MOSKAU (dpa) — Die Kanzler­rei­se nach Moskau als «Missi­on Impos­si­ble»: Seit Wochen lief die Diplo­ma­tie in der Ukrai­ne-Krise heiß, ohne dass sich ein Durch­bruch abzeich­ne­te. Nun sendet Moskau Zeichen der Entspannung.

Mit der Ankün­di­gung eines teilwei­sen Truppen­ab­zugs hat Russland am Diens­tag überra­schend ein Zeichen der Entspan­nung in der Ukrai­ne-Krise gesetzt.

Bei einem Treffen mit Bundes­kanz­ler Olaf Scholz erklär­te Präsi­dent Wladi­mir Putin anschlie­ßend in Moskau, dass Russland keinen neuen Krieg in Europa wolle. «Dazu, ob wir das wollen oder nicht: Natür­lich nicht!», sagte Putin im Kreml nach dem dreistün­di­gen Gespräch. Scholz verwies auf einen großen Spiel­raum für Verhand­lun­gen. «Die diplo­ma­ti­schen Möglich­kei­ten sind bei weitem nicht ausge­schöpft», sagte er.

Stunden vor dem Antritts­be­such von Scholz in Moskau begann Russland nach eigenen Angaben mit dem Abzug von Truppen im Süden und Westen des Landes. Dort seien einzeln Manöver abgeschlos­sen, hieß es. Andere Übungen — darun­ter im Nachbar­land Belarus — liefen aber weiter.

Ähnlich wie Scholz warb auch US-Präsi­dent Joe Biden in Washing­ton für eine fried­li­che Lösung. «Wir sollten Diplo­ma­tie jede Chance auf Erfolg geben», sagte er — auch wenn ein russi­scher Einmarsch «immer noch» eine klare Möglich­keit sei. Er beton­te zugleich: «Die Verei­nig­ten Staaten und die Nato stellen keine Bedro­hung für Russland dar. Die Ukrai­ne bedroht Russland nicht.» Die USA versuch­ten auch nicht, Russland zu desta­bi­li­sie­ren. Auch an die Bürge­rin­nen und Bürger Russlands richte­te Biden eine Botschaft: «Sie sind nicht unser Feind.»

Zu Meldun­gen der russi­schen Regie­rung, einige Militär­ein­hei­ten zögen ab, sagte Biden: «Das wäre gut, aber wir haben das noch nicht verifiziert.»

Scholz sprach bei einer Presse­kon­fe­renz mit Putin von einem «guten Zeichen». Er hoffe, dass ein weite­rer Truppen­ab­zug folge. «Wir sind bereit, gemein­sam mit allen Partnern und Verbün­de­ten in der EU und der Nato und mit Russland über ganz konkre­te Schrit­te zur Verbes­se­rung der gegen­sei­ti­gen — oder noch besser, der gemein­sa­men — Sicher­heit zu reden.»

Die USA und Europa hatten auf die russi­schen Manöver äußerst besorgt reagiert. Die USA befürch­ten, dass die Truppen­be­we­gun­gen sowie ein Aufmarsch Zehntau­sen­der Solda­ten entlang der ukrai­ni­schen Grenze der Vorbe­rei­tung eines Krieges dienen. Russland weist das zurück.

Noch besteht Skepsis im Westen

Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­mei­er erklär­te zum russi­schen Truppen­ab­zug zurück­hal­tend, man wisse noch nicht, ob er wirklich statt­fin­de. «Wir brauchen klare, belast­ba­re, glaub­wür­di­ge Signa­le der Deeska­la­ti­on», sagte er am Diens­tag bei einem Besuch in Lettland. Der ukrai­ni­sche Außen­mi­nis­ter Dmytro Kuleba erklär­te: «Erst wenn wir einen Abzug sehen, dann glauben wir an eine Deeskalation.»

Ähnlich erklär­te Nato-General­se­kre­tär Jens Stolten­berg in Brüssel: «Bislang haben wir vor Ort keine Deeska­la­ti­on gesehen, keine Anzei­chen einer reduzier­ten russi­schen Militär­prä­senz an den Grenzen zur Ukraine.»

Die Vertei­di­gungs­mi­nis­ter der 30 Nato-Staaten beraten an diesem Mittwoch in Brüssel über Planun­gen für eine zusätz­li­che Abschre­ckung Russlands. Angesichts des russi­schen Truppen­auf­mar­sches sollen so auch in südwest­lich der Ukrai­ne gelege­nen Nato-Ländern wie Rumäni­en multi­na­tio­na­le Kampf­trup­pen statio­niert werden.

Putin bereit für weite­re Gespräche

Putin bekräf­tig­te im Gespräch mit Scholz die Bereit­schaft zu weite­ren Gesprä­chen mit der Nato und den USA über Sicher­heits­ga­ran­tien für Moskau. Bishe­ri­ge Gesprä­che brach­ten keine greif­ba­re Ergeb­nis­se. Er verlang­te auch schrift­li­che Garan­tien, dass die Nato sich nicht auf die Ukrai­ne ausdeh­ne. Zudem forder­te er den Westen auf, die ukrai­ni­schen Führung zur Umset­zung des Minsker Friedens­plans für die Ostukrai­ne zu drängen.

