MÜNCHEN (dpa) — Hansi Flick schafft Fakten. Er will die Bayern im Sommer mit dem fünften Meister­stern verlas­sen. Die Vereins­füh­rung gerät in die Defen­si­ve und reagiert pikiert.

Am Tag nach dem Abschieds-Knall stand Hansi Flick wieder auf dem Trainings­platz. Einge­packt in eine dicke FC-Bayern-Jacke überwach­te er das Übungs­pro­gramm der Reser­vis­ten, während die von ihm überrum­pel­ten Bosse lange an einer Reakti­on auf die klaren Worte des Trainers arbeiteten.

Die kam am Sonntag­nach­mit­tag — und es war ein Konter, der kaum eine gütli­che Trennung der bis vor kurzem noch idealen Partner nach dem program­mier­ten siebten gemein­sa­men Titel­ge­winn erwar­ten lässt.

600 Kilome­ter entfernt vom Münch­ner Vereins­ge­län­de hatte Flick am Samstag in der Wolfs­bur­ger Arena forsch und überfall­ar­tig die Notbrem­se gezogen, nachdem er sein Abschieds­ge­schenk an den FC Bayern praktisch einge­tü­tet hatte. Die Münch­ner Bosse wurden von ihrem Trainer kalt erwischt, das Gros der Mannschaft überrascht.

«Der FC Bayern missbil­ligt die nun erfolg­te einsei­ti­ge Kommu­ni­ka­ti­on durch Hansi Flick», hieß es in einer kurzen, kühlen Stellung­nah­me. Der deutsche Rekord­meis­ter kündig­te zugleich an, die Gesprä­che mit Flick «wie verein­bart nach dem Spiel in Mainz fortset­zen» zu wollen. Dann geht es um die vom Trainer gewünsch­te Vertrags­auf­lö­sung. Der Verein könnte theore­tisch auf Erfül­lung bis Mitte 2023 pochen.

«Für mich ist es jetzt auch raus», hatte Flick hörbar erleich­tert gesagt, nachdem er sein Ansin­nen publik gemacht hatte. Es war die Hammer-Zugabe nach dem so wichti­gen Münch­ner 3:2 (3:1) im Bundes­li­ga-Topspiel beim Tabel­len­drit­ten VfL Wolfs­burg. Die Münch­ner Vereins­füh­rung steht plötz­lich blank da. Sie braucht schnell einen Nachfol­ger. Leipzigs Julian Nagels­mann? «Es gibt keinen neuen Stand. Es gibt und gab keine Gesprä­che und auch kein Angebot», bekräf­tig­te Nagels­mann. Der 33-Jähri­ge verwies wieder auf seinen Vertrag bis 2023 bei RB. Es gebe da auch «keine Streitigkeiten».

Flicks Zukunft wird derweil schon als Nachfol­ger von Bundes­trai­ner Joachim Löw beim DFB veror­tet. «Der Verein weiß Bescheid, die Mannschaft weiß jetzt auch Bescheid, das war mir wichtig», sagte er zum gewünsch­ten vorzei­ti­gen Bayern-Abschied. Er wirkte nach Wochen, «die für mich nicht ganz easy waren», wie von einer Last befreit.

Eine länge­re Schau­spie­le­rei rund um seine Zukunft mochte sich der 56-Jähri­ge nach der Vorent­schei­dung im Meister­schafts­du­ell mit Verfol­ger Leipzig nicht länger zumuten. Er nutzte den Moment, um für sich einen Schluss­strich unter eine aufre­gen­de, erfolg­rei­che, aber auch kraft­rau­ben­de und nun erstaun­lich kurze Bayern-Ära zu ziehen.

Eigent­lich sollte erst nach der Woche mit den Spielen in Wolfs­burg, am Diens­tag gegen Lever­ku­sen und am Samstag in Mainz kommu­ni­ziert werden, was Flick dem Verein nach dem Champi­ons-League-Aus in Paris mitge­teilt hatte. So sei es «verein­bart» gewesen, um den Fokus auch im Inter­es­se des Trainers ganz auf den Titel­kampf legen zu können, wie der Verein in seinem State­ment ausdrück­lich hervorhob.

Flick verstieß gegen die Abmachung, weil er den «Flurfunk» an der Säbener Straße fürch­te­te. «Es war wichtig, dass die Mannschaft das Ganze von mir erfährt, weil wir knapp einein­halb Jahre sehr gut zusam­men­ge­ar­bei­tet haben», erläu­ter­te er. Die Spieler sind seine größten Verbün­de­ten — und sollen es auch bis zum Ende bleiben: «Wir haben noch ein bisschen was vor in den fünf Spielen. Wir wollen den fünften Stern auf den Trikots», äußer­te Allein­gän­ger Flick. Der fast gewon­ne­ne 30. Meister­ti­tel zu Bundes­li­ga-Zeiten ist dafür nötig.

