kurs.

Ein Sprecher von Minis­te­rin Susan­ne Eisen­mann erklär­te dazu: «Wir sind erleich­tert, dass der Minis­ter­prä­si­dent seine zunächst ableh­nen­de Haltung nun aufge­ge­ben hat und den vorge­schla­ge­nen Strate­gie­wech­sel von Minis­te­rin Eisen­mann auf Bund-Länder-Ebene einbringt.» Eisen­mann hatte bereits Ende Januar darauf gedrun­gen, die Schnell­tests deutlich auszu­wei­ten, um so die Pande­mie besser in den Griff zu bekom­men und Locke­run­gen absichern zu können. Kretsch­mann und Gesund­heits­mi­nis­ter Manne Lucha (Grüne) hatten aber immer wieder darauf verwie­sen, dass man die Pande­mie nicht wegtes­ten könne.

Das Staats­mi­nis­te­ri­um dämpf­te am Donners­tag aber auch Hoffnun­gen auf weitge­hen­de­re Öffnun­gen: «Trotz der Möglich­keit, durch Schnell­tests das Risiko zu minimie­ren, können nicht alle Restrik­tio­nen aufge­ho­ben werden. Denn nicht alle Berei­che sind gleich gut geeig­net, um durch Schnell­tests Öffnun­gen zu ermög­li­chen.» Es dürfe nicht passie­ren, dass durch die Tests Warte­schlan­gen und dichtes Gedrän­ge entste­he. Das Staats­mi­nis­te­ri­um mahnte zudem: «Die Schnell­tests erset­zen nicht die nötigen Hygie­ne-Maßnah­men, sie ergän­zen sie.»