Scholz drohte erneut mit weitrei­chen­den Konse­quen­zen bei einem militä­ri­schen Vorge­hen Russlands gegen die Ukrai­ne. «Wir jeden­falls wissen, was dann zu tun ist», beton­te er. «Und mein Eindruck ist, dass das auch alle anderen ganz genau wissen.» Zur Rolle der Gasfern­lei­tung Nord Stream 2 in dem Konflikt sagte Scholz: «Was die Pipeline selber betrifft, wissen alle, was los ist.» Anders als nach dem Treffen mit US-Präsi­dent Joe Biden sprach Scholz in Moskau auch den Namen der umstrit­te­nen Gaspipe­line in der Ostsee aus.

Konflikt­re­gio­nen Luhansk und Donezk

Für weite­ren Konflikt­stoff im Verhält­nis Russlands zum Westen sorgte das russi­sche Parla­ment. Kurz vor Putins Treffen mit Scholz rief es den Präsi­den­ten auf, über eine Anerken­nung der abtrün­ni­gen ostukrai­ni­schen Regio­nen Luhansk und Donezk als «Volks­re­pu­bli­ken» zu entschei­den. Der Kreml teilte mit, dass die Staats­du­ma den Willen des Volkes wider­spie­ge­le, in der Sache aber nichts entschie­den sei.

Die Ukrai­ne, die Nato und die EU warnten Putin vor der Anerken­nung. Stolten­berg nannte einen solchen Schritt eine Verlet­zung des Völker­rechts, der terri­to­ria­len Unver­sehrt­heit der Ukrai­ne sowie der Minsker Friedens­ver­ein­ba­run­gen. Der EU-Außen­be­auf­trag­te Josep Borrell erklär­te: «Die EU verur­teilt entschie­den die Entschei­dung der russi­schen Staats­du­ma.» Der ukrai­ni­sche Außen­mi­nis­ter Kuleba sagte in Kiew, im Falle der Anerken­nung trete «Russland de facto und de jure aus den Minsker Verein­ba­run­gen» aus. Der unter deutsch-franzö­si­scher Vermitt­lung 2015 verein­bar­te Friedens­plan sieht vor, dass die beiden prorus­si­schen Separa­tis­ten­ge­bie­te autono­me Teile der Ukrai­ne sind. Kiew hat aller­dings kein Autono­mie­sta­tut vorgelegt.

Inmit­ten der Bemühun­gen um eine Entspan­nung legte am Diens­tag eine Cyber­at­ta­cke Inter­net­sei­ten des Kiewer Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums und ukrai­ni­scher Staats­ban­ken lahm. Auch Karten­zah­lun­gen funktio­nier­ten nicht mehr. Das Militär vermu­te­te eine Überlas­tung der Websei­ten durch eine Anfra­gen­flut im Rahmen einer DDoS-Attacke.

Auch Nawal­ny ist Thema

Neben dem Ukrai­ne-Konflikt wird das deutsch-russi­sche Verhält­nis auch von anderen Streit­the­men belas­tet. Dazu gehört Moskaus Umgang mit dem Putin-Gegner Alexej Nawal­ny, der sich in Deutsch­land von einem Anschlag mit dem chemi­schen Kampf­stoff Nowit­schok erholt hatte und anschlie­ßend in Russland zu Straf­la­ger­haft verur­teilt worden war. Gegen Nawal­ny begann am Diens­tag ein neuer Prozess wegen Verun­treu­ung von Geldern seiner — inzwi­schen verbo­te­nen — Stiftung und wegen Belei­di­gung einer Richte­rin. Nach Angaben seines Teams drohen ihm 15 Jahre Haft.

Ein anderes Streit­the­ma ist das Sende­ver­bot für die Deutsche Welle in Russland. Dazu sagte Putin knapp, bei seinem Gespräch mit Scholz sei verein­bart worden, «dass wir uns Gedan­ken machen, wie das Problem gelöst werden kann». Moskau hatte das Sende­ver­bot damit begrün­det, dass das deutsch­spra­chi­ge Programm des russi­schen Staats­me­di­ums RT nicht in Deutsch­land ausge­strahlt werden dürfe.

Scholz traf sich in Moskau zudem mit Vertre­tern der russi­schen Zivil­ge­sell­schaft. Darun­ter waren Vertre­ter der Moskau­er Zeitung «Nowaja Gazeta», des Sacha­row-Zentrums, von Memori­al Inter­na­tio­nal und der Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on Frauen des Don, die für Frauen- und Kinder­rech­te strei­tet und den deutsch-franzö­si­schen Menschen­rechts­preis erhal­ten hat.