Flick unter­rich­te­te das Team um Match­win­ner Jamal Musia­la (2 Tore) sowie den zum 2:1 erfolg­rei­chen Eric Maxim Choupo-Moting direkt nach dem Abpfiff in der Kabine. «Es ist für uns als Mannschaft sehr traurig und hat auch die meisten Spieler von uns überrascht», sagte Kapitän Manuel Neuer und ergänz­te: «Wir haben zusam­men die erfolg­reichs­te Bayern-Zeit überhaupt ins Leben gerufen.» Neuer bezeich­ne­te Flick sogar als «besten Trainer der Welt».

Den Schwar­zen Peter schob er seinen Bossen zu, allen voran Flicks Intim­feind Hasan Saliha­mid­zic und auch dem künfti­gen Vorstands­chef Oliver Kahn. Die Vereins­füh­rung hatte die Entfrem­dung des Trainers unter­schätzt. Nur der am Jahres­en­de schei­den­de Vorstands­vor­sit­zen­de Karl-Heinz Rumme­nig­ge (65) kämpf­te öffent­lich um Flick. Dessen Konflikt mit Sport­vor­stand Saliha­mid­zic wurde nicht ausgeräumt.

«Anders war es nicht mehr zu lösen, das Tisch­tuch war zerschnit­ten. Er hat häufig Hilfe­ru­fe losge­las­sen, keiner hat ihn erhört», befand Sky-Exper­te Lothar Matthä­us zum Vorstoß des Trainers.

«Hansi Flick weiß, was er will und wie er arbei­ten möchte», sagte Neuer im ZDF. Fakt ist: Weiter­ma­chen wie zuletzt — gerade auch mit Saliha­mid­zic — wollte er nicht. Flicks vorge­zo­ge­ne Abschieds­wor­te ließen tief blicken. Er werde dem Verein und den Verant­wort­li­chen, «ob es der Kalle (Rumme­nig­ge), ob es Uli (Hoeneß) war oder Herbert Hainer, ewig dankbar sein» dafür, dass sie ihm im Novem­ber 2019 erst auf Zeit und dann dauer­haft das Vertrau­en geschenkt hätten, eine super Mannschaft anlei­ten zu dürfen. Der Name Saliha­mid­zic fiel in Flicks Aufzäh­lung nicht.

Flick sagte dem Team, «dass er auch sehr viel Energie gelas­sen hat in den extrem inten­si­ven einein­halb Jahren», wie Thomas Müller verriet. Dass der einsti­ge Bayern-Fan Flick («Gerd Müller, Paul Breit­ner, Kalle Rumme­nig­ge waren meine Idole») von sich aus gehen will, ist Resul­tat «reifli­cher Überle­gung», wie er sagte: «Es sind Dinge, die in der Entwick­lung so entste­hen.» Die Gründe blieben aber «intern».

Die Bayern verlie­ren einen Coach, der bis vor kurzem noch ideal zu passen schien. Nun geht der Blick nach Leipzig, wo in Nagels­mann (33) der logisch erschei­nen­de Nachfol­ger arbei­tet. Nagels­mann lässt sich von der Agentur «Sports360 GmbH» beraten, die übrigens auch den von Leipzig nach München wechseln­den Abwehr­spie­ler Dayot Upame­ca­no zu ihren Klien­ten zählt. Andere Nachfol­ge­kan­di­da­ten dürften erst ins Spiel kommen, wenn Kahn, Saliha­mid­zic oder der im Hinter­grund aktive Ehren­prä­si­dent Uli Hoeneß die Toplö­sung nicht reali­sie­ren können. Eine Millio­nen-Ablöse würde für Nagels­mann vermut­lich auch fällig.

Ein Gewin­ner des Wochen­en­des ist der DFB. Natio­nal­elf-Direk­tor Oliver Bierhoff könnte nun den Löw-Nachfol­ger bekom­men, den er aus den gemein­sa­men DFB-Jahren mit dem WM-Titel­ge­winn 2014 als Höhepunkt bestens kennt und schätzt. Der DFB hatte ausge­schlos­sen, an Trainer mit bestehen­den Verträ­gen heran­zu­tre­ten. Aber bei Flick verän­dern sich die Voraus­set­zun­gen gerade. «Die Zukunft ist überhaupt nicht klar. Es gab auch noch kein Gespräch, was das Thema Bundes­trai­ner betrifft», versi­cher­te Flick. «Natür­lich ist der DFB eine Option, die sich jeder Trainer überle­gen muss», sagte er aber auch.

Flick könnte viele Bayern-Profis damit schon bald wieder trainie­ren. Sein Freund und langjäh­ri­ger Wegbe­glei­ter Löw gab die Richtung bei der Suche nach seinem Nachfol­ger erst vor wenigen Tagen vor: «Das muss Hansi selbst entschei­den, ob er das machen möchte oder nicht.»

Von Klaus Bergmann, Sebas­ti­an Stiekel und Chris­ti­an Kunz, dpa